EuGH kippt Preisbindung Das Geschäftsmodell der Apotheken ist in Gefahr

Der Europäische Gerichtshof kippt die deutsche Preisbindung für Arzneimittel. Das gilt zunächst nur für ausländische Apotheken. Verbände sind entrüstet, doch auch Versandhändler im Inland könnten bald Rabatte anbieten.

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Die Apotheken-Verbände sind entsetzt über die Entscheidung der EuGH-Richter. Es könne nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphieren. Quelle: dpa

Berlin Über Jahrzehnte ist es der deutschen Apothekenlobby gelungen, unter Verweis auf das hohe Gut einer sicheren Arzneimittelversorgung, Eingriffe in ihr Geschäftsmodell erfolgreich abzuwehren. Zuletzt bestätigte der Europäische Gerichtshof 2009 das in Deutschland geltende Fremd- und Mehrbesitzverbot für Apotheken. Danach darf nur ein Apotheker eine Apotheke führen und nicht etwa ein Pharmaunternehmen oder eine Klinikkette. Zudem darf ein Apotheker neben seiner Hauptapotheke maximal drei Filialapotheken betreiben.

Damals folgte das oberste Gericht der EU noch der Argumentation, dass diese Regelungen notwendig seien, um die flächendeckende Arzneimittelversorgung zu sichern. Heute hat der Europäische Gerichtshof mit dieser Tradition gebrochen: Er entschied, dass die staatliche Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente eine nicht gerechtfertigte Beschränkung des freien Warenverkehrs darstellt. Zumindest sofern sie ausländische Versandhändler daran hindert, Bonuszahlungen an deutsche Kunden zu gewähren.

Dieses Rabattverbot könne Anbietern aus anderen EU-Ländern den Zugang zum deutschen Markt erschweren, begründet das Gericht seine Entscheidung. Eine solche Beschränkung des freien Warenverkehrs hätte grundsätzlich mit dem Schutz der Gesundheit und des Lebens gerechtfertigt werden können. Doch die Preisbindung ist dem Gericht zufolge für ist dieses Ziel nicht geeignet.

Das EuGH kritisiert in seiner Begründung die gängige Rechtspraxis in Deutschland scharf: Es sei den Klägern nicht gelungen nachzuweisen, inwiefern durch die Festlegung einheitlicher Preise eine „bessere geografische Verteilung der traditionellen Apotheken in Deutschland sichergestellt werden kann“. Das Gericht sieht sogar Anhaltspunkte für einen gegenteiligen Effekt, „dass mehr Preiswettbewerb unter den Apotheken die gleichmäßige Versorgung mit Arzneimitteln fördern“ würde. Denn dieser würde Anreize auch in Gegenden schaffen, in denen wegen der geringen Zahl an Apotheken höhere Preise gefordert werden könnten. Auch die Befürchtungen der traditionellen Apotheken, dass Preiswettbewerb bei rezeptpflichtigen Medikamenten die Notfassversorgung in Deutschland gefährden könnte, teilt der EuGH nicht.

Entsprechend entsetzt fielen die Reaktionen der Apothekerverbände aus. „Europas höchste Richter haben den eindeutigen Willen des deutschen Gesetzgebers ausgehebelt und die Entscheidungen der obersten deutschen Gerichte negiert“, sagte Friedemann Schmidt, Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). „Damit hat der EuGH in ein Politikfeld eingegriffen, das gemäß den Europäischen Verträgen den Mitgliedstaaten vorbehalten ist.“ Es könne nicht sein, dass ungezügelte Marktkräfte über den Verbraucherschutz im Gesundheitswesen triumphieren.


Deutsche Versandapotheken proben den Aufstand

Der Apothekerverband sieht daher jetzt die deutsche Politik gefordert. Der Gesetzgeber müsse schon aus eigenem Interesse seinen Handlungsspielraum wiederherstellen. „Eine denkbare Lösung wäre ein Verbot des Versandhandels mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln in Deutschland. Europarechtlich wäre das zulässig. Klar ist, dass die Arzneimittelpreisverordnung für deutsche Apotheken weiterhin gilt“, sagte Schmidt.

Deutschlands Versandhändler sehen das ganz anders. Sie forderten den Gesetzgeber auf, nun die Preisbindung für Apotheken im Inland aufzuheben. „Nach diesem Urteil muss der Grundsatz der Gleichbehandlung gelten. Es kann nicht sein, dass es nach dem EuGH-Urteil zu einer Inländerdiskriminierung kommt. „Warum sollten deutsche Versandapotheken etwas nicht dürfen, was Versender aus anderen europäischen Ländern dürfen?“, hieß es in einer ersten Stellungnahme des Bundesverbands der Versandhändler.

Indirekt drohte der Verband damit, dass nun auch inländische Versandapotheken Rabatte auf rezeptpflichtige Medikamente gewähren wollen, um sich anschließend wegen Verstoßes gegen das Rabattverbot verklagen zu lassen. „Der Verband werde solchen Apotheken zur Seite stehen“, hieß es.

Im Bundesgesundheitsministerium reagierte man reserviert auf die Entscheidung aus Luxemburg. Unmittelbare Folge der Entscheidung sei nur, dass die deutsche Regelung zum einheitlichen Apothekenabgabepreis bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf Versandapotheken mit Sitz im EU-Ausland künftig nicht mehr anwendbar sei. Ob dies auch Konsequenzen für die im Inland weiter geltenden Regelungen haben müsse, werde die Bundesregierung nun prüfen. Grundsätzlich habe die Gewährleistung einer flächendeckenden, wohnortnahen Arzneimittelversorgung weiterhin Priorität.

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