Dilma Rousseff abgesetzt Reformen oder Risikovermeidung?

Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff verliert ihr Amt. Michel Temer muss nun in zweieinhalb Jahren zeigen, ob er das Zeug und den Willen für einschneidende Reformen hat. Nur dann kann Brasilien wieder deutlich wachsen.

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Brasiliens Präsidentin muss abtreten. Wie geht es jetzt mit dem Land weiter? Quelle: Reuters

São Paulo Mit einem überraschend klaren „Ja“ stimmten 60 von 81 Senatoren für den vorzeitigen Abgang von Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff. Zwei Drittel des Senats, also 54 Senatorenstimmen, hätten gereicht. Bis zum Ende ihrer regulären Amtszeit tritt nun ihr ehemaliger Vize Michel Temer ihre Nachfolge bis Ende 2018 an. Der 75-jährige Jurist saß bereits mit gepackten Koffern in seinem Amtssitz. Er wollte sich sofort nach der formellen Übertragung des Amtes aufmachen zum G-20 Gipfel in China. Seinem Stellvertreter, dem Präsidenten des Abgeordnetenhauses, übergab er die Amtsgeschäfte formell in einem Hangar im Flughafen von Brasília.

Temer hat es eilig. Kein Wunder. Er hat nun seit mehr als drei Monaten als Interims-Präsident regiert. Das war unbefriedigend: Denn einerseits konnte er es sich wegen des schwebenden Impeachment-Verfahrens nicht erlauben, Parlamentarier vor den Kopf zu stoßen. Die Abstimmung blieb bis zuletzt spannend. Temer musste sich die Zwei-Drittel-Mehrheit in den letzten Wochen permanent mit Verhandlungen und Zusagen für Posten gegenüber abtrünnigen Senatoren sichern.

Andererseits sind inzwischen aber auch die Zweifel gewachsen, ob der Nachfolger Temer überhaupt das Chaos, welche seine Vorgängerin im Staatshaushalt und der Geldpolitik angerichtet hat, beenden kann. Temer muss jetzt zeigen, dass er in der Lage ist, den Staatshaushalt wieder ins Lot zu bringen: Kurzfristig durch Verfassungsänderungen, welche die Staatsausgaben mit der Inflationsrate des Vorjahres deckeln.

Und mittelfristig, indem er eine Rentenreform einbringt, welche das rasant wachsende Defizit im Sozialsystem stoppt. Beides ist politisch nur kompliziert zu erreichen. Bisher ist Temer bis auf Absichtserklärungen bei den Themen nicht vorangekommen – angeblich, um den Kongress nicht zu verärgern. „Doch die Zeit der Ausreden ist vorbei“, sagt Will Landers, Lateinamerika-Experte beim Hedgefonds Blackrock. „Temer muss jetzt liefern.“

Sein Kollege Dan Raghoonundon von Janus Capital ist skeptisch: „Ich habe meine Zweifel, ob er das macht.“ Der Lateinamerika-Experte von Janus verweist auf Mexiko und Argentinien, wo die Regierungen guten Willen zeigten, jedoch bei der politischen Umsetzung enttäuschten. „Dort konnten die Regierungen nicht realisieren, was sie angekündigt hatten.“

Zu Hilfe kommt Temer, dass sich für Brasilien die Rahmenbedingungen in der Weltwirtschaft in den letzten drei Monaten verbessert haben. Die weltweite Liquidität ist wegen der niedrigen Zinsen in den Industrieländern hoch. Die Rohstoffpreise sind durch die anhaltende Nachfrage in China wieder gestiegen. Selbst der Brexit-Entscheid hat den Kapitalzufluss in Richtung Emerging-Markets beschleunigt. „Die Investoren suchen gute Geschichten“, sagt Luiz Fernando Figueredo von Mauá-Investimentos. Brasilien sei über Monate viel zu chaotisch gewesen für ausländische Geldgeber. „Das hat sich jetzt geändert“, sagt Figueiredo. „Brasilien erscheint wieder rationaler aus der Sicht des Auslands.“

Dennoch steckt Brasilien weiterhin tief in einer seiner schwersten Krisen seit langem. Die Lage in der Wirtschaft ist dramatisch. Es ist nicht übertrieben, Brasilien mit Griechenland zu vergleichen, wie es ein Finanzsekretär diese Woche im Kongress machte: Das Pro-Kopf-Einkommen der Brasilianer ist seit drei Jahren um 16 Prozent gesunken. Die Arbeitslosigkeit hat sich fast verdoppelt – auf 11,6 Prozent. Zwölf Millionen Menschen haben ihren Job verloren. Trotz Rezession verharrt die Inflation bei über sieben Prozent. Die Staatsverschuldung wächst rasant auf bald über 70 Prozent der BIP-Wirtschaftsleistung.


Die positiven Aspekte

Doch erstmals gibt es leichte Anzeichen von Besserung:

Die Leistungsbilanz ist durch Kapitalzuflüsse der Investoren, schrumpfende Importe und stabile Exporte ausgeglichen. Das verringert die Gefahr einer künftigen Verschuldungskrise. Die hohen Devisenreserven von fast 400 Milliarden Dollar lassen Brasilien zudem solide dastehen. Die Inflation beginnt im dritten Inflationsjahr endlich zu sinken und könnte Ende nächstes Jahres bereits das Ziel von 4,5 Prozent Entwertung erreichen. Damit hat die Zentralbank einen größeren Spielraum, um die hohen Zinsen schon bald zu senken.

Doch gerade diese zarten Anzeichen dafür, dass Brasiliens Wirtschaft das Schlimmste hinter sich hat, könnte den Reformeifer der Regierung Temer bremsen – bevor er sich überhaupt manifestieren konnte. Die Analysten in den Investmentbanken fürchten, dass Temer gar nicht mehr daran interessiert sein könnte, mühselig die Sparmaßnahmen durch den Kongress zu bekommen, wenn sich Konjunktur und Stimmung von alleine aufhellen. Dem 75-Jährigen wie seinen Finanz- und Außenministern unterstellen sie politische Ambitionen für die Präsidentschaftswahlen 2018. Das bremst deren Reformbereitschaft zusätzlich.

Zudem läuft Temer die Zeit davon: Im Oktober werden landesweit die Bürgermeister gewählt, im Februar der Kongresspräsident neu bestimmt. Beides erschwert harte Reformen.

Für Brasiliens Wirtschaft sind die Aussichten also durchmischt: Verlässt sich die Regierung darauf, dass die Wirtschaft sich von alleine erholen wird, dann wird das Land über die nächsten Jahre weiter zu schwachem Wachstum verurteilt bleiben. Es liegt also am Reformwillen und der politischen Durchsetzungsfähigkeit Temers, welche in den nächsten Monaten über die wirtschaftliche Zukunft des Amazonaslandes entscheiden wird.

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