Am Yangshan Port, dem nach Tonnage größten Hafen der Welt, fällt es etwas schwer, die neuesten Zahlen zu Chinas Exporten zu glauben. Nebel liegt über der Felseninsel. Eine 30 Kilometer lange Brücke führt von Shanghai direkt über das Meer. 2005 baute man auf der kleinen Insel einen Tiefseehafen und verband ihn mit einer Brücke, um den immer weiter wachsenden Güterstrom nach und aus China heraus zu händeln. Doch nur wenige Lastwagen nehmen den Weg über das von Sedimenten gelbe Wasser. Und auch am Hafen selbst sind nur wenige Container-Schiffe zu sehen.
Auch die zuletzt veröffentlichten Zahlen zum Einkaufsmanagerindex verhießen nichts Gutes: Mit 50,7 Punkten notiert der Index zwar noch im leicht positiven Bereich, ist aber so tief wie seit zwei Jahren nicht mehr. Gleichzeitig bringt der Abfluss von Kapital Schwellenländer wie Argentinien und die Türkei in Turbulenzen, die China in Mitleidenschaft ziehen könnten.
Und doch: 10,6 Prozent mehr Waren soll China im Januar ausgeführt haben als im Jahr zuvor. Sind die Zahlen geschönt? Kritische Stimmen vermuteten dahinter gefälschte Transaktionen, um Geld ins Land zu schmuggeln. Seit Jahren wird so versucht, die strengen Kapitalkontrollen des Landes zu umgehen.
Wie vertrauenswürdig Wirtschaftszahlen aus China eigentlich sind, wird immer wieder angezweifelt. Einige Zeit galt der Elektrizitätsverbrauch als eine gute Methode, um die BIP-Zahlen zu falsifizieren. Stieg der weniger stark an als die von der Regierung veröffentlichten BIP-Wachstum, konnte etwas nicht stimmen. Mittlerweile ist die Diskussion etwas aus der Mode geraten, denn falls Zahlen gefälscht werden, dann auch die des Stromverbrauchs.
Die meisten Analysten gehen weiterhin von einem stabilen Wachstum 2014 zwischen sieben und acht Prozent aus - 7,5 Prozent lautete auch das Ziel der Regierung im vergangenen Jahr, 7,7 Prozent waren es tatsächlich.
Bei der Deutschen Bank vermutet man sogar, dass die jüngsten Export-Zahlen tatsächlich noch besser sind: "Wir gehen davon aus, dass das tatsächliche Exportwachstum bei 20 Prozent liegt", sagt Jun Ma Chefökonom der Deutschen Bank in Hongkong. Die Zahlen vom Dezember 2012 bis April 2013 nämlich seien eben durch jene Kapitalexporte geschönt gewesen und tatsächlich wesentlich niedriger als angegeben. Weiter ist man der Meinung, dass die Exporte für das gesamte Jahr ansteigen werden - getrieben durch eine stärkere Nachfrage aus den USA und der EU. Die chinesische Regierung hat bekanntgegeben, den Export in diesem Jahr um 7,5 Prozent zu steigern.
Chinas Geisterstädte führen zu guten Wachstumszahlen
Wirklich entscheidend sind die Zahlen für China nicht, denn die eigentlichen Probleme liegen an anderer Stelle. Besonders seit dem Konjunkturpaket 2008 wächst Chinas Wirtschaft zwar stabil auf hohem Niveau, aber nicht in der Art, wie sie es sollte. Ein zu großer Teil der Investitionen wird in ineffizienten Infrastrukturprojekten sinnlos verschleudert. So sind zum Beispiel Geisterstädte im ganzen Land entstanden.
Kurz bevor die Straße das Festland verlässt und in Richtung Yangshan Port führt, liegt ein kreisrunder See von etwa zwei Kilometer Durchmesser. Eine mit Bäumen bepflanzte Uferpromenade führt um das Wasser. Der See ist künstlich. Ringsherum hat man Luxusapartments errichtet - für reiche Shanghainesen zur Sommerfrische. Lingang New City heißt die Kunststadt, entworfen von einem deutschen Architektenbüro. 800000 Menschen sollen hier einmal leben. Auf den Straßen zu sehen ist: Niemand.
Das Muster, wie solche Geisterstädte entstehen, ist stets das gleiche: Klamme Kommunen verkaufen Land an Immobilienentwickler, die darauf Wohnraum errichten. Mit dem so erlangten Geld bauen die Lokalregierungen Straßen, Brücken und Bahnhöfe - und melden so großartige Wachstumszahlen nach Peking. Die Immobilienentwickler verkaufen die Wohnungen an die Bevölkerung, die auf weiter ansteigende Immobilienpreise hofft. Wie lange der Kreislauf so weitergehen kann, ist fraglich - allein im letzten Jahr stiegen die Immobilienpreise in Städten wie Peking, Guangzhou und Shanghai um 15 bis 20 Prozent. Sollten sie Preise einmal zu fallen beginnen, bricht das System zusammen.
Zudem ist immer mehr Kapital notwendig, um das Wachstum zu erzielen. Viele Banken geben kaum noch Kredite. Um trotzdem noch an Geld zu kommen, leihen sich viele Unternehmen Geld auf dem grauen Markt. Dort sind die Zinssätze wesentlich höher als bei den staatlichen Banken. Die Anbieter bündeln die Kredite zu sogenannten "Wealth Management Produkten" und bieten den Käufern hohe Renditen bei angeblich null Risiko. Was genau passiert, wenn diese Produkte platzen, ist ungewiss.
Die Zentralregierung weiß um diese gefährliche Spirale. So wurden die Provinzregierungen angewiesen, sich nicht mehr das quantitative BIP-Wachstum zu fokussieren. Nur noch 14 Provinzen planen für 2014 zweistellige Wachstumsraten - 2013 waren es noch 24. Auch die Möglichkeiten, Immobilien zu spekulativen Zwecken zu kaufen, wurden eingeschränkt. Stattdessen soll der Binnenkonsum eine stärkere Rolle übernehmen.
China wird sich also auf niedriges Wachstum einstellen - und das ist gut so.