Enda Kenny auf Deutschland-Besuch Irlands Premier plädiert für weichen Brexit

Großbritanniens Nachbar Irland ist vom Brexit am stärksten betroffen. Irlands Premier Enda Kenny ist überzeugter Europäer – und wirbt beim Deutschland-Besuch für die Zukunft für eine engere Beziehung zwischen EU und Großbritannien. Auf eine neue Art.

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Die Iren sind überzeugte Europäer - hängen aber auch an Großbritannien. Quelle: dpa

Frankfurt Enda Kenny muss viele Hände schütteln. Nach einem Lunch mit rund 175 Vertretern irischer und deutscher Unternehmen im Nobelhotel Frankfurter Hof geht er von Tisch zu Tisch, und mitunter gibt es auch herzliche Umarmungen. Geladen zum Lunch mit dem „Taioseach“, wie der Premier in Irland auf gälisch genannt wird, hatte am Freitag die staatliche irische Wirtschaftsförderungsagentur Enterprise Ireland, bevor es für Kenny weiter zu einem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel in Berlin ging.

Dabei ist Kenny auf schwieriger Mission. Großbritanniens Nachbar Irland mit der einzigen faktischen Landesgrenze zum Königreich ist vom Brexit am stärksten betroffen. Irlands Premier wirbt beim Deutschland-Besuch dafür, die Brücken zum Vereinigten Königreich nicht abzureißen.

Kennys Dilemma: Mit ihrer Entscheidung haben die Briten viele Europäer verärgert, und Kenny ist überzeugter Europäer. „Die Europäische Union hat unser Land verändert“, sagt der 65jährige. „Wenn Sie Irland vor 50 Jahren besucht hätten, hätten sie ein introvertiertes, rückwärts gewandtes und sehr auf die Landwirtschaft fokussiertes Land vorgefunden.“ Dahin will der Premier nicht zurück, und auch die Iren wollen es nicht. In Meinungsumfragen äußern sich regelmäßig mehr als 80 Prozent der Iren positiv zur EU.

Auf der anderen Seite ist Irland eben stark mit Großbritannien verbunden. 40 Prozent der Exporte irischer Unternehmen gehen nach Großbritannien. Kenny sitzt deshalb gewissermaßen zwischen den Stühlen: „Wir wollen eine engere Beziehung zwischen der Europäischen Union und Großbritannien – auf eine neue Art“, sagt der Premier dem Handelsblatt am Rande des Treffens in Frankfurt.

Als wäre dies nicht schon schwierig genug, will er auch die Beziehungen zu den USA verbessern. Die Europäische Union und die USA seien „die wirtschaftlich am meisten entwickelten Regionen des Planeten“, sagt Kenny zum Handelsblatt. Wenn man Wege finde sich mit den USA über Handelskonditionen zu einigen, werde dies den Wirtschaftsräumen auf beiden Seiten des Atlantiks helfen und können helfen mehrere Millionen Jobs in den USA und in Europa zu schaffen. US-Präsident Donald Trump, dessen Ansichten er vor Trumps Wahl noch als „rassistisch“ beschimpfte, hatte Kenny bereits im März getroffen.

Doch jetzt ist erst einmal die Zukunft der Europäischen Union und der Beginn der Brexit-Verhandlungen wichtig. Daran wird Kenny selbst aber wohl nur noch am Anfang teilnehmen. Seine unglückliche Kommunikation über einen Polizeiskandal in Irland, der schon vor fast zehn Jahren begann, wird den seit 2011 amtierenden Premier wohl zum Rücktritt zwingen. Bevor er sich gegenüber seiner Partei dazu äußert, will er aber noch am 29. April an der Tagung des Europäischen Rats teilnehmen, der sich mit der Frage der Leitlinien für die Austrittsverhandlungen mit Großbritannien beschäftigt.

Das Nordirland-Problem

Dabei solle explizit auch über die Erwartungen Irlands an die zukünftige Situation gesprochen werden, betont Bundeskanzlerin Merkel anlässlich des Besuchs von Kenny in Berlin. „Dabei geht es auf der einen Seite um die ökonomischen Verflechtungen, aber es geht natürlich auch um Fragen von Frieden und Sicherheit“, sagt Merkel mit Blick auf die Situation in Nordirland.

Nach dem Brexit wird die einzige Außengrenze der EU zwischen Irland und dem zu Großbritannien gehörenden Nordirland gehören, wobei beide Länder praktisch einen gemeinsamen Binnenmarkt im Kleinen haben. Irland drängt darauf, dass die Grenze auch nach dem Brexit offen bleibt. Unterstützung dafür hatten zuvor auch schon Großbritanniens Premierminister Theresa May und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker signalisiert.

Noch wichtiger als die wirtschaftlichen Verflechtungen ist mit Blick auf Nordirland ist dabei die Sicherung des Friedens zwischen Irland und Nordirland. Beendet wurde diese jahrzehntelange blutige Auseinandersetzung zwischen dem weitgehend katholischen Irland und dem protestantischen Nordirland erst 1998 durch das sogenannte Karfreitagsabkommen. Großbritannien und Irland sind dabei als Garantiemächte des Abkommens eng verbunden sind. Dabei verzichtete die Republik Irland auf die Wiedervereinigung mit Nordirland, die bis dahin in der Verfassung verankert war.

Zu einer Wiedervereinigung der beiden Länder könnte es nur kommen, wenn die Nordiren in einem Referendum dafür stimmen. Kenny drängt dabei darauf, dass im Brexit-Vertrag eine Klausel enthalten ist, wonach im Falle einer Vereinigung von Nordirland und Irland, Nordirland automatisch Mitglied der EU würde - ähnlich wie die DDR nach der deutschen Wiedervereinigung. Das sei auch im Abkommen von 1998 für den Fall eines Vereinigten Irlands so vorgesehen gesehen „lange bevor überhaupt jemand an einen Brexit gedacht hat“, betont Kenny im Gespräch mit dem Handelsblatt. Deshalb wolle er, dass der Brexit-Vertrag Nordirland im Falle einer Vereinigung die Mitgliedschaft in der EU ermögliche.

Aber glaubt er tatsächlich daran, dass es ein solches Referendum geben wird. „Das kann ich nicht sagen, aber die Situation könnte es eines Tages durchaus geben“, sagt der Premierminister. Immerhin hätten die Nordiren - wie auch die Schotten - mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt.

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