Drei Szenarien für Venezuela Kuba, Syrien oder Exil?

„Frieden und Einheit“ sollte die Verfassungsgebende Versammlung Venezuela bringen. Nun lässt Präsident Maduro die wichtigsten Oppositionskandidaten festnehmen. Und es wird noch schlimmer. Drei Szenarien für Venezuela.

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Venezuela am Tag der Wahl: Mindestens zehn Menschen sollen bei den gewaltsamen Protesten ums Leben gekommen sein. Quelle: Reuters

Salvador Keine 24 Stunden nach der blutigen und umstrittenen Wahl zur Verfassungsversammlung am Sonntag, demonstriert der venezolanische Präsident Nicolás Maduro, wie Ernst ihm der Dialog mit der Opposition ist, den er vor der Abstimmung immer wieder angeboten hat. Der Geheimdienst Sebin verhaftete jetzt zwei führende Oppositionspolitiker: Mit dem ehemaligen Bürgermeister und Abgeordneten Leopoldo López, der bereits drei Jahre in Haft verbracht hat und wenige Wochen vor dem Plebiszit in Hausarrest entlassen wurde, wird der wichtigste Führer der Opposition weggesperrt. Auch Antonio Ledezma, ehemaliger Bürgermeister von Caracas, gilt als einer der gemäßigten Oppositionsführer und stand seit seiner Festnahme 2015 unter Hausarrest, wegen eines angeblichen Putschversuches.

Den verschärften Kurs nach der Verfassungsversammlung haben die meisten Venezolaner erwartet. Nichts anderes hat Maduro immer wieder angekündigt: Er will jetzt den Kongress und die Staatsanwaltschaft entmachten, dort wo sich die Opposition gegen sein Regime konzentriert. Noch in der Wahlnacht kündigte er an, dass er den Abgeordneten die Immunität entziehen werde, um sie wegen Verbrechen gegen das Vaterland zu verklagen.

Die verschärften Repressionen sind Maduros Antwort auf eine unerwartet schwere Niederlage bei den Wahlen. Die Mehrheit der Venezolaner hat sich prinzipiell geweigert ihre Stimme für die Verfassungsgebende Versammlung abzugeben. Angeblich nur mehr als acht Millionen, der insgesamt 20 Millionen Wahlberechtigten Bürger, sollen über die zuvor von der Regierung handverlesenen Vertreter für die Versammlung abgestimmt haben. Die Opposition sprach dagegen von nur rund 2,5 Millionen abgegebenen Stimmzetteln. Viele der Wahllokale am Sonntag im Land blieben leer - trotz der Drohungen, Einschüchterungen und Bitten Maduros per TV-Schalten, bis zur Schließung der Wahllokale noch abzustimmen.

Für die US-Regierung ist Maduro ein Diktator. Zum ersten Mal haben Vereinigten Staaten einen lateinamerikanischer Präsidenten mit direkten Finanzsanktionen bestraft. Mögliche Vermögenswerte und Konten von Maduro in den USA würden eingefroren und US-Bürgern alle Geschäfte mit ihm verboten.

Wie geht es jetzt weiter für Venezuela? Wird das Land in Chaos, Bürgerkrieg und Diktatur versinken? Drei Szenarios sind jetzt möglich.


Szenario 1: Kuba

Szenario 1: „Kuba“

Wahrscheinlichkeit: 50 Prozent

Maduro baut Venezuela zu einer linken Diktatur nach dem Vorbild Kubas aus. Das Castro-Regime liefert Maduro wie dessen Vorgänger Hugo Chávez seit langem Personal und Expertise bei der Organisation des Geheimdienstes und seiner Leibgarde. Politisch unterstützt und finanziert würde Venezuela dann durch Russland und China.

Dabei hilft, dass Maduro mit der entmachteten Legislative nun wieder Verträge mit ausländischen Investoren abschließen kann. Das konnte der Kongress bisher verhindern. Maduros Kassen sind leer. Er braucht dringend Geld, um seinen Machtapparat zu erhalten. Die Militärs wollen genauso wie seine Minister und die bewaffneten Milizen für ihre Loyalität gegenüber dem unbeliebten Präsidenten belohnt werden. Maduro wird also versuchen, von Russland und China neue Kredite für Lizenzen im Bergbau und Ölvorkommen zu bekommen.

Bereits einen Tag nach der Wahl kündigte Maduro an, die neue Versammlung werde schon rasch das Amt der Generalstaatsanwaltschaft umbauen. Dessen Chefin Luisa Ortega hatte die Pläne für die Verfassungsversammlung scharf kritisiert. Das Gremium kann alle anderen staatlichen Institutionen auflösen. Damit hätte Maduro auch die Möglichkeit, das von der Opposition kontrollierte Parlament aufzulösen, Wahlen hinauszuschieben und die Gesetze so zu verändern, dass die Sozialisten kaum abgewählt werden können.

Würden US-Präsident Trump Ernst machen und Ölimporte aus Venezuela boykottieren, dann wäre der Ausfall der Dollareinnahmen kurzfristig zwar fatal für Maduro. Er hätte jedoch damit das perfekte Alibi für seinen Repressionskurs – genauso wie Kubas Diktatoren jahrzehntelang alle Verantwortung an ihrer wirtschaftlichen Misere und autoritären Maßnahmen mit dem Boykott der USA rechtfertigen konnten.

Die Ölexporte und der staatlich organisierte Drogenhandel im großen Stil, würden die Militärs und paramilitärischen Milizen bei der Stange halten. Venezuela sei eine „Narcodiktatur“, schimpfte die Gattin des jetzt verhafteten Bürgermeisters Ledezma. Die USA haben gerade Dokumente veröffentlicht, nach denen Maduros Vize Tareck El Aissami, in den USA Vermögen von 500 Millionen Dollar besitzen soll. Der Vize-Präsident Venezuelas wird von den USA schon länger beschuldigt, Chef eines Drogenkartells zu sein. Zwei Neffen der Präsidentengattin Cilia Flores wurden dabei erwischt wie sie versuchten 800 Kilogramm Kokain in die USA zu schmuggeln.

Das „Modell Kuba“ wäre für die Bevölkerung fatal: Die Venezolaner würden weiter verarmen und an längst ausgemerzten Krankheiten wie Diphterie und Malaria sterben. Bereits jetzt haben 80 Prozent der Bevölkerung zu wenig zu essen. Junge und gut ausgebildete Venezolaner würden weiter auswandern. Während der gewaltsamen Auseinandersetzungen der letzten drei Monate sind bereits hunderttausende Venezolaner ins benachbarte Lateinamerika, in die USA und vor allem Spanien geflüchtet. Der „Braindrain“, also die Abwanderung von qualifizierten Fachkräften, wird sich verschärfen.


Szenario 2: Der Militärputsch

Szenario 2: „Militärrevolte und Regierungswechsel“

Wahrscheinlichkeit: 40 Prozent

Teile des Militärs künden Maduro seine Unterstützung auf. Die rebellischen Soldaten verbünden sich mit der Opposition, sowie überlaufenden Regierungsmitgliedern um die abtrünnige Generalstaatsanwältin Luisa Ortega Díaz. Die Folge wäre ein Bürgerkrieg. Wie lange er anhalten würde, ist kaum einzuschätzen. In Caracas kursieren Gerüchte, dass hinter den Kulissen bereits zwischen Militärs und Opposition verhandelt wird. Als ein Indiz dafür, dass die Militärs einen Machtwechsel unterstützten könnten, wird gewertet, dass Verteidigungsminister Vladimir Padrino López nicht von den USA abgestraft wurde.

Dadurch ständen die Türen offen, für eine Beteiligung der Militärs an einer neuen Regierung. Die Repression innerhalb der Militärs nimmt ebenfalls zu. Um die Unzufriedenen in den Rängen zu neutralisieren, sollen jetzt alle Uniformierten nach Hause geschickt worden sein, die seit zwei Jahren nicht befördert worden sind. Es gibt mit 2000 Generälen bereits jetzt einen Überschuss an Führungspersonal.

100 Militärs sollen im Gefängnis sitzen. Im schlimmsten Falle könnte die Krise in Venezuela sich zu einem anhaltenden Bürgerkrieg ausweiten, wie in Syrien, mit einem kaum kaschierten Stellvertreterkrieg der Weltmächte USA, China und Russland um die Ölvorkommen des Landes. Doch davon ist Venezuela noch weit entfernt.


Szenario 3: Neuwahlen

Szenario 3: „Neuwahlen nach Dialog unter internationaler Vermittlung und Straffreiheit für Maduros Clique“

Wahrscheinlichkeit: 10 Prozent

Die Ausschreitungen und Gewaltproteste halten an, der internationale Druck auf die venezolanische Regierung steigt. Maduro und seine engere Führungsriege nutzen ihre verbleibende Macht und verhandeln aus einer Position der Stärke heraus mit einer Koalition befreundeter, neutraler Staaten mit der Opposition Straffreiheit oder Exil aus. Nach ihrem freiwilligen Abtritt würden Neuwahlen für Ende 2018 anberaumt. Das Maduro allerdings freiwillig seine Machtposition aufgibt, ist nicht sehr wahrscheinlich. Das letzte und glimpflichste der drei Szenarien für Venezuela ist somit leider keine Option, auf die die Venezolaner hoffen können. So fatal es klingen mag: Das Drama in Venezuela wird noch ein paar Kapitel fortwähren.

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