EU-Beitrittsverhandlungen Ausstiegsklausel für Türkei-Gespräche?

Bei einem „ernsten und anhaltenden Verstoß“ gegen EU-Grundsätze sollen die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei gestoppt werden. Das steht so in Regeln aus dem Jahr 2005. Doch es gibt Diskussionsbedarf.

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Für die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei gibt es eine Ausstiegsklausel. Doch wie diese zu interpretieren ist, ist umstritten. Quelle: dpa

Brüssel Die Hürden für einen Stopp der EU-Beitrittsgespräche mit der Türkei sind niedriger als bisher von der EU-Kommission angegeben. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur wurde 2005 in den Leitlinien zu den Verhandlungen festgelegt, dass für einen vorläufigen Abbruch der Verhandlungen eine qualifizierte Mehrheit ausreicht. Demnach müssten nur 16 von insgesamt 28 Ländern einem entsprechenden Antrag zustimmen, sofern diese Staaten mindestens 65 Prozent aller Bürger in der Union vertreten.

Die für eine Fortsetzung der Beitrittsverhandlungen werbende Kommission hatte bislang betont, dass ein Antrag auf Abbruch der Gespräche von allen 28 EU-Staaten befürwortet werden müsste. „Das müssen alle Mitgliedstaaten - und zwar einstimmig - beschließen, dass diese Verhandlungen abgebrochen werden“, sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Anfang des Monats in einem ARD-Interview. Erst Ende vergangener Woche wiederholte er diese Darstellung in einem Gespräch mit der „Tiroler Tageszeitung“.

Auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur teilte die EU-Kommission mit, dass Juncker sich in seinen Äußerungen nicht auf die Verhandlungsleitlinien bezogen habe. Er sprach demnach von einem ultimativen Ende für die Beitrittsgesprächen, das eigentlich gar nicht vorgesehen ist. Gleichzeitig wurde bestätigt, dass für einen Abbruch-Beschluss nach Artikel 5 der Verhandlungsleitlinien eine qualifizierte Mehrheit ausreichen würde.

Für einen Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei setzt sich vor allem Österreich ein. Bundeskanzler Christian Kern will das Thema nach der Sommerpause auf EU-Ebene diskutieren. Offene Unterstützung bekommt er beispielsweise von dem deutschen CSU-Spitzenpolitiker Manfred Weber, der im Europaparlament die größte Fraktion anführt.

Kritiker der Beitrittsgespräche sehen sich in ihrer Position vor allem durch die Ereignisse der vergangenen Wochen bestätigt. Ihrer Meinung nach verstößt die türkische Regierung bei ihrem Vorgehen gegen mutmaßliche Unterstützer des Putschversuches vom 15. Juli massiv gegen rechtsstaatliche Grundsätze.

„Wir wissen, dass die demokratischen Standards der Türkei bei Weitem nicht ausreichen, um einen Beitritt zu rechtfertigen“, sagte jüngst Österreichs Bundeskanzler Kern. Seiner Meinung nach könnte die EU mit dem Abbruch ein klares Signal setzen, dass sie zu ihre Werten steht.

Ob die Beitrittsverhandlungen abgebrochen werden, wird letztlich viel von Interpretationen und politischem Willem abhängen. In dem relevanten Artikel der Verhandlungsleitlinien heißt es, Voraussetzung sei, dass die Türkei „ernsthaft und anhaltend“ gegen die Grundsätze der Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie der Rechtsstaatlichkeit verstoße. Was ein ernsthafter Verstoß ist und wie lange er andauern muss, wird allerdings nicht ausbuchstabiert.

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