Draghi vs. Berlusconi „Italien ist ein signifikantes Risiko für die Euro-Zone“

Die Italien-Krise alarmiert die EZB - nicht zuletzt wegen Berlusconis lascher Reformpolitik. Jetzt kündigt der künftige Zentralbank-Chef Mario Draghi Gegenmaßnahmen an.

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Mario Draghi. Quelle: handelsblatt.com

Der künftige EZB-Präsident Mario Draghi hat die Bereitschaft der Notenbank signalisiert, das Finanzsystem weiterhin mit unkonventionellen Maßnahmen zu stützen. Die EZB sei entschlossen, solche Mittel zu nutzen, um eine Störung der Märkte zu verhindern und sicherzustellen, dass ihre geldpolitischen Impulse in der Wirtschaft ankämen, sagte Draghi am Mittwoch laut Redetext in Rom wenige Stunden vor Beginn des zweiten Euro-Krisengipfels innerhalb weniger Tage in Brüssel.

Mit einem dramatischen Appell rief derweil Bundeskanzlerin Angela Merkel den Bundestag auf, Verantwortung bei der Rettung des Euro zu übernehmen. Europa stehe in der schwierigsten Situation seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, sagte Merkel in einer Regierungserklärung vor dem EU- und Eurozonen-Gipfel. „Scheitert der Euro, scheitert Europa“, sagte Merkel. Es sei keineswegs selbstverständlich, dass es in Europa weitere 60 Jahren Frieden geben werde. Angesichts dieser Lage stünden auch die anderen europäischen Länder, die G20-Staaten und die Banken in der Pflicht, die Euro-Zone zu stabilisieren, betonte die Kanzlerin.

Draghi nahm Bezug auf die Lage in seinem Heimatland Italien und auf die anhaltenden internationalen Unsicherheiten, die er zusammen als „dramatisch“ beschrieb. Er sehe deshalb auch ein „signifikantes Risiko“ einer deutlichen Konjunkturabkühlung in der Euro-Zone, sagte der Chef der italienischen Notenbank. Insbesondere Italien müsse seine Hausaufgaben machen, um die Krise beizulegen. In einem Brief an ihre EU-Partner habe die Regierung in Rom ihre Reformideen dargelegt. „Es ist an der Zeit, das schnell und konkret in die Tat umzusetzen“, mahnte Draghi. Die Banken Italiens seien mit kurzfristigen Liquiditätsspannungen konfrontiert, fügte er hinzu.

Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker erhöhte noch einmal den Druck auf Italien. Regierungschef Silvio Berlusconi habe keine Wahl, als am Abend „erhebliche Konsolidierungsbemühungen“ vorzulegen, sagte Juncker. „Das ist ein Muss“.

Italien bekommt derweil die Schuldenkrise bei der Aufnahme von Krediten am Finanzmarkt immer deutlicher zu spüren. Das Land musste am Mittwoch für sechsmonatige Kredite mit 3,5 Prozent so hohe Zinsen zahlen wie seit mehr als drei Jahren nicht mehr. Für zweijährige Schuldpapiere verlangten die verunsicherten Anleger sogar eine Rendite von 4,6 Prozent. Insgesamt konnte sich das hochverschuldete Land jedoch mit den Emissionen wie geplant gut zehn Milliarden Euro beschaffen.

Auch der Wirtschaftssektor leidet. Die Stimmung der italienischen Unternehmer ist so getrübt wie zuletzt Anfang vorigen Jahres. Der saisonbereinigte Index für Oktober fiel auf 94,0 Zähler von revidiert 94,5 Punkten im Vormonat, teilte das nationale Statistikamt Istat mit. Von Reuters befragte Analysten hatten im Schnitt mit 93,8 Zählern gerechnet.

Deutsche Politiker warnen vor neuer Krisenzuspitzung

Deutsche Politiker warnten angesichts der zögerlichen Reformpolitik der Regierung Berlusconi vor einer Verschärfung der Schuldenkrise. „Für mich ist entscheidend, dass die Staatsschuldenkrise nicht ausufert“, sagte Unions-Fraktionsvize Michael Meister Handelsblatt Online. „Ein Element hierfür ist eine glaubwürdige und solide Finanzpolitik Italiens.“ Wer dies leisten und nach außen repräsentieren könne, müsse letztlich das italienische Volk entscheiden, fügte Meister mit Blick auf Berichte hinzu, dass Berlusconi möglicherweise in den kommenden Wochen zurücktrete.

Nach Einschätzung des Vorsitzenden der FDP im Europaparlament, Alexander Graf Lambsdorff, würde ein möglicher Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten die Schuldenkrise nicht automatisch entschärfen. „Die Glaubwürdigkeit der Regierung Berlusconi hat in den letzten Tagen stark gelitten, doch daraus kann man nicht einfach folgern, dass ein Regierungswechsel der Euro-Rettung kurzfristig zugute kommen würde“, sagte Lambsdorff Handelsblatt Online. Auch eine neue Regierung stünde vor der schwierigen Aufgabe, tiefgreifende und unpopuläre Reformen durchsetzen zu müssen. „Für Italien gilt es in jedem Fall, die hohe Schuldenlast zu bekämpfen und das schwache Wirtschaftswachstum anzukurbeln, um das Potenzial des Landes endlich voll auszuschöpfen, denn im Grunde ist Italien ein starkes Land mit zahlreichen wettbewerbsfähigen Unternehmen“, sagte der FDP-Politiker.

Nach Lambsdorffs Ansicht muss es jetzt primär darum gehen, dass die italienische Regierung beim EU-Gipfel heute Abend in Brüssel ein „glaubwürdiges und tragfähiges Konzept vorstellt und damit das Vertrauen sowohl der Finanzmärkte als auch der Partner in der EU wiederherstellt“. In einem zweiten Schritt müsse man dann sehen, ob es im Parlament eine Mehrheit gebe. Zudem müsse man beobachten, ob die dringend notwendigen Strukturmaßnahmen auch wirklich umgesetzt würden. „Wenn das gelingt, dann wäre das ein positives Signal für die EU.“

Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler sieht Italien hingegen bereits ohne Hilfe seiner EU-Partner vor der Pleite. „Alle Maßnahmen vor dem Gipfel zielen darauf ab, Italien unter den Schuldenschirm zu hebeln“, sagte das FDP-Bundesvorstandsmitglied Handelsblatt Online. Die Folge sei, dass der Ausfall von Italien dauerhaft vom Steuerzahler versichert werde. „Die Schulden werden damit in Europa sozialisiert und damit vergemeinschaftet“, warnte Schäffler.

Zu einer ähnlich nüchternen Einschätzung kam der wirtschaftspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion im Europaparlament, Sven Giegold. „Die Italienische Regierung ist das vierte Opfer der Euro-Krise“, sagte Giegold Handelsblatt Online. „Berlusconis Verweigerung von notwendigen Reformen ist eines der größten Probleme der Euro-Zone. Über Italien hinaus zeige sich zudem auch in anderen Ländern, „dass die hohe politische Instabilität durch die Krise selbst ein Problem bei der Bekämpfung der Krise“ werden könne.

Italien geriet in den vergangenen Tagen erneut in den Fokus der Finanzkrise, weil die Finanzmärkte bezweifeln, dass die Regierung von Ministerpräsident Silvio Berlusconi die Schuldenprobleme des Landes ernsthaft angeht. Der Schuldenberg Italiens beträgt inzwischen 1,9 Billionen Euro. Italien verzeichnet damit in der Euro-Zone eine Schuldenlast in Höhe von 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist der den höchste Wert nach Griechenland. Medienberichte über eine geheime Abmachung, wonach der umstrittene Regierungschef Ende des Jahres zurücktritt und so den Weg für Neuwahlen freimacht, wurden inzwischen von Berlusconis Koalitionspartner Lega Nord dementiert.

„Einen solchen geheimen Pakt gibt es nicht“, sagte Lega-Sprecherin Nicoletta Maggi. „Diese Zeitungsberichte sind fabriziert worden, sie sollen die Regierung an dem Tag unterminieren, an dem Berlusconi nach Brüssel reist, um den Regierungsplan (zu Italiens Reformen) vorzustellen“, erläuterte sie. Was die Lega Nord angehe, so habe sie im Moment eine abwartende Haltung. Mehrere Zeitungen hatten berichtet, Berlusconi und Lega-Chef Umberto Bossi hätten sich auf einen Rücktritt bis Januar und Neuwahlen im März verständigt.

Die Regierung in Rom hat hingegen erklärt, sie halte sich an ihre europäischen Verpflichtungen. In einem Brief an den Euro-Gipfel am Mittwoch in Brüssel hieß es der Wirtschaftszeitung „Il Sole 24 Ore“ zufolge, die Neuverschuldung Italiens habe 2010 nach neuesten Zahlen des europäischen Statistikamts 4,6 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Das entspreche fast der Neuverschuldung Deutschlands, die für 2010 von 3,3 auf 4,3 Prozent nach oben revidiert worden sei. Frankreichs Zahl sei von 7,0 auf 7,1 Prozent korrigiert worden, Spaniens von 9,2 auf 9,3 Prozent, Griechenlands von 10,5 auf 10,6 und Portugals von 9,1 auf 9,8 Prozent. 2014 werde Italien einen Überschuss von 0,5 Prozent erreichen, ohne Zinszahlungen sogar von 5,7 Prozent. Der Schuldenberg werde dann schrumpfen auf 112,6 Prozent. Derzeit liegt er bei 120 Prozent.

Ökonomen attackieren Berlusconi

Führende Ökonomen in Deutschland kritisierten Berlusconi angesichts seiner zögerlichen Sanierungsmaßnahmen für die Staatsfinanzen scharf. Italien schaffe es nur deshalb, sich zu halbwegs akzeptablen Zinsen Mittel am Kapitalmarkt zu besorgen, weil das italienische Finanzministerium seine Staatsanleihen vor allem an Banken verkaufe, die sie nach einer Schamfrist teilweise an die Europäische Zentralbank (EZB) weiter veräußerte. „De facto finanziert die EZB Staatsausgaben Italiens mit der Notenpresse“, sagte der Chefvolkswirt der Commerzbank, Jörg Krämer, Handelsblatt Online. In dieser Notsituation eine dringend notwendige Rentenreform zu verschleppen, sei „fahrlässig“. Nach Auffassung Krämers müssen sich die Peripherieländer letztlich selbst retten. „Der sogenannte Rettungsfonds EFSF kann nur Zeit kaufen - auch wenn die Politiker seine Feuerkraft durch eine Anleiheversicherung erhöhen“

Harsche Kritik am Verhalten der italienischen Regierung äußerte auch der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), Gustav Horn. „So manövriert  man sich in den Abgrund“, sagte Horn Handelsblatt Online. Für den IMK-Chef liegt daher auf der Hand, dass die Zukunft des Euros jetzt  nicht mehr davon abhänge, wie viel und was  einzelne Länder sparen. „Der Zeitpunkt für solche Partiallösungen ist durch die allgemeine  Zögerlichkeit der politischen Reaktion längst verpasst worden.“ Die Entscheidungen, die jetzt  getroffen werden müssten, seien vielmehr grundsätzlicher Natur. „Die Euro-Gruppe  muss  die Aussage, treffen, dass  alle umlaufenden  Staatsanleihen  garantiert werden“, sagte Horn. „Und  es muss klar sein, dass die EZB diese Aussagen stützt und  notfalls mit eigenen Käufen  die Kurse stabilisiert.“  Erst auf der Basis dieser Beschlüsse versprächen weitere Konsolidierungsprogramme in den Mitgliedsländern  Erfolg.     

Der Chefvolkswirt de Dekabank, Ulrich Kater, zeigte sich hingegen überzeugt, dass auch Italien kein Interesse an einer Eskalation der Euro-Problematik habe. „Das heißt, dass unabhängig vom Zustand der Koalition in Rom Lösungen präsentiert werden“, sagte Kater Handelsblatt Online. „Wie verbindlich diese sein können, das kann dann erst die nächste Regierung demonstrieren.“ Aber gerade diese Diskussion sei das beste Beispiel dafür, dass der Euro-Raum eine erneutes Bekenntnis zu dem bereits festgelegten Ausmaß an erlaubter Staatsverschuldung benötige sowie einen verbindlichen Mechanismus, diese Grenzen auch umzusetzen. „Der EFSF kann jedem Mitgliedsland, auch Italien, an den Märkten Zeit kaufen“, sagte Kater. „Diese Zeit muss allerdings genutzt werden, um glaubwürdige Reformen einzuleiten.“

Spekulationen um neues Euro-Krisentreffen

Unter dem Druck des bevorstehenden Euro-Gipfels hatte Italiens Regierung zuvor eine Rentenreform beschlossen, um Schulden abzutragen. Ein Sprecher der EU-Kommission äußerte jedoch die Erwartung, dass Regierungschef Berlusconi weitere konkrete Schritte auf dem Spitzentreffen in Brüssel vorlegt. Unterdessen wuchsen die Zweifel, ob auf dem Treffen ein „Gesamtpaket“ zur Euro-Rettung zustande kommt. Der Kompromiss der Regierungskoalition in Rom zu neuen Sparmaßnahmen sieht eine Anhebung des Renteneintrittsalters von 65 auf 67 Jahre vor. Diese Einigung soll auf dem besagten politischen Kuhhandel mit dem Rücktritt Berlusconis beruhen.

Auf dem Gipfel wollte Berlusconi italienischen Medien zufolge ein 15-seitiges Papier mit weiteren Sparmaßnahmen vorlegen. Die Regierung in Rom hat bereits mehrere Sparprogramme verabschiedet, in der EU gibt es aber Zweifel an deren Umsetzung. „Er ist völlig realitätsfern“, sagte ein Teilnehmer des Sonntagsgipfels nach einem Gespräch mit Berlusconi. „Er ist besessen davon, an der Macht zu bleiben.“

Doch vor dem Gipfel in Brüssel stand nicht nur Italien unter Druck. Weltweit wurden von den Europäern Entscheidungen erwartet über einen Schuldenschnitt für Griechenland, bei dem die Banken auf etwa die Hälfte ihrer Forderungen verzichten sollen, über eine Rekapitalisierung der europäischen Finanzhäuser sowie zu einer wirksameren Nutzung der Mittel im Euro-Rettungsfonds.

Kurz vor Beginn des Gipfels war offen, inwieweit in den entscheidenden Punkten mit bedeutenden Fortschritten gerechnet werden konnte. Ein Sprecher der EU-Kommission forderte eine „glaubwürdige politische Antwort auf die Schlüsselfragen“, räumte jedoch auch ein, dass auch nach dem Treffen technische Einzelheiten noch geklärt werden müssten. Noch bevor der Gipfel überhaupt begonnen hatte, gingen in Brüssel bereits Gerüchte über ein nächstes Krisentreffen in den kommenden Tagen herum.

Bei dem Gipfel in Brüssel geht es auch um die Rolle der EZB im Kampf gegen die Krise. Dabei streiten Deutschland und Frankreich darum, ob und wenn ja, wie die Notenbank für die „Hebelung“ des Rettungsschirms EFSF herangezogen werden kann. Zuletzt deutete sich an, dass sich Deutschland mit seiner ablehnenden Haltung zu einer Hebelung des EFSF mit Hilfe der EZB durchsetzen kann. Draghi tritt am 1. November als dritter Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt an. Er folgt auf Jean-Claude Trichet, der nach acht Jahren turnusmäßig seinen Posten räumt.

Die EZB stützt das taumelnde Finanzsystem aktuell mit einer Vielzahl von Maßnahmen: Zum einen kauft sie Staatsanleihen von Problemländern wie Griechenland, Irland, Portugal, Italien und Spanien und hat bis dato Papiere für fast 170 Milliarden Euro in ihrer Bilanz. Zudem stellt sie den Banken in großem Umfang Liquidität zur Verfügung. Bei einem neuen Jahrestender am Vormittag riefen zum Beispiel 181 Institute bei der Zentralbank knapp 57 Milliarden Euro ab.

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