EU-Gipfel Hoffen auf ein konstruktives Frühstück - und den Tag X

Die EU-Staats- und Regierungschefs haben sich auf eine gemeinsame Linie für den geplanten Flüchtlingspakt mit der Türkei geeinigt. Für ein Gelingen kommt es nicht allein auf Ankara an.

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Der dänische Premier Lars Lokke Rasmussen, die deutsche Kanzlerin Angela Merkel und der holländische Ministerpräsident Minister Mark Rutte in Brüssel. Die 28 EU-Chefs haben eine Einigung in der Flüchtlingskrise erzielt. Quelle: dpa

Brüssel Wieder einmal war es spät geworden. 00.35 Uhr schlug es, als sich die Bundeskanzlerin nach dem Treffen der Staats- und Regierungschefs müde aber doch gelöst kurz den Journalisten präsentierte. Dazu hatte sie auch allen Grund.

Denn wenn sich die Vertreter der EU an diesem Vormittag mit dem türkischen Premierminister Ahmet Davutoglu zum Frühstück treffen, werden sie, allen Bedenken einzelner Staaten zum Trotz, mit einer Stimme sprechen. Allein das kann Angela Merkel als Etappenerfolg bei ihren Bemühungen um eine gesamteuropäische Lösung zur Bewältigung der Flüchtlingskrise verbuchen.

Selbstverständlich ist die Einigkeit nämlich nicht: Mehrere Mitgliedstaaten hatten Bedenken geäußert gegen das von Ankara verlangte Ende des Visazwangs für türkische Bürger ab dem Sommer und die Ausweitung der EU-Beitrittsverhandlungen. So will Zypern letzteres daran geknüpft wissen, dass die Türkei ihre Häfen und Flughäfen für zypriotische Schiffe und Flugzeuge öffnet und ihre Beziehungen zu dem EU-Land normalisiert.

Ob der Ton, den EU-Ratspräsident Donald Tusk, Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der niederländische Premier Mark Rutte bei Tee und Kaffee gegenüber Davutoglu anschlagen werden, konziliant genug sein wird, um dem Gesandten des türkischen Autokraten Recep Tayyip Erdogan zu gefallen, steht also noch auf einem anderen Blatt.

Politisches Entgegenkommen um jeden Preis soll es nicht geben. Darauf haben sich die Staats-und Regierungschefs geeinigt. Die Visafreiheit für türkische Staatsbürger beispielsweise kommt nur, wenn alle technischen und rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind.

So muss Ankara unter anderem internationale Rechtsstandards zum Schutz von Flüchtlingen noch in türkisches Recht überführen. Und das ist auch richtig so. Nicht allein Ankara kann die Bedingungen einer Partnerschaft diktieren. Er finde wenig Gefallen daran, sich erpressen zu lassen, hatte Belgiens Regierungschef Charles Michel noch beim Gipfel betont.


EU jongliert mit zahlreichen Variablen

Gleichwohl kommt die EU der Türkei weit entgegen, damit das Land seine Zusage einhält, illegale Flüchtlinge, die über die Ägäis in Griechenland landen, zurückzunehmen. Die Verdopplung der finanziellen Hilfe zur Unterstützung syrischer Flüchtlinge in der Türkei von drei auf sechs Milliarden Euro bis Ende 2018 ist im Grundsatz bewilligt. Und für jeden zurückgeführten Flüchtling, wird die EU im Gegenzug einen Syrer aus der Türkei übernehmen.

Selbst skeptische EU-Staaten wollen sich beteiligen, betonte Merkel. Zunächst will die EU bis zu 72.000 Plätze aus bereits im vergangenen Jahr EU-intern verabredeten Kontingenten zur Verfügung stellen. Fraglich ist, ob das reicht.

Ankara hat durchblicken lassen, das es nicht gewillt ist, Obergrenzen so einfach zu akzeptieren. Immerhin hat das Land bis dato schon rund 2,7 Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen.

Die EU hofft nun darauf, dass die strikte Rückweisung ab dem Tag X neue Flüchtlinge von der illegalen Einreise über das Mittelmeer abhält, und die Zahl deshalb gar nicht ausgeschöpft werden muss.

Dabei wird einmal mehr klar: Die EU jongliert mit zahlreichen Variablen. Treibende Kraft ist Hoffnung. Der Erfolg des Planes ist keinesfalls sicher. Maßgeblich wird er davon abhängen, ob es Griechenland gelingt die Infrastruktur dafür zu schaffen, dass jeder einzelne Flüchtling einen Asylantrag stellen kann, der innerhalb kürzester Zeit entschieden wird.

Athen hat nun zumindest eingewilligt, massive personelle Unterstützung zu akzeptieren, die Deutschland und andere Staaten innerhalb der nächsten Tage zur Verfügung stellen wollen. Die Zahl wird in die Hunderte gehen müssen, wie Diplomaten sagen.


Verhandlungen mit der Türkei ist eine Gratwanderung

Bei der Unterstützung gilt es nun zu klotzen und nicht länger zu kleckern. Denn ob der EU-Türkei-Plan und mithin Merkels Kalkül aufgeht, wird sich nur in der Praxis zeigen. Dessen waren sich die ansonsten in vielen Fragen uneinigen EU-Staaten in der Nacht einig. Deshalb geben sie dem Vorhaben nun eine Chance.

In trockenen Tüchern ist der bei Menschenrechtlern umstrittene Deal mit der Türkei gleichwohl nicht. Viel wird von den Verhandlungen an diesem Freitag mit dem türkischen Regierungschef abhängen. Das wiederum wirft Fragen auf.

Liefert sich die EU einem politischen Regime aus, das zunehmend auf Repression setzt, und sein Land sehenden Auges ins Chaos führt? Einem Regime, das sich sehr wohl des Erpressungspotenzials bewusst ist, das ihm zur Verfügung steht? Es hat den Anschein. Und sicher ist es eine Gratwanderung.

Doch die angespannte innenpolitische Lage in der Türkei ist eine Sache. Eine andere ist es, angesichts der Flüchtlingskrise alle erdenklichen Maßnahmen auszuschöpfen, um der Lage in Europa wieder Herr zu werden und mit der Türkei in einem Prozess des Dialogs zu bleiben und in politischen Fragen zusammenzuarbeiten.

Sollte das nicht möglich sein, dürfte die EU mit vielen autoritär regierten Ländern weltweit – angefangen von China bis hin zu Saudi-Arabien – keinerlei Umgang mehr pflegen. Eine solche Vorstellung ist naiv.

Gleichwohl dürfen sich die Europäer nicht von einem türkischen Sultan am Nasenring durch die Manege ziehen lassen, für den Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eigenen Worten zufolge keine wirklich ernst zu nehmenden Kategorien mehr sind.

Es war ein grundsätzlicher Konstruktionsfehler in den Gesprächen mit der Türkei, Entgegenkommen bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise mit Zugeständnissen in politischen Fragen wie der Visafreiheit und beschleunigten EU-Beitragsverhandlungen zu verknüpfen.

Die EU hat sich damit in die Rolle des Bittstellers manövriert, der immer wenn es heikel wird, neue Nachforderungen von Seiten Ankaras fürchten muss. Ausgang offen.

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