Euro-Kompromiss Was Merkel und Sarkozy beschlossen haben

Zwei für den Euro: Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy kämpften in Paris Seit an Seit für ihre Vorstellung der neuen EU. Was sich dahinter verbirgt.

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Angela Merkel und Nicolas Sarkozy in Paris. Quelle: dapd

Angela Merkel hat in letzter Zeit oft genug betont, dass es aus ihrer Sicht nicht den einen großen Paukenschlag gibt, mit dem man die EU-Krise lösen kann. Von dem Pariser Treffen mit dem französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy ging aber immerhin ein Aufbruchsignal aus: Das deutsch-französische Duo will einen neuen EU-Vertrag, und die Achse Paris-Berlin funktioniert noch. Für Europa und die Zukunft des Euro ist das unverzichtbar, denn alle Beteiligten wissen: Ohne eine enge und stabile deutsch-französische Beziehung wird sich die derzeitige Krise nicht lösen lassen.

Allerdings werden auch die anderen 25 EU-Mitglieder dem Merkel-Sarkozy-Plan zustimmen müssen - und in einigen Hauptstädten wächst der Widerstand gegen die deutsch-französische Dominanz.

In dem Europa nach dem Geschmack von „Merkozy“ soll die Euro-Krise mit strikten Schuldenbremsen und automatischen Sanktionen gegen Defizitsünder ausgebremst werden. Außerdem will das umtriebige Tandem Defizitsünder künftig härter bestrafen: „Automatische Sanktionen“ sollen die Folge sein. Der dauerhafte Euro-Rettungsschirm wird vorgezogen, die Europäische Zentralbank soll ihre Unabhängigkeit bewahren.

Die wichtigen Maßnahmen und Vorhaben von Merkel und Sarkozy im Detail:


EZB bleibt unangetastet

Nicolas Sarkozy und Angela Merkel sahen sich genötigt, etwas zu betonen, was eine Selbstverständlichkeit sein sollte: "Wir sind uns außerordentlich einig, dass die EZB unabhängig ist", erklärten Frankreichs Präsident und die Bundeskanzlerin gestern in Paris einmütig. Dabei lässt die Rechtslage eigentlich wenig Raum für Interpretationen. In Artikel sieben des Maastrichter Vertrags heißt es: "Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der EZB oder der nationalen Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen."Doch die juristische Eindeutigkeit hielt viele Politiker nicht davon ab, im täglichen Rhythmus der Euro-Krise darüber zu räsonieren, was die Frankfurter Währungshüter unternehmen oder unterlassen sollten.

Das soll sich jetzt ändern: Maßnahmen der EZB sollen nicht kommentiert werden - weder positiv noch negativ, heißt es in der gestrigen Erklärung. Kritik nein, gemeinsame Sache ja - so die neue Devise. Im Vorfeld des EU-Gipfels sollen sich EZB und die Politik auf eine Art informelles Abkommen geeinigt haben. Die EU-Staats- und -Regierungschefs sorgen für die Durchsetzung einer Fiskalunion, die rechtsverbindlich festlegt, auf welche Weise Brüssel die Staaten auf Konsolidierungskurs zwingen kann. Die EZB dagegen erklärt sich bereit, die Geburtswehen dieses Prozesses mit einem verstärkten Aufkauf von Staatsanleihen zu lindern.

EZB-Präsident Mario Draghi selbst hat das Abkommen vergangene Woche bei seinem Auftritt vor dem EU-Parlament beschrieben, wenn auch - wie für Notenbanker üblich - verklausuliert: Zuerst müsse es klare Schritte der Regierungen geben, um das Vertrauen an den Märkten wiederherzustellen. "Andere Elemente könnten folgen, aber auf die Reihenfolge kommt es an", erklärte er. Sollten sich "Merkozy" beim Gipfel am Freitag mit ihrem Plan durchsetzen, hätten sie ihren Teil erfüllt. Jetzt müsste die EZB bei Marktturbulenzen verstärkt Staatsanleihen aufkaufen.

Durch den Aufkauf von Staatsanleihen der überschuldeten Staaten sinken deren Refinanzierungskosten. Seit Mai 2010 hat die Zentralbank Bonds für 207 Milliarden Euro aufgekauft. Vergangene Woche waren es Papiere im Volumen von rund 3,7 Milliarden Euro, teilte die EZB gestern mit. Die Notenbank führt die Interventionen am Bondmarkt nur widerwillig durch, da sie damit erstens ihr Mandat, das auf die Preissicherung beschränkt ist, überschreitet. Und zweitens, weil sie befürchtet, mit den Bondkäufen den Anreiz der überschuldeten Staaten zu sparen verringert.

Doch viele Politiker drängen die EZB zu einem stärkeren Engagement bis hin zur Garantie für Staatsschulden. Deshalb versuchen die Notenbanker, den Aufkauf von Staatsanleihen so gering wie möglich zu halten. Die Front im Streit über die Rolle der EZB verläuft zwischen den finanzkräftigen Staaten auf der einen und den gefährdeten Ländern auf der anderen Seite. "Jetzt bedarf es einer Europäischen Zentralbank, die auch wirklich ihrem Namen gerecht wird und die gemeinsame Währung verteidigt", forderte Spaniens mittlerweile abgewählter Regierungschef José Luis Zapatero. Solche Forderungen dürften seit gestern der Vergangenheit angehören.


Rolle des IWF

Die europäische Wirtschaftsregierung, die Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy mit Macht vorantreiben, kann sicherlich helfen, langfristig neue Euro-Krisen zu verhindern. Für den Fall aber, dass kurzfristig eine große Volkswirtschaft wie Italien Hilfen der Euro-Zone benötigt und den Rettungsschirm EFSF damit überstrapaziert, kommt die Initiative zu spät.

Schon seit dem Gipfel der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen (G20) Anfang November in Cannes wird in der EU deshalb darüber diskutiert, ob nicht der Internationale Währungsfonds (IWF) eine größere Rolle bei der Euro-Rettung spielen könnte. Wie schon bisher einigen Ländern Osteuropas könnte der IWF auch Italien eine vorsorgliche Kreditlinie bereitstellen. Das Mittelmeerland könnte im Notfall schnell auf dieses Geld zurückgreifen, falls die Zinsen für seine Staatsanleihen unbezahlbar werden. Weil der Währungsfonds die Hilfen über Notenbankkredite finanzieren kann, stünden sie bei Bedarf rasch zur Verfügung. In Osteuropa hat oftmals allein die Existenz einer vorsorglichen Kreditlinie die Märkte beruhigt, so dass sie gar nicht zum Einsatz kam.

Die Bundesbank, die sich der Idee in Cannes noch kategorisch verweigert hatte, sei inzwischen diskussionsbereit, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) steht einem Einstieg des Internationalen Währungsfonds grundsätzlich positiv gegenüber, wie er Ende November betonte. Auch Unionsfraktionsvize Michael Meister (CDU) sagte: "Wir sind über jede Hilfe des IWF froh." Sollte man sich auf einen Sonderfonds für die Euro-Zone einigen, fiele dies in die Zuständigkeit der Europäischen Zentralbank (EZB) - und die entscheide unabhängig, sagte Meister.

Intensiver als über einen Sonderfonds wird nach Informationen aus Regierungskreisen aber darüber diskutiert, ob EU-Staaten - oder andere Länder wie China und Indien - den IWF generell über zusätzliche bilaterale Kredite stärken könnten. Diese werden dem Fonds durch die nationalen Notenbanken zur Verfügung gestellt. Italien könnte dann, wie jedes andere IWF-Mitglied, einen Antrag stellen.

Eigentlich wollten die Europäer Hilfen, die nicht gleich ein umfassendes Rettungsprogramm wie in Griechenland erfordern, über den eigenen Rettungsfonds EFSF bereitstellen. Dessen Ausleihvolumen von 440 Milliarden Euro reicht aber nach Meinung der Euro-Regierungen für Italien und Spanien wohl nicht aus: An dem Angebot, Anleihen der beiden Staaten mit einer Teilkasko-Versicherung des EFSF zu kaufen, zeigen Privatinvestoren aktuell wenig Interesse. Mit der teilweisen Übernahme von Ausfallrisiken wollten die Euro-Regierungen das Volumen des EFSF vervielfachen. In dieser Situation könnte der IWF den EFSF ergänzen.


ESM früher als geplant

Eigentlich sollte der permanente Euro-Rettungsschirm ESM im Jahr 2013 seine Arbeit aufnehmen. Nun soll der Europäische Stabilitätsmechanismus nach dem Willen von Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy aber schon im kommenden Jahr starten. Denn die Euro-Krisenmanager spüren, dass der Rettungsschirm EFSF trotz aller Hebel und neuen Instrumente ein Provisorium mit begrenzter Wirkung geblieben ist.

Während der EFSF nur auf einer zwischenstaatlichen Vereinbarung basiert, wird der ESM durch einen völkerrechtlichen Vertrag zu einer internationalen Finanzinstitution - ähnlich wie der Internationale Währungsfonds (IWF). Er kann 500 Milliarden Euro ausleihen, und sein Garantievolumen von insgesamt 700 Milliarden Euro wird mit 80 Milliarden Euro an bar eingezahltem Kapital unterlegt. Davon zahlt Deutschland 22 Milliarden Euro. Die restlichen 620 Milliarden Euro sind abrufbares Kapital oder Bürgschaften.

Sobald es den ESM gibt, sollen Staatsanleihen aller Euro-Staaten einen "Beipackzettel" enthalten, der beschreibt, wie die Bedingungen im Falle einer Umschuldung aussehen. Diese "Collectiv Action Clauses" (CACs) sind umstritten: Deutschland hat gegen erhebliche Widerstände fast aller anderen Euro-Staaten durchgesetzt, dass sie für Anleihen gelten, die ab 2013 ausgegeben werden. "Wir wollen, dass sich der Privatsektor künftig an Rettungsaktionen beteiligt", betonte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU). In den vergangenen Wochen hatte Deutschland darauf beharrt, die "Beipackzettel", die vor dem Risiko eines Zahlungsausfalls warnen, auch für ausstehende Anleihen einzusetzen. Investoren dürften durch die nachträgliche Änderung der Bedingungen aber noch mehr vom Staatsanleihen-Kauf abgeschreckt werden als bisher. Deshalb ist die Bundesregierung nun offenbar bereit, bei den Bedingungen für die CACs abzurüsten.

Scheitern könnte der beschleunigte Start des ESM an der langwierigen Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge, für die einige Euro-Länder wie die Niederlande bis zu 18 Monate brauchen. Wo es geht, will die Bundesregierung helfen, das Verfahren zu beschleunigen. Donata Riedel

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