Elio Di Rupo Belgiens „linguistisch asexueller“ Premier

Ohne seine rote Fliege geht er nicht aus dem Haus: Belgiens neuer Premier Elio Di Rupo trägt Rot - aus Überzeugung. Dass ihm ein großer Teil der Bevölkerung noch misstraut, liegt aber nicht an seinem Kleidungsstil.

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Elio Di Rupo, Belgiens neuer Premierminister. Quelle: Reuters

Brüssel Sein Markenzeichen ist die rote Fliege. Rot für die Farbe seiner Partei, der Sozialisten. Der stets elegant gekleidete Elio Di Rupo wird Belgiens neuer Premierminister. Damit steht erstmals seit 37 Jahren wieder ein Politiker des französischsprachigen Südens an der Spitze der Regierung.

Die Personalie ist in dem Land, das vom Streit der Sprachgruppen zerrissen wird, von großer Bedeutung - und sie ist zugleich umstritten. Viele niederländisch sprechende Flamen, die 60 Prozent der Bevölkerung stellen, misstrauen Di Rupo noch.

Der 60-jährige spricht die Sprache des anderen Landesteils nur gebrochen. Seine aus Flandern stammenden Vorgänger parlierten dagegen fließend Französisch. Erst kürzlich radebrechte sich Di Rupo in lückenhaftem Niederländisch durch einen Auftritt vor dem Parlament. Nun fordern Politiker aus dem flämischen Norden zum Ausgleich einen Ministerposten mehr. Bisher galt der Premierminister stets als über den Sprachenstreit erhaben. Ein „linguistisch asexueller“ Premier, wie er in Belgien genannt wird, wird bei der sorgsam austarierten Balance zwischen Flamen und Französischsprachigen am Kabinettstisch nicht mitgerechnet.

Di Rupo ist der erste Wallone an der Regierungsspitze seit Edmund Leburton, dessen zweite Amtszeit 1974 endete. Als echter Zweisprachler gilt in Belgien Premier Paul Vanden Boeynants, dessen Zeit als Premier 1979 endete. Danach hatte immer ein Flame das Amt inne.

Doch nicht nur an Di Rupos holprigen Flämisch nehmen flämische Politiker Anstoß. Vielen gilt der zweimalige wallonische Ministerpräsident als Symbolfigur für die jahrzehntelange Misswirtschaft der armen, von flämischen Transfergeldern abhängigen Wallonie. Andererseits ist Verhandlungsführer Di Rupo das Wunder der Regierungsbildung gelungen, 535 Tage nach den Parlamentswahlen im Sommer 2010. Eine Alternative holen auch Kritiker nach all den gescheiterten Anläufen nicht so leicht aus dem Hut.


Ein Immigrantenkind an der Spitze

Für Di Rupo ist es die Krönung einer außergewöhnlichen Karriere, die das Immigrantenkind an die Spitze des Staates katapultiert. Erst ein Jahr alt war der Sohn italienischer Einwanderer, als sein Vater, ein Bergmann, starb. Der kleine Elio und seine sechs Geschwister wuchsen in Armut auf. Dank Stipendien konnte Di Rupo Chemie studieren, promovierte und stieg an der Universität schnell zum sozialistischen Studentenführer auf. „Das ist der amerikanische Traum in Belgien“, sagte dazu kürzlich der flämische liberale Politiker Vincent Van Quickenborne der belgischen Tageszeitung „Le Soir“.

Nach seinem Wechsel in die Politik bekleidete Di Rupo zahlreiche Ämter, war belgischer Vize-Premier, wurde zweimal Ministerpräsident der Wallonie und ist seit 2001 Bürgermeister der Stadt Mons. Seit zwölf Jahren steht er an der Spitze der Parti Socialiste (PS). Seine politische Karriere wäre 1996 fast zu Ende gewesen, als der bekennende Homosexuelle von einem Minderjährigen des Missbrauchs beschuldigt wurde. Der Politiker konnte die Vorwürfe aber entkräften.

Seine Herkunft hat den Kunstliebhaber geprägt. Di Rupo vertritt klassische linke Positionen. „Wir legen unser Augenmerk auf die Schwächsten der Gesellschaft, Menschen mit kleinen Einkommen, auf Arbeiter und Angestellte“, schreibt Di Rupo über das Programm seiner Partei. Krisenunternehmen greift er mit Staatsgeld unter die Arme, von Sparprogrammen in der Krise hält er wenig - obwohl Belgiens Schuldenquote bei nahezu 100 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt.

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