Europa Deutschland gibt seine Führungsrolle auf

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Die EU-Partner müssen sich an dieses neue Deutschland erst gewöhnen. Streitschlichter, Vermittler, Antreiber – die Rolle, die Deutschland bislang innehatte, ist im Moment vakant. Es klafft eine große Lücke, von der sich nicht abzeichnet, wer sie füllen soll. Beim Gipfel an diesem Donnerstag wird sich das Machtvakuum deutlich zeigen. Die Atmosphäre dürfte bleiern sein. Um das unangenehme Treffen so kurz wie möglich zu halten, beschlossen die Staats- und Regierungschefs, den Gipfel auf einen Tag – statt der üblichen zwei Tage – zu verkürzen. Man hat sich derzeit wenig zu sagen.

Deutschland hat seine neue Rolle nicht über Nacht angenommen. Beobachter heben hervor, dass bereits die Regierung von Helmut Kohl in ihrer Endphase die europäische Integration nicht mehr bedingungslos unterstützte. „Schon damals hat man nicht mehr mit geschlossenen Augen gesagt, mehr Europa ist gut für Deutschland“, betont Janis Emmanouilidis vom Brüsseler Thinktank European Policy Centre (EPC). Auch unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hat Deutschland eigene Interessen stärker definiert, die Belastung Deutschlands als Nettozahler thematisiert und Überregulierung aus Brüssel kritisiert.

Personalpolitik in Brüssel

Und dann kam Kanzlerin Angela Merkel, die erst einmal die perfekte Europäerin gab. Bei ihrem ersten Gipfel in Brüssel im Dezember 2005 war sie es, die in den frühen Morgenstunden bei den festgefahrenen Verhandlungen um den EU-Haushalt den Durchbruch erzielte. Und während der deutschen Präsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 gelang ihr das Kunststück, die 27 Mitgliedstaaten auf den Vertrag von Lissabon einzuschwören. Damals waren sich alle einig: Außer ihr hätte wohl niemand aus der versammelten Riege einen Schulterschluss erzielen können.

Doch seitdem ist sie zu „Madame Non“ mutiert, die nationale Interessen nicht mehr zwangsweise den europäischen unterordnet. So betreibt sie entschlossener als frühere Regierungen Personalpolitik in Brüssel und hievte ihren Europaberater Uwe Corsepius in die einflussreiche Position des Generalsekretärs des Rates, die er Mitte 2011 antreten wird. Sie tat alles dafür, Bundesbank-Präsident Axel Weber den Weg an die Spitze der Europäischen Zentralbank zu ebnen, obwohl dessen italienischem Gegenkandidaten Mario Draghi von Notenbankern mehr internationale Erfahrung bescheinigt wird.

Und nun soll auch noch ein Deutscher den Hilfsmechanismus für notleidende Staaten überwachen. Der frühere Generaldirektor für Wirtschaft und Währung, Klaus Regling, soll Chef der Zweckgesellschaft werden.

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