Die Versprechen von Kim Jong Un Schöner Schein in Nordkorea

Deutsche Autos, französischen Rotwein, japanische Kameras: In Nordkorea bildet sich eine Schicht von Neureichen. Das Regime will Aufbruchsstimmung erzeugen. Doch die ist nur Fassade – das Land steht vor einer Krise.

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Lässt sich feiern: Nordkoreas Diktator Kim Jon Un. Quelle: dpa

Tokio Lange Zeit haben Nordkorea es gehütet wie ein Staatsgeheimnis, nun ist es amtlich: Das Datum für den ersten Kongress der Nordkoreanischen Arbeiterpartei seit 36 Jahren. „Das Politbüro des Zentralkomitees der Arbeiterpartei Koreas entscheidet, den siebten Kongress der Arbeiterpartei am 6. Mai in Pjöngjang zu eröffnen“, berichtete Nordkoreas Nachrichtenagentur KCNA am Mittwoch den mit Spannung erwarteten Termin im letzten Satz ihrer Meldung.

Die Vorbereitungen auf den Kongress in Nordkorea sowie die Spekulationen im Ausland über seine Bedeutung laufen bereits seit der Ankündigung des Kongresses im Herbst 2015 auf Hochtouren. Im Februar veröffentlichte die Führung 400 Slogans, die laut dem Sprachrohr der Führung, der Zeitung Rodong Sinmun, die Begeisterung des Volks für „epochale Veränderungen“ anstacheln sollen. Doch was sagen die Schlachtrufe aus für die Zukunft des Landes?

Eine Auswahl: „Lasst uns die gesamte Partei zu einem Kristall der Ideen und des Glauben des großen Kim-Il-sungismus und Kim-Jongilismus machen! Mache den Außenhandel multilateral und divers! Lass uns definitiv das Problem mit Konsumgütern lösen! Darüber hinaus sollen mehr militärische Mittel zur Überwältigung der reichlich vorhandenen Feinde entwickelt werden. Außerdem wird die Stärkung der Fischerei, Landwirtschaft, des Bergbaus und des Autobaus beschrien.

Summa summarum ist es sicherlich kein Zufall, dass die Schlachtrufe zur bisherigen Marschrichtung des jungen Führers Kim Jong Un passen. Unter seiner Führung wurde die Militär-zuerst-Strategie seines Vaters Kim Jong Il in die byungjin-Strategie umgeformt: eine gleichzeitige Entwicklung der Wirtschaft und des atomaren Arsenals.

Kim Ga-Young vom kleinen Online-Magazin „Daily NK“ vermutet, dass Kim den Parteitag zur Stärkung seiner Macht und seiner Politik nutzen will. Es scheine, dass Kim den Kongress „als Plattform nutzen will, um die Ankunft seiner eigenen Ära anzukündigen“. Und die besteht unter anderem darin, mehr Markt zuzulassen, die Macht vom Militär stärker zur Partei umzuverteilen und das Militär mit der Entwicklung von Atombomben und –Raketen zu belohnen.

Mit Spannung wird daher erwartet, welche Institutionen umorganisiert werden, wer welche Posten bekommt und ob der Parteitag wirtschaftspolitisch epochale Richtungsentscheidungen trifft. Denn eines ist sicher: Nordkorea befindet sich schon lange in einer wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation.


Der Wandel im Land

Die amerikanischen Ökonomen und Korea-Experten Markus Noland und Stephan Haggard vom Peterson Institute for International Economics sehen seit der großen Hungersnot Mitte der 1990er Jahre eine „Vermarktwirtschaftlichung von unten“ am Werk.

Damals war die staatliche Planwirtschaft zusammengebrochen und Millionen Menschen verhungerten. Die Bevölkerung war daher auf sich selbst angewiesen. Inzwischen produziert die private Wirtschaft 25 bis 50 Prozent von Nordkoreas Bruttoinlandsprodukts, erklärt Andrei Lankov, Korea-Experte an der Kookmin University in Südkorea.

Und nicht nur das: Während viele Menschen immer noch fehl- oder unterernährt sind, die Felder oft noch per Hand und Tieren bestellt werden und die Ernte zuletzt zurückgegangen ist, gibt es inzwischen einen Immobilienmarkt, Restaurants und immer größere freie Märkte. Außerdem entsteht eine Art kapitalistischer Klasse, die „Donju“, die Herren des Geldes.

Diese Neureichen im privilegierten Pjöngjang können sich deutsche Automobile, französischen Rotwein und Kameras aus Japan leisten. Der Führer Kim Jong Un weiht derweil Schwimmbäder und Freizeitparks ein. An einem Marathon sollen im April bereits 1.000 Amateure aus anderen Ländern teilgenommen haben, meldete die südkoreanische Nachrichtenagentur Yonhap. Das Regime in Pjöngjang will offensichtlich ein Bild der Aufbruchsstimmung erzeugen.

Es werden zudem Sonderwirtschaftszonen ausgerufen. Es gibt auch Berichte, dass die Regierung die Erhebung von Steuern erwägt, um die privaten Gewinne wenigstens ein wenig zu sozialisieren. Außerdem soll es im Dezember 2015 erstmals seit einem Vierteljahrhundert ein Treffen von Bankern geben haben, was Gerüchten über Reformen im Finanzwesen Auftrieb verleiht. Geld verliehen wird offenbar ohnehin schon.

Doch es gibt auch Schattenseiten: ein wachsendes Herr von Tagelöhnern zum Beispiel. Immer mehr Menschen ziehen auf einer der vielen Baustellen Wohnblöcke oder Wolkenkratzer in die Höhe, besorgen Reichen den Haushalt oder erledigen gegen Entgelt deren Arbeitsverpflichtungen fürs Gemeinwohl. „In anderen Worten, wir reden hier über die Entstehung einer nordkoreanischen Arbeiterklasse, die nicht Teil der alten stalinistischen Wirtschaft ist“, sagt Lankov.

Kurz: Nordkorea ist komplexer und vielschichtiger als das Bild von der bitterarmen, knallharten sozialistischen Diktatur. Es handelt sich vielmehr um eine bitterarme, knallharte Mischwirtschaft mit massiver Unterdrückung. Auch die Kader werden getroffen: Kim Jong Un soll viele Führungspersonen hingerichtet haben, um seine Macht zu festigen.

Vor diesem Hintergrund wäre der Kongress der Arbeiterpartei eine gute Gelegenheit gewesen, die wirtschaftlichen Errungenschaften zu feiern. Doch nach den Test einer Atombombe und einer Langstreckenrakete Anfang des Jahres gewinnt er eine weitere Dimension: Das Volk soll unter dem Druck der bisher härtesten Sanktionen gegen Nordkorea hinter Führer Kim versammelt werden.


Auf dem Weg zur Atommacht

Kim macht offenbar ernst mit seiner Ankündigung, Nordkorea zu einer vollwertigen Atommacht auszubauen. Zwar gibt es immer wieder Fehlschläge bei den Tests. Doch am Wochenende nahm eine Horrorvorstellung für die Feinde Nordkoreas konkretere Formen an: Das Land meldete den ersten erfolgreichen Unterwasserabschuss einer Mittelstreckenrakete.

Das kommunistische Regime könnte bis 2020 die Technik meistern, Atomraketen von U-Booten abzuschießen, warnten daraufhin die Experten des US-Korea-Instituts der Johns Hopkins Universität.

Dies würde eine deutliche Verschiebung des Kräftegleichgewichts bedeuten. Denn abgetauchte U-Boote sind schwer zu orten und könnten in Krisen vor den Küsten der USA oder seiner Alliierten auf Lauerstellung gehen. Nordkorea hätte dann selbst bei Enthauptungsschlägen der USA oder anderer Staaten gegen ein mögliches landgestütztes atomares Arsenal weiterhin eine Zweitschlagfähigkeit

Karl Dewey, Analyst beim Sicherheitsberater IHS Jane’s, sieht darin zwar auch mögliches Entspannungspotenzial. „Zweitschlagfähigkeiten werden oft als stabilisierend angesehen.“ Denn sie reduzierten das Risiko, dass ein Staat aus Angst vor einem Verlust seiner Waffen zum Angriff übergeht. Aber dies sei „wenig beruhigend für Nordkoreas Nachbarn“, so Dewey.

Dabei geht es nicht nur um die Bedrohung durch Nordkorea. Eine weitere Sorge ist ein nuklearer Rüstungswettlauf in Ostasien. Bislang fühlten sich Südkorea und Japan unter dem atomaren Schild der USA so sicher, dass sie seit Jahrzehnten Pläne für eigene Atomwaffen auf Eis gelegt haben. Aber sollte der Glauben an den Willen oder die Fähigkeit der USA schwinden, die Alliierten zu schützen, könnte sich das ändern. Technisch ist der Schritt zur Bombe mitsamt Trägersystemen in Südkorea und vor allem in Japan nicht so groß.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum die USA, Südkorea und Japan nach dem jüngsten Atombombentest so massiv auf scharfe Sanktionen gedrängt haben. Und es spricht Bände, dass Nordkoreas Schutzmacht China – erneut düpiert von den Waffentests – erstmals Handelssanktionen zugestimmt hat, die auch den kommerziellen Handel zwischen China und Nordkorea treffen können.

Dies war ein starkes Signal an den Norden, gefälligst auf den großen Bruder zu hören. China hatte Nordkorea immer deutlicher zur Mäßigung ausgerufen, ohne Erfolg. Aber bislang hat Beijing harte Sanktionen verhindert, weil die Regierung eine atomare Bewaffnung lieber war als ein Zusammenbruch des Regimes und damit der Verlust seines Puffers zu den in Südkorea stationierten US-Truppen.

Damit stellt sich die große Frage, ob die neuen Sanktionen etwas bewirken werden. Die bisherigen Strafen haben das Regime jedenfalls weder gebremst noch gestürzt. Vielmehr ist der Außenhandel Nordkoreas seit den Sanktionen nach dem ersten Atombombentest im Jahr 2002 fast stetig gestiegen. Allerdings hat sich die Zusammensetzung des Handels verändert.


„Nordkorea ist viel offener als viele Menschen denken“

Machte Nordkorea im Jahr 2000 je rund 20 Prozent seines Handels mit China, Südkorea und Japan, dürfte jetzt China den Handel fast gänzlich beherrschen. Denn Südkorea hat den Zugang zur nordkoreanischen Sonderwirtschaftszone Kaesong, wo südkoreanische Firmen produzierten, nach dem Atombombentest geschlossen.

Korea-Expert Haggard stellt daher in Frage, ob Nordkoreas Machthaber tatsächlich so gewitzt sind, wie die Welt zuletzt angenommen hatte. „Vielleicht haben sich verkalkuliert.“

Denn das Jagen nach atomarer Aufrüstung verhindert, dass ausländische Investoren ins Land kommen und der Außenhandel aufblüht. Zudem wächst die Abhängigkeit Nordkoreas von China. Und das wird zunehmend zu einem Problem für das Regime, sagt Korea-Experte Haggard. „Nordkorea ist viel offener als viele Menschen denken.“ Das Land sei damit verletzlicher als zuvor.

Die westlichen Staaten beobachten daher sehr genau, wie China die Sanktionen umsetzen wird. Denn eines steht fest: Wenn das Land den Handel knallhart herunter fährt, wird Nordkorea stark leiden. Eine Zahlungsbilanzkrise und ein Absturz des Won wären die wahrscheinliche Folge, so Haggard.

Bisher ist davon in Nordkorea nichts zu spüren, melden die Beobachter von Daily NK, die über ein Netz von Informanten in Nordkorea verfügen. Die Preise scheinen stabil. Reis soll sogar billiger sein als vor einem Jahr. Auch die Schwarzmarktkurse des chinesischen Yuan und US-Dollars sollen noch recht stabil sein.

Aber das kann sich schleichend ändern. US-Außenminister John Kerry hat China bereits signalisiert, etwas geduldig zu sein. Und China wirft sich in Pose, den Handel zu drosseln. Experten erwarten, dass China auch durch Taten ein Signal an Kim sendet, dass es dieses Mal ernst wird.

Allerdings halten Experten es für unwahrscheinlich, dass Nordkoreas Regime kollabieren wird. Und so bleibt offen, wie Nordkorea zur Aufgabe seines Atomprogramms gebracht werden kann. Kims Versprechen an sein Volk, sowohl das Atomarsenal als auch die Wirtschaft massiv auszubauen, dürfte ein leeres Versprechen bleiben.

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