Es war am 30. Juli 1914, kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs. Der SPD-Parteivorstand traf sich zu Beratungen über den bevorstehenden Kriegsfall. Friedrich Ebert und Schatzmeister Otto Braun entschieden, die Parteikasse in die Schweiz zu bringen. Das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“, das von 1878 bis 1890 galt, war ein unvergesslicher Warnschuss gewesen. Die Parteimitglieder wussten, im Kriegsfalle würde die Partei verboten, führende Mitglieder verhaftet und das Geld beschlagnahmt.
Das müssen Sie zu den Panama Leaks wissen
Der "Süddeutschen Zeitung" sind nach eigenen Angaben umfassende Daten über Briefkastenfirmen zahlreicher Politiker zugespielt worden. Insgesamt gehe es um 11,5 Millionen Dokumente zu 214.000 Briefkastenfirmen, die von einer Kanzlei aus Panama gegründet worden seien. Die Dokumente würden ein detailliertes Bild darüber abgeben, wie diese Firma "Tag für Tag Sanktionsbrüche und Beihilfe zur Steuerhinterziehung und Geldwäsche in Kauf nimmt". Es gebe Unterlagen über mutmaßliche Offshore-Firmen von zwölf aktuellen und früheren Staatschefs sowie Spuren zu Dutzenden weiteren Spitzenpolitikern, ihren Familien, engsten Beratern und Freunden. Zudem fänden sich fast 130 weitere Politiker aus aller Welt unter den Kunden der Kanzlei, darunter viele Minister. Zur Überblicksseite: www.panamapapers.de
Quelle: dpa/reuters
Die Unterlagen sollen E-Mails, Urkunden, Kontoauszüge, Passkopien und weitere Dokumente zu rund 214.000 Gesellschaften umfassen, vor allem in Panama und den Britischen Jungferninseln. Der Datensatz wurde der „Süddeutschen Zeitung“ von einer anonymen Quelle zugespielt. Die „Süddeutsche Zeitung“ teilte die Daten mit dem Internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) und Partnern auf der ganzen Welt. Etwa 370 Journalisten aus 78 Ländern haben im Zuge der Recherchen den Datenschatz aus rund 11,5 Millionen Dateien ausgewertet. Es handle sich um „ein gigantisches Leak in einer bislang nicht vorstellbaren Dimension von rund 2,6 Terabyte“.
Die Kanzlei Mossack Fonseca aus Panama bietet die Gründung und Verwaltung von Offshorefirmen an. Nach eigenen Angaben beschäftigt das Unternehmen über 500 Mitarbeiter auf der ganzen Welt. Die Kanzlei ist demnach in Belize, den Niederlanden, Costa Rica, Großbritannien, Malta, Hong Kong, Zypern, den Britischen Jungfern-Inseln, Bahamas, Panama, Anguilla, Seychellen, Samoa und den US-Bundesstaaten Nevada und Wyoming tätig.
Mossack Fonseca bietet zudem Rechtsberatung unter anderem in den Bereichen Finanzen, geistiges Eigentum und öffentliche Ausschreibungen an. Außerdem setzt die Kanzlei Treuhandfonds und private Stiftungen auf und verwaltet sie.
Gegründet wurde die Kanzlei 1977 von dem deutschstämmigen Rechtsanwalt Jürgen Mossack. 1986 tat er sich mit dem Panamaer Ramón Fonseca Mora zusammen. Der Anwalt, Schriftsteller und Politiker war bis vor kurzem Berater von Staatschef Juan Carlos Varela. Wegen Ermittlungen gegen Mossack Fonseca in Brasilien lässt er seine Beratertätigkeit derzeit ruhen.
Panama ist einer der wichtigsten Finanzplätze in Lateinamerika. Ein äußerst liberales Bankengesetz lockte zahlreiche Kreditinstitute nach Mittelamerika. Die Finanzkrise ging an Panama weitgehend vorbei und brachte dem Finanzplatz sogar zusätzliche Investitionen.
Nachdem sich die Schweiz zuletzt von ihrem Bankgeheimnis verabschiedet hatte, galt Panama vielen als neue Steueroase. Immer wieder gibt es Berichte über illegale Transaktionen. In den Achtzigerjahren war das Land das Bankenzentrum der kolumbianischen Drogenkartelle. Zuletzt bemühte sich Panama allerdings darum, dieses Image loswerden und sich als seriöser Finanzplatz zu positionieren.
So erließ die Regierung eine Reihe neuer Richtlinien für Banken, Versicherungen, Immobilienfirmen sowie Wertpapier- und Edelsteinbörsen. Im Februar strich der OECD-Arbeitskreis für Maßnahmen zur Geldwäschebekämpfung (Gafi) Panama von der grauen Liste, auf der Staaten geführt werden, die beim internationalen Austausch von Finanz- und Steuerinformationen noch hinterherhinken. Der Internationale Währungsfonds (IWF) lobt in seinem jüngsten Bericht die Stabilität des Bankensektors.
Geschichte wiederholt sich nicht, und es verbietet sich, historische Situationen zu vergleichen. Und dennoch kann geschichtliche Erfahrung Anlass sein, sorgsam nach Ursache und Wirkung, nach Gesetzmäßigkeit und Rechtmäßigkeit, nach Legalität und Moralität zu unterscheiden.
Die Berichterstattung des internationalen Recherchekonsortiums zum Massengeschäft mit Briefkastenfirmen in Panama ist ein Coup. In der Sache und in eigener Sache. Und die Diskussion verläuft ganz wie erwartet: Entrüstung auf der ganzen Linie. Die Regulierer müssen ran, Gesetze müssen verschärft werden, Begründer von Briefkastenfirmen gehören geächtet.
Der moralische Abgrund ist bei Steuerhinterziehung besonders tief, weil sie oft mit organisierter Kriminalität, Geldwäsche und Korruption einhergeht. Und doch ist er nicht geeignet, alles hineinzukippen, was gerade in thematischer Näherung des medialen Weges kommt.
Es gibt Fälle, so betont auch der neue Chef des ifo Instituts, Clemens Fuest, in denen Briefkastenfirmen nicht nur wirtschaftlich sinnvoll, sondern auch rechtlich unbedenklich sind. Das gilt beispielsweise für Dissidenten in China oder anderen Staaten, in denen Regierungsgegner als Maßnahme politischer Willfährigkeit gerne enteignet werden. Es gilt auch für Unternehmer in der Ukraine. Bei einem weiteren Einmarsch der Russen wäre das Unternehmensvermögen schnell weg. Und selbst bei einem Oligarchen wie Petro Poroschenko sollte nach dem Rechtsstaatsprinzip die Unschuldsvermutung so lange gelten, bis das Gegenteil bewiesen ist. Poroschenko ist kein Sympath. Aber das ist nicht gesetzeswidrig. Poroschenko hat gravierende politische Fehler gemacht, als er im Wahlkampf versprochen hat, sein Unternehmen zu verkaufen und ganz dem Land zu dienen. Dass er dieses Versprechen als Präsident der Ukraine nicht gehalten hat, muss sein Volk, nicht aber die Steuerbehörde ahnden. Die kommt ins Spiel, wenn er tatsächlich Steuern hinterzogen hat.
Vorschnell sind die schäumenden Forderungen nach strengeren Gesetzen. Sie kommen in vielen Fällen ohne saubere Trennung zwischen Legalität und Moralität aus, die eine demokratische Gesellschaft dringend braucht. Man muss sich als Mitglied einer Gesellschaft an die Gesetze halten. An die Moralvorstellungen nicht.
Die OECD hat den Common Reporting Standard zum Austausch von Steuerdaten entwickelt. Das Abkommen tritt 2017 in Kraft und soll genau die Probleme lösen, die in den Panama-Papieren dokumentiert sind. Nicht mit dabei sind bislang übrigens die USA, die zwar gerne Daten sammeln, aber keine herausgeben. Man muss nicht bis zum Ersten Weltkrieg zurückgehen, um zu erkennen: Feines Unterscheiden hilft. Und Doppelmoral ist keine Erfindung aus Panama.
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