Europa und der „Brexit“ Britische Mehrheit angeblich gegen EU-Abschied

Die Britische Wirtschaft würde deutlich an Tempo, Großbritannien selbst an Bedeutung verlieren. Wirtschaftsexperten werden nicht Müde, die Briten vor einem Abschied aus der EU zu warnen. Offenbar mit ersten Erfolgen.

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Bei den britischen Buchmachern stehen die Zeichen auf EU-Verbleib. Quelle: dpa

Berlin/Paris/London Die europäischen Partner haben wenige Tage vor dem Referendum über einen EU-Austritt Großbritanniens den Druck erhöht. Frankreich warnte vor einem massiven Bedeutungsverlust des Königreichs. Führende deutsche Wirtschaftsvertreter sprachen von einer möglichen „Katastrophe“. Der Internationale Währungsfonds (IWF) betonte, größter Verlierer wäre die britische Wirtschaft, die sich in den vergangenen Jahren sehr gut geschlagen hat.

„Es würde sich isolieren“, sagte Frankreichs Wirtschaftsminister Emmanuel Macron der Zeitung „Le Monde“ mit Blick auf den EU-Partner. Großbritanniens Bedeutung auf der Weltbühne wäre dann vergleichbar mit der Kanalinsel Guernsey - ein kleinerer Handelsposten am Rande Europas. Die Botschaft Richtung London müsse daher klar sein: Ein Brexit hätte ernste Konsequenzen. „Entweder seid ihr drin oder draußen.“

Ähnlich äußerte sich Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn. Er wandte sich im „Tagesspiegel am Sonntag“ gegen Nachverhandlungen zur Wahrung einer EU-Mitgliedschaft für den Fall, dass sich die Briten am kommenden Donnerstag für den Austritt entscheiden sollten. „Nachverhandlungen sind keine Option - allein schon deshalb, weil man das demokratische Votum achten muss. Wenn sich die Briten für den Brexit entscheiden, dann ist der Brexit Realität.“

Nach IWF-Berechnungen würde Großbritannien durch den Brexit bis 2019 rund fünfeinhalb Prozent seiner Wirtschaftskraft einbüßen im Vergleich zu einem Verbleib in der Europäischen Union. Falle der Trennungsprozess weniger radikal aus und werde das Land nicht abrupt von allen Vorteilen der Gemeinschaft ausgeschlossen, bleibe immer noch ein Minus von eineinhalb Prozent. Unter anderem müsse Großbritannien dann zum Beispiel die Grundlagen für seine Handelsbeziehungen mit 60 Nicht-EU-Ländern neu aushandeln. Die Gespräche dürften Jahre dauern.

An den Börsen wird im Fall der Fälle mit heftigen Turbulenzen gerechnet, etwa mit einer starken Abwertung des Pfund. Die Europäische Zentralbank (EZB) steht aber bereit, um dem entgegenzuwirken. „Wir schauen uns das Risiko jeden Tag an und alle Zentralbanken, nicht nur die EZB, sind bereit zu intervenieren mit den konventionellen Mitteln, die sie haben“, sagte EZB-Ratsmitglied Ignazio Visco der italienischen Zeitung „La Repubblica“. Dazu zählten die Zinssätze sowie Repo- und Swap-Transaktionen, also Rückkauf- und Tausch-Geschäfte. Die Nachrichtenagentur Reuters hatte zuletzt bereits unter Berufung auf einen Insider berichtet, Devisen-Swap-Linien zwischen der EZB und der Bank von England könnten schnell aktiviert werden, um im Bedarfsfall Geldhäuser mit ausreichend Pfund oder Euro zu versorgen.

Buchmacher schätzen die Wahrscheinlichkeit eines EU-Verbleibs der Briten aktuell mit 65 Prozent ein, wie Erhebungen des Online-Wettanbieters Betfair ergaben. Davor lag die Quote noch bei 67 Prozent. Einer telefonischen Meinungsumfrage des Instituts BMG zufolge will die Mehrheit der Briten in der EU bleiben. 53,3 Prozent sprachen sich in der Befragung für die Zeitung „The Herald“ für einen Verbleib in der 28-Staaten-Gemeinschaft aus. 46,7 Prozent votierten für einen EU-Austritt.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag erwartet „gravierende Folgen“ für die Handelsbeziehungen im Falle eines Brexit. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ sagte Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben, sechs von zehn deutschen Unternehmen, die in Großbritannien tätig seien, würden ihre Geschäfte herunterfahren. Für den Präsidenten des Außen- und Großhandelsverbandes BGA, Anton Börner, wäre der Brexit eine „Katastrophe“, wie er der „Passauer Neuen Presse“ sagte. Der Präsident des Industrieverbandes BDI, Ulrich Grillo, ergänzte in der „Rheinischen Post“: „Ein britischer Austritt würde eine hohe Rechtsunsicherheit für die Wirtschaft bedeuten. Gerade deutsche Unternehmen wären dramatisch betroffen.“

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