Finanzsanktionen gegen Russland Angst vor dem Dominoeffekt

Angesichts der Ukraine-Eskalation erwägt die EU, Finanzsanktionen gegen Russland zu verhängen. Eine solche Maßnahme wäre nicht ohne Risiko. DIW-Chef Fratzscher sieht Gefahren für die europäischen Finanzmärkte.

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Harte Finanzsanktionen würden den russischen Finanzmarkt zwar treffen, aber womöglich auch auf anderen Märkten Turbulenzen auslösen. Quelle: Reuters

Berlin Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, hat vor einem Dominoeffekt gewarnt, sollte die EU tatsächlich Finanzsanktionen gegen Russland verhängen. „Finanzsanktionen haben den Nachteil dass sie weder gezielt, noch temporär noch voll glaubwürdig sein können. Finanzsanktionen werden immer die gesamte Volkswirtschaft betreffen“, sagte Fratzscher Handelsblatt Online. „Wenn es zu einer Panik kommt, dann ist es schwer Finanzstabilität wiederherzustellen und eine Übertragung auf europäische Märkte zu verhindern.“ Auch gerade deshalb seien „entschiedene und tief greifende Finanzsanktionen nicht voll glaubwürdig“.

Fratzscher erinnerte an Erfahrungen aus der Vergangenheit, die man „nicht ignorieren“ solle. Russlands Finanzkrise 1998 habe auch die westlichen Finanzmärkte „deutlich getroffen“, sagte der DIW-Chef. So sei der Zusammenbruch des Hedgefonds LTCM aufgrund der Russlandkrise 1998 mit hohen Kosten für die USA verbunden gewesen. Damals musste die US-Notenbank die Zinsen senken.

Ausgelöst wurde die Russlandkrise durch die Freigabe des Rubelkurses am 17. August 1998. Russland erklärte sich am 19. August für zahlungsunfähig. Die Krise führte zu einem zeitweisen Stopp der Kreditvergabe und des Zahlungsverkehrs. Bereits im Jahr 1999 setzte eine Erholung in Russland ein und im Jahr 2000 wuchs die Wirtschaft dort bereits wieder um 10 Prozent.

Die EU-Kommission bereitet derzeit Optionen für eine Verschärfung der Strafmaßnahmen gegen Russland vor. Am heutigen Montag soll die Brüsseler Behörde einen Vorschlag an die Mitgliedstaaten schicken. In einer Woche will man dann darüber beraten - entweder im Rat der EU-Außenminister oder im Kreis der ständigen EU-Botschafter.

Dem Vernehmen nach soll die Kommission weitere konkrete Sanktionsschritte in den vier Bereichen vorbereiten, in denen bereits Strafen verhängt wurden. Dazu gehören der Finanzsektor, Technologie-Lieferungen für den Ölsektor und ein Verbot neuer Waffengeschäfte mit Russland. Zudem sollen Einreiseverbote und Kontosperren gegen die Anführer der prorussischen Separatisten in der Donezk-Region vorbereitet werden.


Großbritannien will Russland vom Zahlungsverkehr ausschließen

Vor allem Großbritannien will bei Finanzsanktionen voranschreiten und Russland vom internationalen Zahlungsverkehrssystem Swift ausschließen. Da Swift in Brüssel ansässig ist, steht sie unter EU-Recht. Swift vereint mehr als 10.000 Finanzinstitute weltweit. In Russland ist Swift mit seiner Unterorganisation Rosswift vertreten. Swift organisiert weltweit den elektronischen Zahlungsverkehr zwischen den Banken auf dem Globus.

„Russlands Ausschluss von Swift wäre der härteste Schlag gegen das russische Bankensystem und technisch leicht zu vollziehen“, sagte Alexej Golubowitsch vom Investmenthaus Arbat Capital in Moskau. Darüber hinaus könnten noch - wie im Falle der Iran-Sanktionen - die Konten russischer Banken in Europa und den USA, ihre Aktiva dort und die auf sie gegebenen Zahlungsverpflichtungen (Collaterals) eingefroren werden.

Das Problem mit Finanzsanktionen sei, so Fratzscher weiter, dass ihre Konsequenzen „unkalkulierbar“ seien. „Finanzmärkte und Finanzverflechtungen sind viel zu komplex, als dass man vorhersagen kann, wie sich solche Sanktionen auch für Europa auswirken werden“, erläuterte der DIW-Präsident. Finanzsanktionen bedeuteten daher „hohe Risiken - nicht nur für Russland, sondern auch für Europa und die Stabilität unserer Banken und unseres Finanzsystems“. Strafmaßnahmen gegen Russland sollten sich daher eher auf andere Wirtschaftsbereiche konzentrieren.

Der Chefvolkswirt der Dekabank, Ulrich Kater, fürchtet anders als Fratzscher keinen Ansteckungseffekt. „Ein gravierendes systemisches Problem für das gesamte Finanzsystem würden die bislang diskutierten Finanzsanktionen nicht darstellen“, sagte Kater Handelsblatt Online. „Im Gegensatz zur Russlandkrise Ende der 90er Jahre verfügt Russland heute über hohe Devisenreserven, die einige Effekte, insbesondere von Finanzsanktionen abmildern können.“

Aus Katers Sicht werden neue Sanktionen „hauptsächlich weitere Unsicherheit verbreiten und darüber die Investitions- und Konsumbereitschaft beeinträchtigen“.  Das könne auch die Wirtschaftsstimmung im Euro-Raum weiter „herabziehen“, insbesondere weil eine weitere Welle an Gegensanktionen zu erwarten sei. „Am Ende würden sich Wirtschaft und Finanzsystem an die neuen Zustände gewöhnen, aber dies würde einige Monate lang dauern“, so Kater.


Merkel verteidigt neue Sanktionen

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verteidigte die geplanten neuen Russland-Sanktionen. „Russland unternimmt den Versuch, bestehende Grenzen unter Androhung oder sogar unter Einsatz von Gewalt zu verschieben“, sagte sie am Montag in einer Regierungserklärung vor dem Bundestag. „Es wird immer klarer: Es handelte sich von Anfang nicht um einen Konflikt innerhalb der Ukraine, sondern um eine Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine.“ Ein solcher Bruch des Völkerrechts dürfe nicht ohne Folgen bleiben, weshalb die EU nun über weitere Strafmaßnahmen berate.

Nach Angaben aus Kiew unterstützt Russland trotz einer drohenden Verschärfung westlicher Sanktionen weiter die Rebellen im Osten der Ukraine. Dem Militär zufolge lieferten sich ukrainische Fallschirmjäger heute heftige Gefechte mit einem Panzerbataillon der russischen Streitkräfte am Flughafen von Lugansk. Dabei soll es mehrere Tote gegeben haben. Am Mittag erhielten die ukrainischen Soldaten den Befehl, sich zurückzuziehen.

Auch der Flughafen in Donezk ist umkämpft. Hier ist ebenfalls von Opfern die Rede. Die pro-russischen Milizen behaupteten, ein ukrainisches Kampfflugzeug und zwei Militärhubschrauber abgeschossen zu haben. Zudem seien zwei Boote der Küstenwache in der Nähe der Hafenstadt Mariupol versenkt worden. Die ukrainischen Behörden sprachen lediglich von einem Beschuss der Schiffe. Im weißrussischen Minsk ist heute ein Treffen der Ukraine-Kontaktgruppe angesetzt.

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