Fetullah Gülen Der Erdogan-Erzfeind

Der türkische Präsident Erdogan hat den Drahtzieher des Militärputsches schnell ausgemacht: Sein Ex-Verbündeter Fetullah Gülen, der in den USA lebt. Plausibel erscheinen die Anschuldigungen auf den ersten Blick nicht

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Das Bild aus dem Jahre 2013 zeigt Fethüllah Gulen, den islamischen Prediger und Gründer der Gülen-Bewegung. Ihn macht Erdogan für den Putschversuch verantwortlich. Quelle: dpa

Glaubt man dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, wurde der Staatsstreich gegen ihn tausende Kilometer entfernt geplant – in Saylorsburg im US-Staat Pennsylvania. Dort lebt auf einem zehn Hektar großen Landsitz der islamische Prediger Fetullah Gülen – einst ein enger Verbündeter Erdogans, inzwischen sein Erzfeind.

Der heute 74-jährige Gülen ging 1999 in die USA, um sich einem in der Türkei drohenden Strafverfahren wegen islamistischer Umtriebe zu entziehen. Aus seinem Exil steuert der Prediger ein globales Netzwerk von Bildungseinrichtungen, Wohltätigkeitsorganisationen und Stiftungen. In seinen Predigten tritt der Geistliche für einen Dialog der Religionen und der Kulturen ein. In der Türkei hat er Millionen Anhänger.

Für Erdogan war er nach dem Wahlsieg seiner islamisch-konservativen AKP Anfang der 2000er Jahre ein wichtiger Mitstreiter, vor allem bei dem Bemühen, die kemalistischen Eliten in der öffentlichen Verwaltung, im Bildungssystem und in der Justiz durch gläubige Muslime zu ersetzen. So kamen „Gülenisten“ an wichtige Schaltstellen des Staatsapparates.

Seit Ende der 2000er Jahre gingen die beiden Männer zunehmend auf Distanz. Gülen kritisierte Erdogans Konfrontationskurs gegenüber Israel. Auch Erdogans Unterstützung für die radikal-islamische Hamas, die ägyptischen Moslembrüder und die Dschihadisten in Syrien stießen bei Gülen auf Missbilligung. 2013 kam es zum endgültigen Bruch: Erdogan beschuldigte Gülen, er habe die Massenproteste gegen die Regierung im Sommer 2013 organisiert, die Ende desselben Jahres aufgekommen Korruptionsvorwürfe gegen ihn lanciert und plane seinen Sturz.

Tausende Anhänger Gülens ließ Erdogan seit Ende 2013 aus dem Staatsdienst und der Justiz entfernen, die Gülen-Bewegung wurde zur „Terrororganisation“ erklärt. Mehrere Gülen nahestehende Medienunternehmen, darunter die größte türkische Tageszeitung „Zaman“, und eine Bank wurden in den vergangenen Monaten unter staatliche Zwangsverwaltung gestellt.


Gülen lebt zurückgezogen

Gülen lebt zurückgezogen, geht nur selten an die Öffentlichkeit. Aber vergangenes Jahr meldete sich der Gelehrte in einem Interview mit dem „Wall Street Journal“ zu Wort. Er sei „erschüttert, weil in der Türkei die demokratischen Fortschritte der vergangenen Jahre zurückgedreht werden“, erklärte Gülen. Den Vorwurf, auf einen Sturz Erdogans hinzuarbeiten, wies der Geistliche zurück: „Wir werden uns niemals an einer Verschwörung gegen jene beteiligen, die unser Land regieren.“

Genau das wirft Erdogan ihm jetzt vor. Plausibel erscheinen die Anschuldigungen allerdings auf den ersten Blick nicht, denn Gülen verfügte bisher nach Einschätzung von Kennern der Verhältnisse über keinen nennenswerten Einfluss im Militär.

Am Sonntag bestritt Gülen in einem Interview mit der „New York Times“ und dem britischen „Guardian“ jede Beteiligung. „Meine Botschaft an das türkische Volk ist, eine militärische Intervention niemals positiv zu sehen“, sagte Gülen. Ein Staatsstreich sei kein Weg zur Demokratie. In dem Interview deutete Gülen den Verdacht an, Erdogan habe den Coup womöglich selbst inszeniert – um jetzt mit noch härterer Hand regieren zu können. Diese und andere Verschwörungstheorien wurden am Sonntag ausgiebig in den sozialen Medien in der Türkei diskutiert.

Welche Beweise Erdogan für Gülens Verwicklung hat, bleibt offen. Er verlangt jedenfalls jetzt von den USA Gülens Auslieferung. Präsident Obama müsse nun „handeln“, wenn die USA und die Türkei strategische Partner bleiben sollten, so Erdogan. Ministerpräsident Binali Yildirim verstieg sich sogar zu der Drohung, jedes Land, das Gülen unterstütze, werde als „im Kriegszustand mit der Türkei“ betrachtet. US-Außenminister John Kerry erklärte im TV-Sender CNN, die Türkei müsse ein Auslieferungsersuchen – das nach Darstellung der US-Regierung bisher nicht vorliegt – mit „soliden Beweise“ untermauern: „Wir sind absolut zum Handeln bereit, wenn die rechtlichen Standards erfüllt sind“, sagte Kerry.

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