Europa „Der Ball Europas liegt im Feld Frankreichs"

Der Ausgang der Niederlande-Wahl hat diese Runde beflügelt: Sigmar Gabriel, Emmanuel Macron und Jürgen Habermas erörterten die Zukunft Europas. Dabei kam es zu einem überraschenden Rollenwechsel.

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Außenminister Sigmar Gabriel, der französische Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron und der deutsche Philosoph Jürgen Habermas diskutierten über die Zukunft der Europäischen Union. Quelle: AFP

Berlin Es war so etwas wie ein europäischer Geist zu spüren als Sigmar Gabriel, Emmanuel Macron und Jürgen Habermas das völlig überfüllte Auditorium der Hertie School of Governance in Berlin unter großem Beifall betraten. Drei überzeugte Europäer die – offenbar beflügelt vom proeuropäischen Wahlausgang in den Niederlanden – nach einer neuen Erzählung für den von Krisen und Selbstzweifeln geschüttelten Kontinent suchten.
Und siehe da: Europa bewegt sich doch. „Der Ball Europas liegt im Feld Frankreichs“, sagte der parteiunabhängige französische Präsidentschaftskandidat Macron. Es sei an den Franzosen, das Vertrauen Deutschlands in die Reformfähigkeit des Nachbarn zurückzugewinnen. „Wir haben seit zehn Jahren keine Reformen mehr gemacht“, bilanzierte der 39-jährige frühere Investmentbanker, der im Moment in den Meinungsumfragen leicht die Nase vor der Rechtspopulistin Marine Le Pen und ihrer Front National hat. Ein Trend, der auch Angela Merkel nicht entgangen ist. Sie hatte den Jungstar aus Frankreich bereits am Nachmittag im Kanzleramt empfangen.

Die harsche Selbstkritik Macrons hätte Wolfgang Schäuble kaum deutlicher formulieren können. Und so kam es, dass auf einmal ein Franzose harte Reformen anmahnte, während der Außenminister und sein Philosoph für mehr Verständnis für die geplagten Reformländer warben. „Das Austeritätsregime hat Europa tief gespalten“, konstatierte Habermas. Es sei vor allem Aufgabe der Bundesregierung die „wirtschaftlich asymmetrischen Folgen“ der Sparpolitik zu korrigieren. Gabriel nahm die Vorlage dankbar auf und räumte erst mal mit dem deutschen Märchen auf, dass Deutschland der Lastenesel der EU sei. „Das sind Fake News“, sagte der SPD-Politiker. Deutschland habe ein ureigenes Interesse daran, dass es den anderen Europäern gut gehe. „Wer soll denn sonst die deutschen Autos kaufen?“, fragte Gabriel.
Macron räumte ein, dass die Sparpolitik die Südländer hart getroffen habe. Dennoch müsse man eine Debatte darüber führen, wie man dort die notwendigen Reformen durchführen könne. „Das europäische Momentum muss dabei von Deutschland und Frankreich ausgehen“, sagte Macron, „wir brauchen mehr Solidarität und Wachstum.“ Gabriel nickte zustimmend und forderte zugleich mehr öffentliche Investitionen die man zum Beispiel durch das konsequente Eintreiben der Steuern von Großkonzernen finanzieren könne.
Als eine neue Erzählung für Europa reichte das noch nicht. Und als Habermas dann auch noch die im Moment wieder populäre Idee der unterschiedlichen Geschwindigkeiten bei der europäischen Integration als Irrweg brandmarkte, weil damit ja die wirtschaftlichen Ungleichgewichte nicht beseitig würden, war die europäische Euphorie schon fast wieder verpufft. Zum Glück war da noch Macron, auf dessen Wahlsieg sich im Moment alle Hoffnungen der Proeuropäer richten. „Ich wünsche mir einen deutsch-französischen New Deal für Europa“, sagte der Hoffnungsträger zum Abschluss. Ein Satz, in dem alles drin steckt: Deutschland, Frankreich, die amerikanische Idee eines fürsorglichen Staates und natürlich Europa. Das muss was ja werden – hoffentlich.

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