Erdogans Umgang mit Dschihadisten Welche Verbindungen Ankara zum Terror pflegt

Der Vorwurf des BND ist massiv – die Reaktion aus Ankara scharf. Doch die Anschuldigungen, die Türkei habe Verbindungen zu Dschihadisten und Hamas, sind nicht aus der Luft gegriffen. Ein Überblick über Erdogans Kontakte.

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Bei der Hamas hat der türkische Staatspräsident einen guten Ruf. Quelle: AFP

Kairo Ein vertraulicher Bericht des deutschen Geheimdienst BND wirft der türkischen Regierung Verbindungen zu mehreren Terrorgruppen her. Auch Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan persönlich soll Kontakte zur Hamas unterhalten. Ankara ist brüskiert – und weist die Anschuldigungen in aller Schärfe zurück. Sie seien Teil einer Strategie, die Türkei zu zermürben. Doch der Umgang Erdogans und seiner Regierung mit islamistischen Terrororganisationen hat schon in der Vergangenheit Fragen aufgeworfen.

Syriens Dschihadisten

Oberstes Kriegsziel Ankaras in Syrien war stets der Sturz von Baschar al-Assad. Jahrelang duldete die Türkei den Einstrom von Dschihadisten aus aller Welt in das kriegsversehrte Nachbarland. Jeder, der gegen den Diktator von Damaskus kämpfen wollte, galt als willkommen. Die 100 Kilometer lange Grenze zwischen dem „Islamischen Kalifat“ und dem Nato-Mitglied war praktisch offen, der Schmuggel von Waffen, Geld, Antiquitäten und Lebensmitteln kein Problem.

Erst nach den vier Terroranschlägen des „Islamischen Staates“ in Istanbul, der letzte auf den Flughafen mit 45 Toten, begann Ankara umzusteuern. Durchreisende Gotteskrieger wurden abgefangen und abgeschoben. Nach dem russisch-türkischen Versöhnungsgipfel in St. Petersburg bot der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim Moskau erstmals sogar eine Kriegsallianz gegen den IS an.

Ähnlich schwankend ist auch das Verhältnis Ankaras zur Al-Nusra-Front, die sich Ende Juli offiziell von Al Qaida lossagte und im Westen als Terrororganisation gilt. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dagegen nahm die Dschihadisten kürzlich in einem Interview ausdrücklich in Schutz. „Angesichts der Tatsache, dass die Al-Nusra-Front auch gegen den IS kämpft, sollte sie nicht als Terrororganisation eingestuft werden“, erklärte er.


Palästinensische Hamas

1950 erkannte Ankara als erster islamischer Staat die Existenz Israels an und pflegte über Jahrzehnte ein gutes Verhältnis zu Tel Aviv. Israelische und türkische Truppen hielten regelmäßig gemeinsame Manöver ab. Im Mai 2008 begann die Türkei sogar, indirekte Friedensgespräche zwischen den beiden benachbarten Erzfeinden Israel und Syrien zu vermitteln.

2007 übernahm die Hamas im Gazastreifen die Macht, danach folgten 2009 und 2012 zwei verheerende Kriege zwischen den Islamisten und Israel. Ausgelöst durch die unverhältnismäßig brutalen israelischen Luftangriffe begann sich in der politischen Führung der Türkei das Blatt zu wenden.

2010 wurde eine türkische Hilfsflotte, die die Seeblockade der palästinensischen Enklave brechen wollte, von der israelischen Marine aufgebracht. Dabei starben neun türkische Aktivisten, was eine sechsjährige diplomatische Eiszeit auslöste.

Erst vor zwei Monaten wurde die Krise mit einem Kompromiss beigelegt, den das türkische Parlament noch ratifizieren muss. Danach bleibt die Blockade des Gazastreifens durch Israel bestehen, die Türkei kann jedoch künftig humanitäre Hilfe für die 1,5 Millionen eingepferchten Bewohner leisten.

Lieferungen aus der Türkei müssen im Hafen von Aschdod gelöscht und von dort auf dem Landweg nach Gaza transportiert werden. Obendrein will Israel den Opfern und ihren Angehörigen 20 Millionen Dollar Schadensersatz überweisen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Türkei, alle laufenden und künftigen Klagen gegen israelische Soldaten zu annullieren.


Ägyptens Muslimbrüder

Türkische Staatschefs machten um Ägypten stets einen großen Bogen. 15 Jahre lang herrschte Funkstille, bis Hosni Mubarak schließlich vom Arabischen Frühling hinweggefegt wurde. Danach ließ sich Recep Tayyip Erdogan 2011 und 2012 gleich zweimal in Kairo blicken, dem traditionellen Hauptrivalen im Ringen um die machtpolitische Vorrangstellung im Nahen Osten.

Mit der Wahl von Mohammed Mursi zum ägyptischen Staatschef wurde das Verhältnis rasch enger. Ankara empfing den Muslimbruder im September 2012 zu einem pompösen Staatsbesuch und sagte ihm zwei Milliarden Euro als Finanzhilfen zu. Qatar steuerte weitere fünf Milliarden bei. Beim Gegenbesuch in Kairo hatte Erdogan zehn Minister und 350 türkische Geschäftsleute in seinem Tross, die sich von dem politischen Neuanfang auch eine Belebung der dürftigen Handelsbeziehungen erhofften.

Und so traf Ankara der Sturz Mursis im Juli 2013 durch das Militär wie eine kalte Dusche. Wütend beschuldigte Erdogan Israel, hinter dem Putsch zu stecken, was Tel Aviv als „absurd“ und Washington als „anstößig, unbegründet und falsch" zurückwiesen. Mit der neuen ägyptischen Führung unter Ex-Feldmarschall Abdel Fattah al-Sissi liefert sich Erdogan seitdem regelmäßig heftige Wortgefechte und prangerte vor allem die drakonische Unterdrückung der Muslimbrüder an.

Zuletzt jedoch gab es wie bei Israel auch bei Ägypten wieder sanftere Töne. Man könne sich vorstellen, das Verhältnis zurück in normale Bahnen zu lenken, hieß es aus Ankara. Voraussetzung aber sei, dass der zum Tode verurteilte Mursi nicht gehenkt werde.

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