Energieversorgung Wenn in Kiew das Licht ausgeht

Die Lichterketten leuchten, doch die Wohnungen bleiben kalt. Denn die Energieversorgung der Ukraine steht kurz vor dem Zusammenbruch. Die offizielle Erklärung dafür ist der Krieg – doch der ist nicht der einzige Grund.

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Der Unabhängigkeitsplatz in Kiew ist hell erleuchtet – doch wie lange noch? Der Ukraine droht ein Energienotstand. Quelle: Imago

Kiew Stromausfall in mehr als 100 Städten und Siedlungen, Minister, die sich weltweit nach Kohlelieferungen umsehen, und Oligarchen, die das Land sehenden Auges in eine gefährliche Energiekrise hineinreiten: Als ob die Ukraine mit dem Krieg im Donbass und einer schweren Wirtschaftskrise nicht genug zu tun hätte, droht nun auch noch ein Energienotstand.

Wer dieser Tage durch Kiew geht, dem fällt nicht auf, dass die Energieversorgung des Landes kurz vor dem Zusammenbruch steht. Im Gegenteil, an den Gebäuden in der Kiewer Innenstadt werden Lichterketten angebracht, am 19. Dezember, dem Nikolaustag in der orthodoxen Kirche, beginnt die Vorweihnachtszeit.

Doch wer an den Stadtrand oder in die Dörfer der Zentralukraine fährt, trifft auf Stromabschaltung und kalte Stuben. „Derzeit können weder die Kernkraftwerke, die Kohlekraftwerke oder die Wasserkraftwerke ihre volle Leistung bringen, weil schlicht überall Kohle oder Gas fehlen“, sagt ein Mitarbeiter der Parlamentsfraktion Samopomitsch, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte.

Wir einigen uns darauf, ihn Alexander zu nennen. Die offizielle Erklärung für den Energiemangel in diesem Winter ist der Krieg in der Ost-Ukraine. „Doch das ist nur die halbe Wahrheit“, gibt sich Alexander überzeugt. Seiner Meinung nach spielen auch ukrainische Oligarchen mit, die engste geschäftliche Verbindungen zu Russland unterhalten und in den vergangenen zwei Jahrzehnten steinreich mit einer eher fragwürdigen Energiekooperation mit Russlands Energiemonopolisten geworden sind.

Russland liefert nicht nur riesige Mengen Erdgas. Auch Kohle und Brennstäbe für die insgesamt vier Atomkraftwerke, die zusammen 30 Prozent des ukrainischen Energiebedarfs decken, kommen vom großen Nachbarn. „Das hat Tradition, ist seit der Sowjetunion so, und wenn es nach denjenigen geht, die sich daran eine goldene Nase verdienen, soll es auch so bleiben“, sagt Alexander.

Die Ukraine gilt als einer der größten Verbraucher russischen Erdgases überhaupt, zuletzt importierte Kiew pro Jahr rund 30 Milliarden Kubikmeter. Für russischen Atombrennstoff zahlt die Ukraine pro Jahr 600 Millionen US-Dollar, das Land ist zu 90 Prozent abhängig von Lieferungen aus Russland. Ähnlich sieht es bei der Kohle aus. Früher hat die Ukraine exportiert, dieses Jahr fehlen Millionen Tonnen. Dabei liefern die Kohlekraftwerke etwa 40 Prozent des ukrainischen Stroms. Derzeit werden von potenziellen 55.000 Megawatt an Stromproduktion nur etwa 26.000 Megawatt hergestellt.


Regierung steht mit dem Rücken zur Wand

In den Rebellenhochburgen in der Ost-Ukraine stehen Kohlebergwerke still, weil Infrastruktur zerstört ist und die Separatisten die Ware zurückhalten. Präsident Petro Poroschenko ist Anfang Dezember selber auf Staatsbesuch nach Australien gefahren, um dort Verkaufsverträge für Kohle abzuschließen.

Dabei steht die ukrainische Regierung mit dem Rücken zur Wand. Das Land hat in diesem Jahr fast 30 Milliarden US-Dollar an Kreditzusagen bekommen, unter anderem 17 Mrd. US-Dollar vom Internationalen Währungsfonds. Bis 2016 werden nach verschiedenen Berechnungen weitere 35 Milliarden US-Dollar gebraucht, um einen Staatsbankrott des Landes abzuwenden. Die Landeswährung Griwna hat seit Anfang des Jahres fast 60 Prozent ihres Wertes verloren. Das Wachstum ist 2014 um acht Prozent eingebrochen, die Inflation liegt bei 21 Prozent.

Die Regierung hat in den vergangenen Monaten zwar versucht, drastische Reformen im Energie- und Bankensektor durchzusetzen, doch bisher wenig erfolgreich. Wie auch, wenn bislang jeder Energieminister oder Chef des Staatskonzerns Naftogaz selber kräftig auf dem Gebiet mitverdient hat. Ob sich das mit dem neuen Energieminister Wladimir Demschischin, seit Anfang Dezember im Amt, grundlegend ändert, bleibt abzuwarten.

Demschischins Vorgänger Juri Prodan, der von Februar bis Dezember das Ressort führte, zeigte jedenfalls keinen besonderen Reformeifer. Kein Wunder, ist er doch selber im Energiegeschäft tätig, sein Bruder sitzt sogar im Aufsichtsrat bei einem russischen Stromanbieter, der als Hauptvertragspartner des größten ukrainischen Stromerzeugers „Centrenergo“ gilt.

Solche Verbindungen sind im ukrainischen Energiesektor keine Einzelfälle. Besonders groß ist die Kritik derzeit an den Verbindungen Sergej Kurtschenkos, dem in Deutschland die Tankstellen-Kette „Sparschweingas“ gehört. Der 29-Jährige gilt als „Energiemanager“ des im Februar gestürzten und nach Russland geflüchteten Ex-Präsidenten Viktor Janukowitsch. Trotz der politischen Umwälzungen in der Ukraine ist Kurtschenko nach wie vor im Geschäft und ist innerhalb weniger Jahre, dank bester Verbindungen zu Oligarch Dmitri Firtasch, selber zum Milliardär geworden.

Kurtschenkos Geschäftsmodell funktionierte nur, weil Firtasch enge Kontakte zum Kreml hat und aus Russland Energie zum Vorzugspreis erhält. Kurtschenko hat russisches Erdgas aus Russland bezogen und in der Ukraine weiterverkauft. Alleine in den Jahren 2012 und 2013 soll er 3,2 Mrd. Kubikmeter Gas zum Preis von 397 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter gekauft haben, berichtet die Wochenzeitung „Kyiv Post“.


Energieexperten zweifeln an Veränderungen

Ein Teil ging zum Vorzugspreis und unversteuert an die Chemiefirmen von Oligarch Firtasch. Die staatliche ukrainische Naftogaz musste 430 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter zahlen, zudem erstattet Kurtschenkos Firma „Lidergaz“ die Mehrwertsteuer nicht ans Finanzamt zurück. Allein mit dieser Konstruktion soll das Unternehmen einen Gewinn von 100 Millionen US-Dollar gemacht haben.

Dmitri Firtasch ist nicht der einzige, der durch enge Verbindungen nach Russland das alte System nicht aufgeben will. Auch die Atomindustrie hat kein Interesse daran, dass sich an den ukrainischen und russischen Geschäftsbeziehungen Dritte beteiligen. Ausgerechnet in der Partei von Regierungschef Arsenij Jazenjuk sitzt ein Mann, der in der Vergangenheit prächtig an der Kooperation verdient hat.

Nikolai Martinenko ist gerade zum Vorsitzenden des Parlamentsausschusses für Energie gewählt worden und hat nach Recherchen der Tageszeitung „Den“ Brennelemente aus Russland für den ukrainischen Staatskonzern „Energoatom“ bezogen. Obwohl sich der eigentliche Wert auf 250 Millionen US-Dollar belief, seien lediglich 50 Millionen US-Dollar auf den Rechnungen aufgetaucht.

Diese Praxis ließe sich an weiteren Beispielen illustrieren. Pawlo Scheremeta hat unzählige solcher Fälle dokumentiert. Er war von Februar bis August Wirtschaftsminister in der Übergangsregierung von Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk. Seinen Rücktritt reichte der Volkswirt aus Protest gegen den alten Filz ein. Seine Pläne, die ukrainische Wirtschaft zu deregulieren und zu entmonopolisieren, seien nicht nur im Kabinett „auf taube Ohren gestoßen“. Auch die Wirtschaftsvertreter seien „Sturm gegen jede Art von Reformen gelaufen“.

Nun hat die Ukraine zwar seit Ende Oktober ein neues Parlament und seit Anfang Dezember eine neue Regierung, doch selbst Energieexperten wie Michail Gontschar, Direktor beim Zentrum für Globale Studien, zweifeln daran, dass es in absehbarer Zeit grundlegende Veränderungen im Energiebereich geben wird.

Die Loyalität vieler Politiker gegenüber den Oligarchen sei nach wie vor zu hoch, zudem seien immer noch zu viele „Entscheidungsträger der alten Garde“ im Parlament und in der Regierung vertreten, sagte Gontschar im ukrainischen Fernsehen.

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