EU-Gipfel in Brüssel Man wird doch auch einmal träumen dürfen

Könnten die Briten den Exit vom Brexit einleiten? EU-Ratspräsident Tusk hat das kurz vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel erstmals angedeutet. Die Kanzlerin betont, dass das Schicksal der Briten keine Priorität mehr hat.

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Brüssel Donald Tusk rüttelte die EU mit einer erstaunlichen Nachricht auf: „Einige meiner britische Freunde haben mich gefragt, ob der Brexit rückgängig gemacht werden könnte und ob ich mir vorstellen könnte, dass das Vereinigte Königreich Teil der EU bleibt“, berichtete Tusk am Donnerstag. „Ich habe ihnen geantwortet, dass die Europäische Union auf Träumen gebaut ist, die unmöglich zu erreichen schienen“, fuhr Tusk fort und dann zitierte dann den Briten John Lennon: „You may say I’m a dreamer, but I am not the only one“.

Doch. Tusk war der einzige. Jedenfalls an diesem Donnerstag. Keiner der 28 Regierungschefs, die am Nachmittag zum Gipfeltreffen in Brüssel eintrafen, wollte sich an Spekulationen über einen britischen Verbleib in der EU beteiligen. Die britische Premierministerin Theresa May ließ keinen Zweifel daran, dass sie am EU-Ausstieg ihres Landes festhält. Der Brexit-Verhandlungsbeginn sei „sehr konstruktiv gewesen“, sagte May bei ihrer Ankunft in Brüssel. Dann kündigte sie an, dass sie ihren EU-Amtskollegen einen Vorschlag zum Status der EU-Bürger in Großbritannien nach dem Brexit unterbreiten wolle.

Bei der deutschen Kanzlerin kam das nicht besonders gut an. Nicht das Schicksal der Briten, sondern die Zukunft der EU habe jetzt Priorität, so Merkel. „Der Fokus muss klar auf der Zukunft der 27 liegen“, sagte die Chefin des größten EU-Staates.

Anders gesagt: Merkel findet, dass der Brexit auf EU-Gipfel kein Thema sein soll – eine klare Absage an Theresa May. Noch unfreundlicher klang die litauische Präsidentin Dalia Gribauskaite. „Wir reden mit jedem, der aus Großbritannien kommt“, sagte sie – und machte damit unmissverständlich deutlich, dass sie May nach ihrer Wahlniederlage nur noch für eine lame duck hält, die bald ausgetauscht werden könnte.


Geschacher um EU-Behörden

Donald Tusk wollte May trotzdem erlauben, kurz über den Brexit zu sprechen. Darauf muss die Britin allerdings heute noch lange warten. Erst einmal wollten die Chefs über viele andere Themen sprechen, die für die Zukunft der EU wichtig sind: Der Kampf gegen den Terrorismus, die künftige militärische Zusammenarbeit der EU-Staaten, die Verteidigung des Pariser Klimaschutzabkommens nach dem Ausstieg der USA und die Verlängerung der Sanktionen gegen Russland. Erst wenn diese umfangreiche Agenda abgearbeitet ist, darf May etwas zum Brexit sagen.

Das ungeliebte Thema ist für die anderen 27 Chefs damit allerdings noch nicht erledigt. Zum Schluss des ersten Gipfeltages kommt noch eine sehr unangenehme Frage auf den Tisch: Wohin sollen die beiden EU-Behörden ziehen, die bisher noch in London ihren Sitz haben? Es geht um die Arzneimittelagentur (Ema) mit über 900 Beschäftigten und die Bankenaufsicht Eba mit knapp 200 Mitarbeitern.

Fast alle EU-Staaten haben sich um mindestens eine der beiden Agenturen beworben. Für die Ema rechnen sich Paris, Bratislava, Lissabon und Kopenhagen besonders gute Chancen aus, um die Eba streiten sich vor allem Frankfurt und Dublin. Am heutigen Donnerstag sollten sich die Regierungschefs zumindest auf die Kriterien verständigen, nach der die neuen Standorte ausgewählt werden, fordert Ratspräsident Tusk und hat dafür eine Art Punktesystem vorgeschlagen. Manche Länder wie etwa Italien lehnen aber schon die Methode ab, weil sie Nachteile fürchten.

Der Streit um die Agenturen könnte für die EU ziemlich peinlich werden. Daher kamen zum Gipfelauftakt schon mehrere Ermahnungen, das Thema bitte schnell abzuhaken. Die EU dürfe sich darum „nicht streiten, wie die Kesselflicker“, warnte Belgiens Premier Charles Michel. Er habe wichtigeres zu tun, als sich um die „Zerlegung von Agenturen“ zu kümmern, sagte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Donald Tusk blieb am Ende doch nicht der einzige beim EU-Gipfel, der träumt. Der Niederländer Mark Rutte tut es auch, allerdings realistischer. „Mein Traum wäre, dass wir in dem Brexit-Prozess zu einem Endergebnis oder einer Übergangslösung für die nächsten Jahre kommen, in dem das UK mit dem Binnenmarkt verbunden bleibt“, sagte Rutte.

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