Euro-Krise und die Schulden Griechenland mit Finanzhilfen nicht mehr zu retten

Die Schuldenmisere Griechenlands verschärft sich deutlich. Zu diesem Ergebnis kommt einer Studie von Freiburger Forschern. In einem Schuldenerlass sehen sie aber keine Lösung, weil das Problem ein anderes ist.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Immer mehr Euros für Athen sind keine Lösung, meinen Forscher aus Freiburg. Quelle: dpa

Berlin Eine Wiedererlangung der Kreditfähigkeit Griechenlands ist nicht absehbar, das Land wird auf unbestimmte Zeit Finanzhilfen benötigen. Das ist das zentrale Ergebnis einer Studie des Centrums für Europäische Politik (CEP) in Freiburg.

Die Ursachen für die Misere des Mittelmeerstaats beschreiben die Forscher in ihrem „Default-Index“. Der Index beschreibt die Entwicklung der griechischen Kreditfähigkeit. Ausschlaggebend hierfür ist nicht ausschließlich die Betrachtung der Staatsschulden oder des öffentlichen Defizits, zumal es aus Sicht der Experten weniger auf die Verschuldung der öffentlichen Hand insgesamt als auf ihre Verschuldung gegenüber ausländischen Kreditgebern ankommt.

In den Blick genommen werden auch die Auslandsverschuldung von Haushalten und Unternehmen, insbesondere auch der Finanzwirtschaft, da dadurch die Kreditfähigkeit eines Landes ebenfalls gefährdet werden kann. Der CEP-Index misst daher, wie sich die Fähigkeit einer Volkswirtschaft insgesamt zur Rückzahlung ihrer Auslandskredite entwickelt. Er berücksichtigt neben dem Staat auch das Kreditverhalten der Banken, Unternehmen und Konsumenten. Der Index setzt überdies am Gesamtwirtschaftlichen Finanzierungssaldo (GFS), der den Auslandskreditbedarf einer Volkswirtschaft abbildet, und am Niveau der kapazitätssteigernden Investitionen einer Periode an.

Demnach verfällt die Kreditfähigkeit Griechenlands nach wie vor ungebremst. Die Reformen der vergangenen Jahre und die massiven Finanzhilfen in Höhe von 234 Milliarden Euro hätten daran nichts geändert, konstatieren die CEP-Forscher. Lediglich 2012 habe der Verfall der griechischen Kreditfähigkeit leicht gebremst werden können. In jenem Jahr sei sie „nur“ mit einem Indexwert von minus 8,7 erodiert.

Seither habe sich der Verfall wieder beschleunigt. Der Wert des CEP-Default-Indexes für das erste Halbjahr 2014 betrage minus 10,1. „Er ist damit auf das Niveau der Jahre 2009/2010 zurückgekehrt, als die Insolvenz Griechenlands unmittelbar bevorstand und ohne internationale Rettungen unausweichlich gewesen wäre“, heißt es in der Analyse.

Ursächlich für die schwierige Lage Griechenlands sei der schrumpfende Kapitalstock des Landes. Diese Entwicklung führe dazu, dass die griechische Wirtschaft immer weniger produziert. Seit 2010 sei das griechische Bruttoinlandsprodukt (BIP) um über 15 Prozent gesunken, seit 2008 sogar um 25 Prozent. Dadurch sei auch die Steuerbasis des Staates stetig zurückgegangen. „Griechenland“, resümieren die Experten, „hat sich damit immer weiter von dem Ziel entfernt, die öffentliche Schuldenlast von inzwischen 315 Milliarden Euro durch zusätzliche Steuereinnahmen stabilisieren zu können.“


Griechen konsumieren zu viel

Für problematisch halten die Forscher zudem, dass der griechische Konsum die kritische Schwelle von 100 Prozent des verfügbaren Einkommens deutlich übersteigt. Im ersten Halbjahr 2014 sei sie auf den Rekordwert von über 121 Prozent gestiegen. Dies sei mit Abstand der höchste Wert aller Euro-Staaten. Mit Portugal und Zypern, merken die Experten an, besäßen nur zwei weitere Euro-Länder eine Konsumquote von über 100 Prozent. Dort betrage sie allerdings lediglich 105 und 104 Prozent. „Die hohe Konsumquote ist die Kehrseite der negativen Investitionsquote und damit eines der Hauptprobleme der griechischen Misere“, unterstreichen die Forscher. Wenn Griechenland wieder ohne fremde Hilfe auskommen wolle, müsse daher der Konsum „drastisch“ eingeschränkt werden. Hierfür gebe es jedoch „keine Anzeichen“, konstatieren die Experten nüchtern.

Die schwierige Situation der Hellenen bestimmt dort auch die innenpolitische Debatte. Am kommenden Sonntag wird in Griechenland ein neues Parlament gewählt. In Umfragen liegt die linke Oppositionspartei Syriza vorn. Sie fordert von den internationalen Gläubigern einen weitgehenden Schuldenerlass.

Die Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), Christine Lagarde, hält nicht von einer Umschuldung. Ein solcher Schritt würde Konsequenzen für die Glaubwürdigkeit des Euro-Krisenlandes haben, sagte Lagarde in einem am Montag veröffentlichten Interview der Zeitung „The Irish Times“. „Schulden sind Schulden, und das ist ein Vertrag“, wurde die IWF-Chefin weiter zitiert.

CEP-Vorstand Lüder Gerken sieht das genauso. „Der vielfach geforderte Schuldenschnitt löst das eigentliche Problem Griechenlands nicht“, sagte Gerken. „Solange die griechische Wirtschaft nicht wettbewerbsfähig ist, benötigt das Land neue Kredite aus dem Ausland.“ Auch die Wirkung des ersten Schuldenschnitts von 2012 sei verpufft.

Die Lösung des Freiburger Thinktanks sieht daher anders aus: „Griechenland benötigt dringend Reformen, die die Wettbewerbsfähigkeit verbessern“, schreiben die Forscher in ihrer Studie. Zwar habe das Land auf Druck der internationalen Geldgeber zahlreiche Reformen umgesetzt. Die gewünschte Wirkung sei jedoch nicht eingetreten. „Dies ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen“, analysieren die Experten, „dass die Reformen von außen vorgegeben wurden.“


Griechenland soll über eigene Zukunft selbst entscheiden

Hieraus hätten sich zwei Hindernisse für deren Wirksamkeit ergeben. „Zum einen wurden einige Reformen nur auf dem Papier beschlossen, von den ausführenden Behörden dann jedoch nicht umgesetzt beziehungsweise angewendet. Zum anderen erzeugten die Reformen kein positives Konsum- und Investitionsklima, da ein großer Teil der Bevölkerung nicht von der Wirksamkeit der Reformen überzeugt ist.“ In der Folge seien Investitionen ausgeblieben und Kapital habe das Land verlassen.

Die CEP-Forscher plädieren deshalb dafür, Griechenland selbst über die eigene Zukunft entscheiden zu lassen. „Hierzu gehört auch die Entscheidung über eine Mitgliedschaft in der Euro-Zone“, empfehlen sie. Einen Euro-Ausschluss sollte es aber nicht geben. „Ein freiwilliger Austritt sollte aber von den anderen Euro-Ländern hingenommen werden.“ Die Experten begründen dies damit, dass die nach 2010 bei einem Austritt befürchteten Ansteckungsgefahren für andere Länder, wie im Falle Irlands und Spaniens, entweder nicht mehr bestünden oder seien, wie im Falle Portugals, beherrschbar.

Außerdem würde aus Sicht der CEP-Forscher ein Austritt zwar mit einem Schuldenschnitt einhergehen und so dazu führen, dass Griechenland einen Großteil der erhaltenen Finanzhilfen und der Target-Verbindlichkeiten nicht zurückzahlen könne. „Es ist jedoch davon auszugehen, dass dies bei einem Verbleib im Euro-Raum ebenso der Fall wäre.“

Sollte es jedoch zu einem weiteren Schuldenerlass für Griechenland kommen, muss nach Ansicht der Experten sichergestellt werden, „dass zukünftige Entscheidungen der griechischen Regierung nicht mehr zu Lasten der anderen Euro-Staaten gehen“. Dies gelte sowohl bei einem Austritt als auch bei einem Verbleib in der Euro-Zone. „Eine Insolvenzordnung für Staaten“, so die Forscher, „ist dafür unverzichtbar.“

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%