Fiktive Syrien-Kampagne Kunstaktivisten bringen Ministerin Schwesig in Bredouille

Eine Aktivistengruppe will den Bürgerkrieg in Syrien wieder ins Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit rücken. Mit einer fiktiven Kampagne bringen sie nun Familienministerin Manuela Schwesig in Bedrängnis.

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Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD). Quelle: dpa

Der Bürgerkrieg in Syrien ist aufgrund anderer tagesaktueller Themen – wie beispielsweise der Ukraine-Krise – in der Öffentlichkeit fast in Vergessenheit geraten. Die Berliner Gruppe „Zentrum für Politische Schönheit“ rund um den Aktivisten Philipp Ruch will das ändern. Sie hat eine Internetseite online gestellt, auf der die Gruppe im Namen von Familienministerin Manuela Schwesig für ein angebliches Projekt der Bundesregierung wirbt.

Auf der aufwändig gestalteten Page, die auf den ersten Blick tatsächlich vom Bundesministerium für Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stammen könnte, wird unter dem Motto „1 aus 100“ für die Aufnahme von 55.000 syrischen Flüchtlingskindern in deutschen Pflegefamilien geworben.

Syrische Kinder sind auf der Internetseite zu sehen, glücklich-lächelnd. Sie halten Plakate in den Händen, auf denen in dicken Lettern Danksagungen an Schwesig zu lesen sind. Denn die, so heißt es auf der Page, hat „eines der ambitioniertesten Projekte der jüngeren bundesdeutschen Geschichte“ auf die Beine gestellt und will tausende syrische Kinder aus der Gefahrenzone ins sichere Deutschland holen.

Tatsächlich hätten sich bereits hunderte deutsche Familien gemeldet, um ein syrisches Kind bei sich aufzunehmen, vermeldet das „Zentrum für Schönheit“ in einer Pressemitteilung. Dabei gibt es keine Kampagne, die Kindern in Syrien helfen möchte, jedenfalls keine, die vom Familienministerium stammt.

Die Ministerin selbst ringt nun um eine passende Stellungnahme – Kindern schlägt man nicht gerne die Tür vor der Nase zu. In einer ersten offiziellen Äußerung einer Sprecherin des Bundesfamilienministeriums heißt es deshalb: Die Kampagne „1 aus 100“ sei „keine Aktion des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das BMFSFJ-Logo sowie Fotos und Unterschriften der Ministerin und des Staatssekretärs wurden ohne Wissen und ohne Genehmigung des Ministeriums genutzt.“ Allerdings, so beeilt man sich zu sagen, wolle man von rechtlichen Schritten gegen die Initiatoren absehen.

Für das „Zentrum für politische Schönheit“, das bereits in der Vergangenheit durch öffentlichkeitswirksame Aktionen zum Beispiel gegen Rüstungsexporte auf sich aufmerksam gemacht hat, ist das sicher schon ein Erfolg. Doch Kunstaktivist Philipp Ruch, treibende Kraft der Initiative, will noch mehr. Sein Ziel: Er möchte durch die Aktion das Leid und Schicksal der syrischen Flüchtlingskinder einer breiten Öffentlichkeit wieder ins Bewusstsein rufen.

„Die Zahlen sind apokalyptisch: 150.000 Tote, zehn Millionen Vertriebene, 5,5 Millionen hilfsbedürftige Kinder in Syrien. Aber die größte Flüchtlingskrise des 21. Jahrhunderts droht in der deutschen Öffentlichkeit einfach unterzugehen”, sagt der Berliner.


In Flüchtlingslagern mangelt es an allem

Dabei ist fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung auf der Flucht. Länder wie der Libanon, Jordanien oder die Türkei – sogar der Irak – sind Ziel dieses Exodus. Die Grenzübergänge sind überlaufen, in den Flüchtlingslagern mangelt es an allem. Die Kinder der Flüchtlingsfamilien leben unter schlimmsten Bedingungen. Aber vor allem fehlt es ihnen an einer Zukunftsperspektive, denn die Infrastruktur ihres Heimatlandes liegt in vielen Teilen brach. Wenn sie denn überhaupt eine Möglichkeit haben, in ihre Häuser zurückzukehren.

„Auch deshalb konzentriert sich die Aktion auf die Aufnahme von Flüchtlingskindern. Wir zeigen die Verhältnisse, die Maßstäbe, in denen wir uns bewegen“, erklärt Philipp Ruch. Deutschland sei ein reiches Land und habe wesentlich mehr Kapazitäten, bewege sich aber im Bereich der Flüchtlingshilfe auf einem „noch viel zu niedrigem Niveau“.

„Es ist anmaßend gegenüber zehn Millionen Flüchtlingen, nur 10.000 Menschen die Einreise nach Deutschland zu genehmigen. Wie verträgt sich das mit unseren humanistischen Idealen?“, fragt Ruch und erklärt damit die Motivation seiner geschickt inszenierten Kampagne, die sich am Vorbild der Kindertransporte von 1938/39 orientiert. Damals wurden jüdische Kinder vor dem Tod bewahrt, indem sie außer Landes gebracht wurden. Rund 10.000 deutsch-jüdische Heranwachsende konnten sich nach Großbritannien retten.

In diesem Sinne möchte Ruch der Bundesregierung ein „Soforthilfeprogramm“ an die Hand geben und hofft, dass Deutschland seine aktuelle Flüchtlingspolitik überdenkt. Noch im Laufe dieser Woche möchte Ruch weiter für sein Vorhaben werben und noch mehr Menschen begeistern.

So sollen am Freitag fünf Holocaust-Überlebende, deren Leben durch einen Kindertransport gerettet wurde, der Bundeskanzlerin einen Besuch abstatten, um eine Änderung der deutschen Flüchtlingspolitik zu erwirken. Vielleicht wird der Bürgerkrieg in Syrien dann trotz tagesaktueller Themen wieder vermehrt in der Öffentlichkeit wahrgenommen.

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