EU, Türkei und Flüchtlingskrise Politiker kämpfen um Gipfelerfolg

Merkel und Hollande dringen drei Tage vor dem EU-Gipfel auf eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise. Hinter den Kulissen wird auf Hochtouren verhandelt, um am Montag ein großes Scheitern zu verhindern.

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Die Kanzlerin und der französische Präsident warben nach einem Treffen erneut für eine europäische Lösung in der Flüchtlingskrise. Quelle: AP

Brüssel, Berlin EU-Ratspräsident Donald Tusk in der Türkei, Bundeskanzlerin Angela Merkel in Paris – vor dem Gipfeltreffen der Europäischen Union mit der Türkei laufen die Vermittlungsgespräche auf Hochtouren. Ziel ist es, am Montag ein Fiasko zu verhindern. Als CDU-Vorsitzende ist Kanzlerin Merkel eine Woche vor den Landtagswahlen in gleich drei Bundesländern auf gute Nachrichten aus Brüssel angewiesen.

Doch wie ermutigend wird die Botschaft sein, die die Staats- und Regierungschefs am Montag aussenden werden? Diplomaten dämpfen die Erwartungen. Wunder werde es kaum geben, aber vielleicht ermunternde Signale.

Mit einem demonstrativen Schulterschluss mahnten Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande am Freitag eine europäische Lösung der Flüchtlingskrise an. Die Kanzlerin sagte nach einem Treffen mit Hollande in Paris: „Einseitige Lösungen helfen uns nicht weiter.“ Und Hollande betonte: „Angesichts der Flüchtlingsfrage haben Deutschland und Frankreich die selbe Antwort: Europa. Europa muss in der Lage sein, die erwarteten Lösungen herbeizuführen.“ Die EU müsse sicherstellen, dass bereits gemachte Zusagen eingehalten werden. Die 28 Staats- und Regierungschefs kommen am Montag in Brüssel mit der Türkei zusammen, um über die Flüchtlingskrise zu verhandeln.

Zumindest in die Frage der Rückführung von Flüchtlingen in die Türkei scheint nun Bewegung zu kommen. Ankara habe signalisiert, Schutzsuchende, die aus anderen Ländern als Syrien kommen, wieder zurückzunehmen, verlautete aus Brüsseler Kreisen am Freitag. „Eine solche Übereinkunft sollte das zentrale Signal sein, das am Montag vom Gipfel ausgeht“, sagte der für Inneres und Migration zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoulos am Freitagmittag.

Ein Anfang ist laut Kommission gemacht: Erstmals konnte eine größere Zahl von Flüchtlingen in der vergangenen Woche zurückgeschickt werden – es ging dabei um 308 Menschen. Ein vereinbartes Rücknahmeabkommen für Flüchtlinge soll im Juni 2016 vollständig in Kraft gesetzt werden. Damit könnte die EU Flüchtlinge aus Drittstaaten in die Türkei abschieben.

Die EU wird die Flüchtlingskrise nicht ohne die Türkei bewältigen können. Darauf wies Avramopoulos einmal mehr hin. „Es ist höchste Zeit für substanzielle und nachhaltige Fortschritte“, betonte der Grieche. Anlass war der von ihm vorgelegte Fahrplan für ein Ende der internen Grenzkontrollen in Europa bis spätestens Dezember. Demnach soll Griechenland zur Sicherung der EU-Außengrenze zur Türkei mehr Unterstützung von der Grenzschutzagentur Frontex erhalten. Spätestens im November soll dann eine europäische Grenz- und Küstenwache einsatzbereit sein.

Laut Kommission gelingt es den Griechen inzwischen rund 80 Prozent der Flüchtlinge zu registrieren, die in Griechenland anlanden. Das sei eine positive Entwicklung, betonte Avramopoulos. Vier von fünf Hotspots seien in Griechenland funktionsfähig, in Italien drei von sechs.


Brüssel warnt vor dramatischen Kosten von Grenzkontrollen}

Um den Druck auf die europäischen Partner zu erhöhen, in der Flüchtlingskrise endlich einen gemeinschaftlichen Weg einzuschlagen, verweist die Kommission auf drohende dramatische Kosten für die Wirtschaft von bis zu 18 Milliarden Euro jährlich, für den Fall, dass das Schengen-System der offenen Grenzen scheitere. Vor allem der Güterverkehr, Tourismus und Arbeitnehmer, die über Grenzen pendelten, seien betroffen. „Dass die Kommission in den Abgrund schaut und die Gefahren für den Binnenmarkt aufzeigt, schärft das Bewusstsein für die Dringlichkeit des Handelns. Die Kosten der Grenzkontrollen für die Wirtschaft sind nicht zu vernachlässigen“, kommentierte der Chef der CDU/CSU-Fraktion im Europaparlament, Herbert Reul.

Das von Brüssel ausgegebene Ziel ist jedoch sehr ambitioniert. So haben Dänemark und Schweden erst am Donnerstag angekündigt, ihre Grenzkontrollen vorerst bis Anfang April zu verlängern. „Europa hat es nicht geschafft, seine Außengrenzen zu schützen“, sagte der schwedische Innenminister Anders Ygeman. Ob das nach dem Gipfel am Montag besser wird?

Bereits im November haben die EU und die Türkei einen Aktionsplan vereinbart, der die Zahl der über die Türkei illegal nach Europa einreisenden Migranten eindämmen soll. Bis dato reißt der Zustrom von Migranten jedoch nicht ab. Allein im Januar und Februar gelangten noch rund 122.000 Flüchtlinge über die Türkei nach Griechenland. Am Montag wollen die EU-Staaten mit dem türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu Bilanz ziehen. Schwierigkeiten gibt es noch reichlich:

Grenzschutz: Um die illegale Einreise von Flüchtlingen in die EU zu stoppen, soll die Türkei ihre Seegrenzen zu Griechenland besser sichern und gegen Schleuser vorgehen, die die Flüchtlinge über die Ägäis bringen. In Einzelfällen setzt Ankara das zwar um. Es sei aber noch deutlich Luft nach oben, heißt es in Brüssel.

Als schwierig erweist sich dabei auch noch die Kooperation mit der Nato. „In der Region dauert alles etwas länger, weil Griechen und Türken bekanntermaßen nicht die besten Freunde sind“, heißt es in Kreisen der Bundesregierung. Deshalb gestalte sich die Kommunikation schwierig, aber man sei auf einem konstruktiven Weg. Das Hauptziel der in der Ägäis patrouillierenden Nato-Schiffe ist es, Informationen über Schlepperaktivitäten an der türkischen Küste zu sammeln und an die dortigen Sicherheitskräfte zu melden. Diese sollen dann dafür sorgen, dass keine Flüchtlingsboote mehr in Richtung Griechenland starten.

Die Nato hat kein Mandat, Boote zu stoppen. Rettet sie Flüchtlinge aus Seenot, sollen diese in die Türkei zurückgebracht werden. Dabei hakt es jedoch. Bis zuletzt durften nicht-türkische Nato-Schiffe nicht in türkische Hoheitsgewässer fahren. Die Nato war in den Anti-Schleuser-Kampf eingebunden worden, weil es eine Möglichkeit war, Griechen und Türken an einen Tisch zu bekommen. Dass es nicht so recht vorwärts geht, im Kampf gegen Schlepper, führt Rainer Arnold, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, auch darauf zurück, „dass an der türkischen Küste viele Leute viel Geld verlieren würden, wenn das Geschäft mit den Flüchtlingen unterbunden würde.“ Denn natürlich sei die türkische Polizei dazu in der Lage, Schlepperboote bereits unmittelbar beim Ablegen zu stoppen.


Europa sollte die Probleme nicht auf andere Länder, fordern Politiker

Lage der Flüchtlinge in der Türkei: Die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in der Türkei sollen verbessert werden, damit diese gar nicht erst nach Europa weiterreisen. Dabei geht es etwa um eine bessere Gesundheitsversorgung und Bildungschancen für Kinder. In einem ersten Schritt hat die Türkei ein Arbeitsverbot für Flüchtlinge aufgehoben. In der Türkei leben heute rund 2,7 Millionen geflüchtete Syrer.

Finanzhilfe: Für die Versorgung der Flüchtlinge haben die EU-Staaten der Türkei drei Milliarden Euro zugesagt. Ankara betrachtet die Summe zudem lediglich als Anzahlung, bei der es die EU nicht bewenden lassen dürfe. Die Auszahlung des Geldes stockt. Knapp 100 Millionen Euro sollen zu diesem Wochenende fließen.

Politische Zugeständnisse: Die EU hat der Türkei Visa-Erleichterungen ab Oktober zugesagt. Ankara verkauft das seinen Bürgern bereits als visumsfreies Reisen – was es nach Ansicht Brüssels jedoch nicht sein soll. Die Gespräche über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei wurden mit der Öffnung neuer Verhandlungskapitel wiederbelebt. Dass auf dem Gebiet mehr passieren muss, will die türkische Regierung am Montag zum Gipfelthema machen.

Die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, Rebecca Harms, warnt die EU davor, „das gesamte Flüchtlingsproblem auf die Türkei oder andere Nachbarländer Syriens abzuwälzen“ und sich freizukaufen zu wollen. Zwar führe an der Türkei und ihrem Präsidenten Erdogan kein Weg vorbei, wenn die EU-Staats- und Regierungschefs einen Weg aus der Flüchtlingskrise finden wollten; die EU müsse der Türkei aber auch schutzsuchende Menschen aus Syrien abnehmen.

„Die EU-Mitgliedsstaaten müssen sich schleunigst auf ein verlässliches  Umsiedlungsprogramm für Flüchtlinge in der Türkei einigen“, betonte Harms. Bisher gibt es von Seiten der EU nur Absichtserklärungen; viele Staaten weigern sich aber, Flüchtlingskontingenten aufzunehmen. Zudem fordert die grüne Europaabgeordnete die Staats- und Regierungschefs auf, beim Treffen am Montag die Menschenrechtsverletzungen und Kriegshandlungen in der Türkei nicht zu verschweigen: “Die Rückkehr zum Friedensprozess mit den Kurden muss ein Thema auf dem Gipfel sein." Damit allerdings würde das Treffen inhaltlich wohl überfordert.

 

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