EU-Gipfel in Rom Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten?

Trotz der Feierlichkeiten in Rom bleibt der Ton zwischen den europäischen Partnern rau. Der Vorschlag eines Europas der verschiedenen Geschwindigkeiten wird von einigen Staaten als Trennlinie innerhalb Europas verstanden.

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Trotz der kritischen Zeit für die EU ist der Ton für die Erklärung zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge feierlich. Quelle: dpa

Brüssel Was ist da eigentlich passiert, als die Polen in der EU einsam den Aufstand probten? Es ist eine neue Krise in einer schon so kritischen Zeit, in der sich das Schicksal Europas entscheidet. Aber man kann die Lage auch anders lesen.

Der Ton ist feierlich, die Zielsetzung hehr in der ersten Ideensammlung für die Erklärung der Europäer zum 60. Jahrestag der Römischen Verträge. Von Stolz auf das Erreichte ist die Rede, von beispiellosen Herausforderungen in einer unsicheren Welt, von der Vision einer sichereren und wohlhabenderen Union in zehn Jahren. Und vom „Geiste loyaler und enger Zusammenarbeit“.

Vielleicht brauchten die EU-Staats- und Regierungschefs eine Dosis salbungsvoller Prosa am zweiten Tag ihres Gipfels in Brüssel, nach dem Hickhack mit Polen um die Wahl des EU-Ratspräsidenten am Vortag.

Kurz gesagt passierte dies: Die Polen scheiterten krachend mit einem aussichtslosen Aufstand gegen die Wiederwahl ihres politisch missliebigen Landsmanns Donald Tusk und verkündeten deshalb den Boykott der Gipfelbeschlüsse. Was wiederum die übrigen 27 Länder schwer erboste. Der luxemburgische Regierungschef Xavier Bettel schäumte noch am Freitagmorgen über die „Trotzreaktion aus einer Ecke“, in der man sich „nicht wie ein Erwachsener benimmt“.

Die Sehnsucht nach dem „Geiste loyaler und enger Zusammenarbeit“ liegt also nahe. Auch Kanzlerin Angela Merkel hob nach Ende des Brüsseler Gipfels am Freitag darauf ab. Sie suchte einen positiven Abschluss der beiden turbulenten Tage und erinnerte daran, dass die Europäische Union „bei allen Problemen, die wir haben, ein gelungenes Modell ist“.

Allerdings herrscht auch Nervosität vor den Wahlen in den Niederlanden nächste Woche und in Frankreich nächsten Monat, die anti-europäische Rechtspopulisten stärken könnten. Die EU-Macher sind zudem genervt vom andauernden Krisenmodus nach Terrorattacken, Schuldenstreit und Flüchtlingszwist; genervt auch vom wohlfeilen Europa-Bashing, wie es EU-Kommissar Pierre Moscovici im Deutschlandfunk beklagte.

Und die EU-Bürger verlieren irgendwie schleichend die Geduld. Im jüngsten ARD-Deutschlandtrend fanden gerade einmal 41 Prozent der Befragten, dass Deutschland eher Vorteile von der EU hat - elf Punkte weniger als im Juli 2016 kurz nach dem Brexit-Votum, als alle geschockt schienen von dieser radikalen Abkehr der Briten.

Das alles hatten die Staats- und Regierungschefs wohl im Hinterkopf, als sie sich über das von EU-Kommission und Ratspräsidentschaft, von Italien und Malta vorbereitete Ideenpapier für die „Agenda von Rom“ beugten. Die vier Seiten, die unter der Hand in Brüssel kursierten, führten „mögliche Elemente“ für die Erklärung auf, die in zwei Wochen bei einem Sondergipfel in Rom veröffentlicht werden soll. „Mögliche Elemente“, das klang hinreichend vage - nur keine Festlegungen vor der Debatte, keiner soll übergangen werden.


Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten in der Kritik

Denn die EU-Partner haben sich aneinander wund gerieben. Die Kleinen fühlen sich ausgebootet von den Großen - von Deutschland. Der Süden fühlt sich wirtschaftspolitisch gegängelt vom Norden - von Deutschland. Dem Osten passt die ganze Linie nicht. Und Merkels Eintreten für ein „Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten“ hat das Misstrauen nicht gelindert - im Gegenteil. Einige Länder interpretierten den Vorschlag als Trennlinie und „neuen Eisernen Vorhang zwischen Ost und West“, berichtete EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus der Diskussion vom Freitag.

Die Befürworter - und das sind neben Merkel auch Frankreich, Italien, die Benelux-Staaten und andere - versprechen sich davon, den dicken Tanker EU überhaupt flott zu halten. Und alle gemeinsamen Projekte blieben jederzeit für alle offen, beteuerte die Kanzlerin. Aber man kann das Konzept eben auch sehen als Schuss vor den Bug der Querulanten und als Mahnung, zumindest nicht im Wege zu stehen.

Aber ist das die Lösung? Wird die EU dadurch schneller, effizienter, handlungsfähiger, beliebter? Wird die Union irgendwann wirklich geeint?

Der Polen-Eklat wirkte auf den ersten Blick wie der niederschmetternde Gegenbeweis - überflüssige und undurchsichtige Diskussionen, „die letztendlich die Lebenswirklichkeiten der europäischen Bürger und Bürgerinnen nicht berühren“, wie der österreichische Regierungschef Christian Kern ernüchtert feststellte. Man kann diese Episode aber auch anders lesen. Unabhängig von den üblichen Grüppchen und Gräben haben sich 27 Länder zusammengerauft und einen Quertreiber einfach stehen lassen. Das klingt schon fast nach dem „Geiste loyaler und enger Zusammenarbeit“.

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