Bevor sich Putin den ausgewählten Fragen stellt, zählt er erst einmal auf, welche Fortschritte sein Land gemacht hat. Die Lebenserwartung und die Geburtenrate seien gestiegen. Die Wirtschaft sei im vergangenen Jahr um 0,6 Prozent gewachsen. Die Krise? Treffe Russland weniger hart als gedacht. Aber was ist mit der Inflationsrate von 17 Prozent? Naja, die sei schon schlimm, sagt Putin, aber man müsse eben Geduld haben. Und die westlichen Sanktionen? Wären für Russland eher eine Chance, ihre eigene Wirtschaft voranzutreiben. Wirklich? Aber was ist mit dem Rubel?
Die Währung habe sich zuletzt stabilisiert. Das stimmt, allerdings liegt der Kurs zum Dollar immer noch 25 Prozent unter dem von vor einem Jahr. Trotzdem glaubt Putin, dass sich die russische Wirtschaft in zwei Jahren wieder vollständig erholen könnte.
Hinter der Sendung mit dem Präsidenten steckt ein großer Aufwand, zeitlich und menschlich. Angeblich hat sich Putin zwei Tage lang nur auf die Fragerunde vorbereitet. Und die Mitarbeiter des staatlichen Senders Rossija 1 waren an vielen entlegenen Orten im flächenmäßig größten Land der Welt unterwegs, um Sorgen der Bürger aufzunehmen. Einige Fragen zeigen, in welch schwieriger Lage sich die Menschen in Russland befinden. Vor allem in Regionen fernab der Hauptstadt Moskau.
Fünf Folgen der Wirtschaftskrise in Russland
Das von den Einnahmen aus dem Geschäft mit Öl und Gas abhängige Russland steckt in einer Rezession. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew erwartet einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um drei Prozent. Im Staatshaushalt klafft eine Finanzlücke.
Wegen des starken Ölpreisverfalls ist der Rubelkurs im vergangenen Jahr im Vergleich zum Dollar und Euro massiv eingebrochen. Den Höhepunkt erreichte der Wertverfall Mitte Dezember, als ein Euro vorübergehend fast 100 Rubel kostete - das entspricht einem Absturz von 90 Prozentpunkten seit Januar 2014. In den vergangenen Wochen erholte sich der Rubel ein wenig. Anfang März mussten Russen für einen Euro noch rund 66 Rubel bezahlen, fast doppelt so viel wie ein Jahr zuvor.
Um den schwächelnden Rubel zu stützen, verkauft die russische Zentralbank im großen Stil Devisen, die die Rohstoffmacht mit dem Verkauf von Öl und Gas angespart hat. Die internationalen Währungsreserven schrumpften nach Angaben der Notenbank seit März 2014 um mehr als ein Viertel von fast 500 Milliarden Dollar (etwa 460 Mrd Euro) auf 360 Milliarden Dollar.
Das Leben in Russland wird rasant teurer. Das merken die Menschen vor allem an der Miete und an der Kasse im Supermarkt. Das Wirtschaftsministerium erwartet für dieses Jahr eine Inflation von rund 12 Prozent. Die Preise für Lebensmittel stiegen in den vergangenen Monaten aber im Durchschnitt sogar um rund 20 Prozent. Experten warnen wegen der Krise in Russland vor einer deutlich höheren Inflation. Manche gehen von bis zu 17 Prozent aus.
Der massive Abzug von Kapital aus Russland ist nach Meinung von Ex-Finanzminister Alexej Kudrin ein schwerer Schlag für die heimische Wirtschaft. 2014 wurden nach Angaben der Zentralbank Vermögenswerte im Wert von mehr als 150 Milliarden Dollar (140 Mrd Euro) aus Russland verlegt, fast zweieinhalb Mal so viel wie im Vorjahr. Für 2015 erwarten die Behörden eine Kapitalflucht von bis zu 100 Milliarden Dollar. Wegen der Senkung der Kreditwürdigkeit Russlands durch internationale Ratingagenturen warnen Experten sogar vor Kapitalflucht von bis zu 135 Milliarden Dollar.
Eine russische Frau namens Elena bittet Putin um Hilfe für ihr krankes Kind. Die notwendigen Medikamente bekomme sie nur im Krankenhaus, nicht aber in den Apotheken im Ort. „Wladimir Wladimirowitsch, könnten Sie bitte etwas tun?“
Putin fordert die Kontaktdaten der Frau und gibt sich empört. „Das Gesundheitsministerium sagt mir, sie brauchen nicht mehr Geld von der Regierung, um die Medikamentenversorgung sicherzustellen. Wenn das aber nicht funktioniert, ist das ein Verbrechen.“ Das sei kein Einzelfall, sagt ein Moderator. Dann wolle er eben alle Unterlagen haben, befiehlt Putin, deswegen spreche man ja hier!
Egal ob Arbeiter am Weltraumbahnhof Wostotschnij, die keinen Lohn bekommen, oder Pendlerzüge in der Region Saratow, die nicht mehr fahren: Putin will sich den Problemen annehmen, höchstpersönlich versteht sich. „Wie heißen Sie?“, ruft er dem Arbeiter in Wostotschnij zu. „Anton? Iwanowitsch? Berichten Sie mir von dem letzten Rubel, der überwiesen wurde. Wir werden zusammenarbeiten, Sie in Wostotschnij, ich hier in Moskau.“
Und an die zurückgelassenen Pendler: „Sie haben recht, das ist völlig inakzeptabel. Ich werde mir Saratov genauer anschauen, wir müssen die Regionen unterstützen.“ Es klingt immer so ein bisschen nach „Lass das mal den Papa Putin machen“.