Ex-WTO-Generaldirektor Pascal Lamy "Trump ist niemand, der eine moderne Wirtschaft versteht"

Seite 2/2

"Die amerikanischen Verbraucher wollen das nicht"

Es ist absehbar, dass die WTO dann ein Streitpanel zu dem Thema einrichten wird…
… das drei Jahre dauern wird. Das kann die WTO destabilisieren.

Welche Option halten Sie für wahrscheinlicher?
Trumps Entscheidung wird davon abhängen, welche Lobby sich durchsetzt. Handelskonzerne wie Walmart sind total gegen die Variante, die Importe verteuern würde. Meine persönliche Meinung ist die softere Variante - aus rationalen Gründen. Wenn Trump die Importe behindert, schießt er sich in den Fuß. Er schützt vielleicht ein paar Jobs im Stahlsektor, aber in Silicon Valley würden sehr viele Jobs verloren gehen, sodass es keinen Sinn ergibt. Die amerikanischen Verbraucher wollen das nicht.

Und Trumps Kurs gegenüber der WTO, wie wird der aussehen?
Trump wird viel schreien, er wird viel Lärm machen, aber ich gehe nicht davon aus, dass die USA aus der WTO austreten wird.

Was kann die WTO machen, um stark zu sein?
Wenn die USA einen Rückzug signalisieren sollten, dann werden die Mitglieder reagieren. Die Europäer, die Lateinamerikaner, die Asiaten, allen voran die Chinesen, konsultieren sich ja bereits – wenn auch auf sehr diskrete Weise. Es gibt Kontakte, aber niemand will die Amerikaner provozieren. Die anderen Länder spielen mögliche Szenarien durch. Wenn man nach Asien, Afrika und Lateinamerika sieht -  alle die sich öffentlich äußern oder mit denen ich gesprochen habe, pochen darauf, dass eine multilaterale, regelbasierte Organisation bestehen bleibt. Ich wäre überrascht, wenn ein anderes Land den USA folgen würde. Bei einem Exodus wären die USA ganz allein. Und das wäre wirklich bemerkenswert, denn historisch waren die Amerikaner seit 50 Jahren Pilot oder Ko-Pilot der WTO, gemeinsam mit den Europäern. 

Aktuell gerieren sich die Chinesen als Retter des Welthandels. Ist das glaubwürdig?
Wenn die USA in Richtung Protektionismus abdriften, dann wird China den frei werdenden Platz nutzen, um seine geopolitischen Vorteile zu nutzen. China deswegen als Verteidiger des Freihandels zu sehen und auf seine Führungsrolle zu setzen, wäre stark übertrieben. China hat seine Wirtschaft praktisch nicht geöffnet seit seinem WTO-Beitritt 2001, und der Staat interveniert laufend, indem er die unterschiedlichsten Einschränkungen erlässt, etwa bei ausländischen Investitionen. Dies zeigt der aktuelle Bericht der EU-Handelskammer in China. Die Europäer müssen nun Initiativen nehmen, um einen offenen multilateralen Handel zu erhalten.

Worum streiten die USA und China?

Kritiker bemängelnd, dass die Regeln der WTO nicht streng genug sind, um den unfairen Wettbewerb der Chinesen zu kontrollieren. Was ist da dran?
Die WTO-Regeln gegenüber den Chinesen sind in der Tat nicht streng genug. Aber die Amerikaner hätten das beim Beitritt Chinas zu ihrer Priorität machen müssen. Sie haben sich darauf konzentriert, dass der Zoll für chemische Produkte 3,5 Prozent beträgt, statt ausreichend Druck zu machen bei den Regeln für Subventionen oder dem Zugang zu  öffentlichen Aufträgen. Das ist ihr Fehler. Das war übrigens auch der Fehler der Europäer und Japaner, die allesamt die Chinesen unterschätzt haben. Sie haben falsche Maßstäbe angelegt, als sie die Risiken bewertet haben.

Die Chinesen haben gezeigt, dass sie schnell lernen. Sie verklagen die Europäer vor der WTO, weil sie den Chinesen nicht den Status einer Marktwirtschaft zugestehen. Wie beurteilen Sie das?
Die Europäer verhalten sich juristisch korrekt. Sie haben eine schlaue Lösung gefunden, indem sie ihr ganzes System für Handelsschutz reformieren. Die Amerikaner sind nicht so clever, sie sagen einfach „njet“ bei der WTO. Das wird einen Streitfall geben, der vielleicht sogar entscheidender wird  als der Fall zur Border-Adjustment-Tax. Es ist wahrscheinlich, dass die Amerikaner das verlieren werden. Wenn Trump sich nicht an das Urteil der WTO hält, dann haben die Chinesen ein Recht auf Kompensation. Angesichts Trump Anti-China-Haltung. Dann wird es spannend.

Braucht die WTO eine Reform?
Nein, meiner Ansicht nach funktioniert die WTO. Die Karosserie ist in Ordnung, aber das System hängt von den Mitgliedsstaaten ab. Die WTO läuft, so lange die USA, China, Europa und die Brasilianer einer Meinung sind. Die Afrikaner sehen übrigens, dass sie ein extremes Interesse am Multilateralismus haben. Länder wie Nigeria und Senegal merken, dass sie bilateral kein Gewicht haben, als afrikanische Truppe in der WTO aber schon.

Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%