Erdogan greift weiter durch Türkei entlässt weitere 4464 Staatsbedienstete

Mehr als ein halbes Jahr nach dem gescheiterten Putschversuch entlässt die Türkei weitere 4464 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes. Betroffen sind vor allem Mitarbeiter des Bildungsministeriums.

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Einwandererkind, Häftling, Staatspräsident
Vom Häftling zum StaatspräsidentenRecep Tayyip Erdogan ist seit dem 28. August 2014 Staatspräsident der Türkei. Zuvor war er von 2003 bis 2014 Ministerpräsident. Seine politische Laufbahn begann im Jahr 1994, als er zum Oberbürgermeister von Istanbul gewählt wurde. Im Vorfeld bekleidete er bereits mehrere Parteiämter in der „Wohlfahrtspartei“. Im Jahr 1998 wurde er wegen „Missbrauchs der Grundrechte und -freiheiten“ zu zehn Monaten Gefängnis verurteilt, allerdings bereits nach vier Monaten wieder entlassen. Im Jahr 2001 gründete er die Gerechtigkeits- und Aufschwungpartei „AKP“, mit der er im Jahr 2002 überraschend den Wahlsieg holte. Quelle: REUTERS
Familie stammt aus GeorgienErdogan wurde am 26. Februar 1954 in Istanbul als Sohn eines Seemanns geboren. Die Familie stammt ursprünglich aus Georgien und war in die Türkei eingewandert. Er hat eine Schwester und drei Brüder. Mit seiner Frau Emine ist Recep Erdogan seit 1978 verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne und zwei Töchter. Das Bild zeigt Erdogans Schwiegersohn Berat Albayrak, seine Tochter Esra Albayrak sowie Ehefrau Emine (v. l.). Quelle: dpa
„Vater der Türken“In seiner Anfangszeit als Ministerpräsident war Erdogan noch ein Hoffnungsträger des Westens und galt als reformwilliger und moderner Politiker. Mehr und mehr zeichnete sich jedoch ein autokratischer Führungsstil ab. Erdogan inszeniert sich als eine Art „Vater der Türken“ und will das Bild eines mächtigen Staatslenkers vermitteln. Dabei macht er nicht Halt vor einem harten Durchgreifen gegen politische Gegner, freie Journalisten und Kritiker seiner Politik. Quelle: REUTERS
Zeichen der MachtDer neue Präsidentenpalast in Ankara unterstreicht die imperialistischen Züge der Politik Erdogans. Das Gebäude hat eine Grundfläche von etwa 40.000 Quadratmetern und verfügt über circa 1000 Zimmer. Die Baukosten beliefen sich auf mehr als 490 Millionen Euro. Offiziell handelt es sich bei dem Palast um einen Schwarzbau, da dieser in einem Naturschutzgebiet errichtet wurde. Mehrere Gerichte hoben die Baugenehmigung auf und ordneten einen Baustopp an. Auch das oberste Verwaltungsgericht der Türkei erklärte den Bau für rechtswidrig. Der damalige Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan ignorierte diese Urteile und ließ den Palast weiterbauen. Quelle: dpa
Ziemlich beste Freunde?Das Verhältnis zum russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin ist seit dem Syrien-Konflikt angespannt. Zwischen Moskau und Ankara herrschte zwischenzeitlich diplomatische Eiszeit, mittlerweile haben sich die Beziehungen wieder etwas normalisiert. In Syrien verfolgen beide jedoch verschiedene Ziele: Putin gilt als Unterstützer des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, Erdogan will das Regime in Damaskus stürzen. Die Türkei galt lange als Stabilitätsanker in der unruhigen Region des Nahen Ostens, mittlerweile bekommt dieses Bild allerdings erste Risse – nicht zuletzt durch den Putschversuch im Juli. Quelle: AP
Dubioser FlüchtlingsdealAuch das Verhältnis zwischen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem türkischen Staatschef ist mehr als mittlerweile angespannt. Im Frühjahr 2016 einigen sich die beiden auf einen umstrittenen Deal, um die Flüchtlingskrise zu lösen: Jeder Hilfesuchende, der auf den griechischen Inseln ankommt, muss damit rechnen, wieder in die Türkei zurückgebracht zu werden. Im Gegenzug verspricht Deutschland, für jeden Syrer, der sich unter den Bootsankömmlingen befindet, einen syrischen Flüchtling direkt aus der Türkei aufzunehmen. Angela Merkel ist sich sicher: So wird das Geschäftsmodell der Schlepper zerstört und das Flüchtlingsproblem in der EU gelöst. Gleichzeitig begibt sich die Bundeskanzlerin mit dem Abkommen weiter in Erdogans Abhängigkeit, der diese geschickt zu nutzen weiß: Bereits mehrfach drohte Erdogan damit, den Flüchtlingsdeal platzen zu lassen, sollte es beispielsweise keine Fortschritte bei den Verhandlungen zur Visafreiheit geben. Zuletzt verschlechterte sich das Verhältnis durch die Inhaftierung zweier deutscher Journalisten sowie das Verbot von Bundestagsabgeordneten Bundeswehr-Soldaten in Incirlik zu besuchen. Quelle: dpa
Gescheiterter PutschversuchIm Juli 2016 eskalierte die Lage in der Türkei: Teile des türkischen Militärs versuchten am 15. und 16. Juli, die türkische Regierung mit Präsident Erdogan und seinem AKP-Kabinett zu stürzen. Der Versuch scheiterte jedoch, nach wenigen Stunden hatte die türkische Regierung wieder die Kontrolle über das Land. Die Bilanz des gescheiterten Putschversuchs: Beinahe 300 Menschen wurden getötet und mehr als 2000 weitere verletzt. Außerdem kam es zu Massenverhaftungen und Massenentlassungen von Tausenden Staatsbürgern – besonders Soldaten, Beamte und Akademiker sowie Journalisten waren betroffen von der „Säuberungsaktion“. Quelle: dpa

Mit einem neuen Notstandsdekret hat der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan 4464 weitere Staatsbedienstete entlassen. Nach dem in der Nacht zu Mittwoch im Amtsanzeiger veröffentlichten Erlass ist das Bildungsministerium am stärksten betroffen: Dort verlieren 2585 Menschen wegen angeblicher Verbindungen zu Terrororganisationen oder Gefährdung der nationalen Sicherheit ihren Job. Die meisten davon sind Lehrer. Auch 330 Mitarbeiter von Universitäten wurden entlassen.

Bei der Polizei und der Gendarmerie wurden insgesamt 1310 Beamte mit sofortiger Wirkung aus dem Dienst entfernt. Betroffen von den Entlassungen sind auch die Wahlkommission, der Staatssender TRT, das EU-Ministerium, das Außenministerium und weitere Behörden. Die entlassenen Staatsbediensteten werden in Anhängen zu dem neuen Dekret erneut namentlich benannt. Diese Praxis ist hoch umstritten, da die Betroffenen damit öffentlich an den Pranger gestellt werden, ohne jemals von einem Gericht verurteilt worden zu sein.

Seit Verhängung des Ausnahmezustands in Folge des Putschversuches vom Juli 2016 kann Erdogan per Dekret regieren. Die Dekrete haben Gesetzeskraft und gelten ab ihrer Veröffentlichung, das Parlament muss sie nur nachträglich bestätigen. Der bereits zweimal verlängerte Notstand gilt nach derzeitigem Stand bis zum 19. April.

Für den Putschversuch macht Erdogan die Bewegung des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen verantwortlich. Seit dem Umsturzversuch im Juli vergangenen Jahres wurden bereits mehr als 125.000 Staatsbedienstete suspendiert und rund 41.000 festgenommen, darunter Soldaten, Polizisten, Beamte der Steuerbehörden, Krankenschwestern und Hebammen. Nach Angaben der türkischen Regierung sitzen im Zusammenhang mit dem Putschversuch mehr als 40.000 Menschen in Untersuchungshaft, fast 100.000 Staatsbedienstete wurden entlassen.

Die türkische Führung beschuldigt den in den USA lebenden Prediger Fethullah Gülen, Drahtzieher des versuchten Putsches zu sein und schon zuvor den Sturz der Regierung angestrebt zu haben. Gülen hat dies zurückgewiesen. Die Türkei hatte im Januar den nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustand um weitere drei Monate bis Mitte April verlängert. Er erlaubt der Regierung und Präsident Recep Tayyip Erdogan, das Parlament bei neuen Gesetzen zu umgehen und Bürgerrechte einzuschränken.

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