Europäische Währungsunion Moscovici contra Schäuble

Der EU-Wirtschaftskommissar Moscovici verlangt ein Budget und Finanztransfers für die Eurozone. Von einem Europäischen Währungsfonds, wie er Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vorschwebt, hält Moscovici gar nichts.

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Der Bundesfinanzminister ist mit den Brüsseler Haushaltskontrolleuren unzufrieden und will diesen Befugnisse entziehen. Sein Kontrahent Moscovici will sie stärken. Quelle: dpa

Brüssel Der Sozialist Pierre Moscovici und der Christdemokrat Wolfgang Schäuble standen sich politisch nie besonders nahe. Nun öffnet sich eine neue Front zwischen dem EU-Wirtschaftskommissar und dem Bundesfinanzminister. Der Franzose hat dezidiert andere Vorstellungen von der künftigen Ausgestaltung der Europäischen Währungsunion als der Deutsche. „Wir müssen die Eurozone stärker machen“, sagte Moscovici am Montag in Brüssel.

Die Währungsunion müsse ein „Schatzamt“ bekommen, das „eine Art Haushalt“ verwaltet. Finanziert werden könne dieser Haushalt mit „Transfers“ aus den Euro-Staaten oder mit einer europäischen Steuer. Als Beispiel nannte Moscovici die europäische Finanztransaktionssteuer. Die Euro-Zone benötige das gemeinsame Budget, um die „Arbeitslosigkeit zu bekämpfen“ und um „Investitionen anzukurbeln“, so Moscovici. Der EU-Kommissar sprach sich zudem dafür aus, die politische Führung der Währungsunion zu stärken. Die Gruppe der Euro-Finanzminister benötige dafür einen „permanenten Vorsitzenden“. Das Amt solle der EU-Wirtschaftskommissar in Personalunion übernehmen, so Moscovici.

Die Forderungen des Franzosen dürften im Bundeskanzleramt und im Bundesfinanzministerium kaum Begeisterung auslösen. Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble haben mit der Währungsunion etwas ganz anderes vor: Sie wollen den Euro-Rettungsfonds ESM zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) weiter entwickeln. Der Währungsfonds soll weitreichende Befugnisse bekommen – und zwar auch zu Lasten der EU-Kommission.

Beispielsweise wird in Berlin darüber nachgedacht, dass der EWF künftig die Volkswirtschaften und die Haushaltspolitik der Euro-Staaten überwacht. Diese Kompetenz liegt bislang ausschließlich bei der Kommission, doch im Bundesfinanzministerium ist man mit den Brüsseler Haushaltskontrolleuren unzufrieden. Die Kommission wende die Sparvorschriften des Stabilitätspakts nicht korrekt an und verfahre aus politischen Gründen zu großzügig mit Defizitsündern wie Italien, heißt es in Berlin. Schäuble würde die Haushaltsüberwachung deshalb gerne einem anderen „neutralen“ Gremium übertragen. Dabei denkt er offenbar an den zum Währungsfonds weiter entwickelten ESM.


Europäischer Währungsfonds auch ohne Änderung von EU-Vertrag möglich

Die Berliner Gedankenspiele stoßen in Brüssel auf wenig Gegenliebe. „Wir können kein total technokratisches Gremium brauchen“, sagte Moscovici. Einen Europäischen Währungsfonds könne er überhaupt nur dann akzeptieren, wenn dieser im EU-Vertrag von Lissabon verankert werde. Dass dies in absehbarer Zukunft nicht möglich sein wird, weiß Moscovici nur zu gut. EU-Vertragsänderungen gelten derzeit als politisch ausgeschlossen. Die überwältigende Mehrheit der EU-Staaten und auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sind dagegen. Die Bundesregierung will deshalb den ESM-Vertrag reformieren und so eine Rechtsgrundlage für den Europäischen Währungsfonds schaffen. Das ist theoretisch möglich, ohne den EU-Vertrag von Lissabon anzutasten.

Moscovici fliegt am Montagabend zu politischen Gesprächen nach Berlin. Er trifft dort mit SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz, Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD), Finanzstaatssekretär Jens Spahn (CDU) und dem CDU-Bundestagsabgeordneten Ralf Brinkhaus zusammen. Dabei dürfte auch die Weiterentwicklung der Währungsunion zur Sprache kommen. Wegen den bevorstehenden Wahlen in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland zögern die Regierungen noch mit dieser Reform. Es gilt jedoch als wahrscheinlich, dass sie nach der Bundestagswahl im September in Angriff genommen wird.

Die Forderungen nach einem Schatzamt und einem Haushalt für die Euro-Zone standen bereits im sogenannten Fünf-Präsidenten-Bericht, den EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vor knapp zwei Jahren vorgelegt hatte. Die Präsidenten Mario Draghi (EZB), Martin Schulz (Europaparlament), Jeroen Dijsselbloem (Eurogruppe) und Donald Tusk (Europäischer Rat) hatten diesen Bericht damals unterzeichnet. In dem Weißbuch zur Zukunft der EU, das Jean-Claude Juncker vergangene Woche vorlegte, ist von Schatzamt und Euro-Haushalt jedoch keine Rede mehr.

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