EU-Türkei-Gipfel Merkels Minimalerfolg

Die Türkei will Flüchtlinge zurückschicken, die kein Anrecht auf Bleiberecht in der EU haben. Premier Davutoglu lässt sich das aber auch einiges kosten. Läutet das die Wende bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise ein?

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der griechische Premier Alexis Tsipras nach dem Gipfel zur Flüchtlingskrise in Brüssel. Quelle: AFP

Brüssel Der Vorschlag kam für die meisten der 28 EU-Staaten am Montagmittag wie Kai aus der Kiste. Ausklamüsert hatte ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel offenbar in der Nacht vor dem offiziellem Gipfeltreffen in Brüssel im Beisein des niederländischen Regierungschefs Mark Rütte mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu. Letzterer hatte dem Gipfel zum Lunch überraschend vorgeschlagen, von einem Stichtag in naher Zukunft an alle neu über die Ägäis in Griechenland ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen, Kriegsflüchtlinge aus Syrien ebenso wie Wirtschaftsflüchtlinge aus nordafrikanischen Staaten, die keine Chance auf ein Bleiberecht in der EU haben.

Umsonst freilich gibt sich Ankara dafür nicht her. Neben der Gewährung vorgezogener Visaerleichterungen schon zum Juni soll sich die EU für jeden abgeschobenen Syrer im Gegenzug verpflichten, einen anderen Syrer auf legalem Wege in der Gemeinschaft aufzunehmen.

Zudem soll sie zu den bereits versprochenen drei Milliarden Euro zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der syrischen Flüchtlinge im Land weitere drei Milliarden locker machen und die Rückführungskosten übernehmen. Frei nach dem Motto: mehr für mehr.

Ist das nun das Realität gewordene Prinzip Hoffnung, auf das Kanzlerin Merkel als CDU-Chefin ein paar Tage vor den wichtigen Landtagswahlen in den drei Bindestrich-Bundesländern gesetzt hat? Ist das die gute Nachricht, die die Wende bei der Bewältigung der europäischen Flüchtlingskrise einläutet?

Was da nach dem Ende des Gipfels um 0.28 Uhr am frühen Dienstagmorgen verkündet wurde, ist zumindest keine schlechte Nachricht.

Denn die Logik hinter dem Plan könnte aufgehen, nicht sofort, aber doch mittelfristig. Sie lautet: Die gefährliche Reise übers Mittelmeer verliert für Schutzsuchende an Reiz, wenn es nach der Ankunft in Griechenland sogleich in die Türkei zurückgeht – und sich eben jene Flüchtlinge dann hinten anstellen müssten, wenn es darum geht, sich um die legale Umsiedlung in die EU zu bewerben.

Die Konsequenz: Der Anreiz, den illegalen Weg in die EU zu nehmen, sinkt. Es riskieren immer weniger Migranten die teure und lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer.


Die Logik könnte aufgehen

Für die Umsiedlung kann die EU auf bereits beschlossene Kontingente zurückgreifen. Zum Beispiel auf die 56.000 Umverteilungsplätze, die ursprünglich für in Ungarn gestrandete Flüchtlinge im Rahmen des 160.000-Verteilungsprogramms gedacht waren, die aber nicht benötigt wurden, weil Budapest die Flüchtlinge weiterreisen ließ und die Grenzen schließlich dicht machte. 22.000 weitere sogenannte „Resettlement“-Plätze hatte die EU bereits im Sommer vergangenen Jahres zugesagt.

Dennoch blieben die Vorschläge auf dem Gipfel nicht ohne Widerspruch. Es gebe aber eine „eher positive“ Bewertung der wichtigsten Elemente, machten die Staats- und Regierungschefs hernach klar. Selbst die sonst so widerspenstige polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo gestand zu, man sei einen wichtigen Schritt zur Lösung der Flüchtlingskrise weitergekommen.

EU-Ratspräsident Tusk soll die Details der Beschlüsse nun mit der türkischen Seite bis zum nächsten EU-Flüchtlingsgipfel am Donnerstag kommender Woche ausarbeiten. Gegenüber der relativ vagen Verabredung im November mit der Türkei könnte diese – freilich nicht billige – Konkretisierung für die EU einen qualitativen Quantensprung bedeuten und die Basis für einen Durchbruch zur Unterbrechung des Menschenschmugglerwesens legen.

Das alles erhöht die Chance, bis Ende des Jahres in der EU wieder zur Normalisierung und offenen Binnengrenzen in einem funktionsfähigen Schengen-Raum zurückzukehren. Damit kann Merkel zumindest einen kleinen Erfolg verbuchen, der eine gesamteuropäische Bewältigung der Flüchtlingskrise nicht mehr ganz so unwahrscheinlich macht.

Ob das beim Wahlvolk in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg aus CDU-Sicht noch rechtzeitig ankommt? Das ist eine andere Frage. Wie auch die des Vertrauens in die Türken, mit den Ankündigungen tatsächlich ernst zu machen, ohne künftig immer wieder neue Nachforderungen zu stellen.

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