Entwicklungshilfe in Nahost „Kommst du nicht zur Krise, dann kommt sie zu dir“

Entwicklungshilfe galt lange als Nischenthema für Dauerbetroffene mit Helfersyndrom. Das hat sich radikal gewandelt. Spätestens seit der Flüchtlingskrise steht die deutsche Entwicklungshilfe unter einem neuen Leitmotiv.

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Eine syrische Flüchtlingsfamilie vor ihrer selbstgebauten Behausung in der libanesischen Stadt Bar Elias. Quelle: AP

Amman/Beirut Aus Holzlatten und Plastikplanen hat Issa Schaaban (42) das Zelt für seine 16-köpfige Familie zusammengezimmert. Im ersten Jahr schliefen sie noch auf dem Lehmboden. Jetzt hat er einen Boden aus Beton gegossen, damit sie nicht im Schlamm sitzen. Er könnte auch Steine heranschaffen und Mauern hochziehen, damit die Kinder im Winter nicht so frieren. Doch das ist nicht erlaubt. Die libanesische Regierung, die Gemeinde Bar Elias und auch die Nachbarn wollen es nicht.

Ibrahim Araradschi gehört der Kartoffelacker, auf dem Schaaban seine Behausung errichtet hat. Für jeden der 56 „Zeltplätze“, die er an syrische Flüchtlinge „vermietet“, nimmt er pro Jahr 400 US-Dollar. Offizielle Flüchtlingslager gibt es im Libanon nicht. Denn die Libanesen wollen um jeden Preis verhindern, dass die Syrer, falls der Krieg in ihrer Heimat noch lange dauern sollte, im Libanon heimisch werden. Der Libanon mit seinen rund 4,4 Millionen Einwohnern hat seit 2012 mehr als 1,2 Millionen Syrer ins Land gelassen. Das ist eine Last. Das räumen auch die Hilfsorganisationen ein, die in diesem politischen Minenfeld versuchen, die schlimmste Not zu lindern.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU), der an diesem wolkenlosen Herbsttag in Schaabans selbstgezimmertes Zuhause tritt, ist nicht der erste Ausländer, der das Zeltlager besucht. Jedes Mal hofft der Vater von zwölf Kindern, dass ihm jemand hilft. Er will seine Arbeitsgenehmigung erneuern, sein ältester Sohn hat keine Aufenthaltsgenehmigung und wagt sich deshalb nicht aus dem Lager, aus Angst, nach Syrien deportiert zu werden. Schaaban will, dass im Lager eine Schule eröffnet wird. Jedes Mal wurde Schaaban enttäuscht.

Diesmal hat er eine andere Idee. „Das ist Nada, meine jüngste Tochter“, sagt er zu dem Minister aus Deutschland, „nimm sie mit, dann wird sie ein besseres Leben haben“. Schaaban ruft seine Frau. Sie streckt dem Besucher ihr Baby entgegen. Die Kleine im gelben Kleid umklammert einen Finger des Ministers. Dann zieht die Delegation aus Deutschland weiter.


Deutschland profitiert von besserer Situation in Syriens Nachbarstaaten

Müller ist bei solchen Terminen in seinem Element. Wenn er sich mit den Flüchtlingen in ihr „Wohnzimmer“ setzt, zieht er die Schuhe aus. Müller mag keine Redemanuskripte. Er textet lieber einfach los. Da kommen dann auch bei offiziellen Terminen manchmal Sätze bei heraus, die schlicht klingen – und ehrlich. So wie am Vortag nach dem Gespräch mit vier Mitgliedern des jordanischen Kabinetts. Müller sagt: „Wir helfen aus humanitären Gründen, haben aber auch ein Eigeninteresse“.

Doch wie profitiert Deutschland selbst, wenn es Geld gibt für die Lebensmittelgutscheine, die in Bar Elias verteilt werden? Was haben wir davon, wenn die Bundesregierung konkret dem Syrer Ahmed al-Haj Ali 20 US-Dollar pro Tag dafür zahlt, dass er mit Schaufel und Spitzhacke den zerbröselnden Asphalt einer alten Straße in einem ländlichen Gebiet im Norden von Jordanien bearbeitet?

Es geht wohl, neben allen humanitären Motiven auch darum, zu verhindern, dass sich noch einmal so viele Menschen auf den Weg nach Europa machen, weil im vergangenen Jahr – weil in ihrer Heimat gekämpft oder gefoltert wird, oder weil ihnen ihr Leben dort, wo sie geboren sind, nicht so lebenswert erscheint.

Mit einem Dreiklang aus Beschäftigungsförderung, Bildungsangeboten und Infrastrukturprojekten sollen die Menschen motiviert werden, da zu bleiben, wo sie sind. Sei es in ihrer Heimat oder in einem benachbarten Staat. Da werden Regierungen beschwichtigt und mit Projekten bei der Stange gehalten, so wie im Libanon.

Doch es sind eben nicht nur die Syrer, die jede Hoffnung auf ein Leben in Würde verloren haben. In Ägypten, wo die wirtschaftlichen Probleme zunehmen und die Meinungsfreiheit eingeschränkt wird, passiert im Moment genau das, was vorher schon in Libyen zu beobachten war: Wo sich früher nur Flüchtlinge aus anderen Staaten in die Hände von Schlepper begaben, steigen nun auch Einheimische in die Boote.

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