Flüchtlinge in Europa Österreichs Grenzkontrollen verursachen Milliardenschäden

In Wien verhandeln Österreich und Balkan-Staaten über ein schärferes Vorgehen in der Flüchtlingskrise. Doch schon jetzt klagen österreichische und deutsche Unternehmen über die hohen Folgekosten der Grenzkontrollen.

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Kontrollen an den Grenzen halten nicht nur Flüchtlinge fern – sondern auch Touristen. Quelle: dpa

München/Wien Die Gegner der deutschen Flüchtlingspolitik beraten in Wien: Österreich hat die Innen- und Außenminister der Westbalkan-Länder für Mittwoch eingeladen, um den Flüchtlingsstrom einzudämmen. Nicht dabei: Vertreter von Deutschland und Griechenland, da sie nicht eingeladen wurden.

Das Interesse an einer europäischen Lösung sei zwar weiterhin groß, sagte Österreichs Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Aber solange es weder funktionierende Registrierungen in Griechenland noch eine europaweite Verteilung oder eine Kooperation mit der Türkei gebe, würden nationale Maßnahmen umgesetzt.

Mit seinen Obergrenzen bei den Flüchtlings- und Asylbewerberzahlen will Österreich einen „Domino-Effekt“ auf der Balkanroute erreichen. Griechenland, das einen Flüchtlingsrückstau befürchtet, als auch die EU-Kommission hatten die Konferenz im Vorfeld kritisiert.
Mit Sorge dürfte auch die Wirtschaft die Beratungen in Wien verfolgen. Schon jetzt verursachen die seit Freitag verschärften Grenzkontrollen Österreichs an der Südgrenze für die Wirtschaft in Tirol und Bayern Milliardenkosten. Nach Einschätzung der Wirtschaftskammer in Wien entsteht für die Unternehmen allein in Österreich ein Schaden von mindestens 1,2 Milliarden Euro, sollte längerfristig lückenlos an den Außengrenzen kontrolliert werden. Sollten die Grenzkontrollen an allen Autobahngrenzen in Österreich wieder eingeführt werden, gehen die Experten in Wien, von jährlichen Kosten von 2,1 Mrd. Euro aus.

„Die langen Wartezeiten führen zu höheren Transportkosten und höheren Lagerkosten. Der dadurch entstehende Preisanstieg wird an die Kunden weiter gegeben“, sagte Thieß Petersen, Makroökonom bei der Bertelsmann-Stiftung, dem Handelsblatt. Die Bertelsmann Stiftung hat eine Prognos-Studie veröffentlicht, die bei einer dauerhaften Rückkehr zu Grenzkontrollen in der EU von einer 470 Milliarden Euro niedrigeren Wirtschaftsleistung bis zum Jahr 2025 ausgeht. Für Deutschland würden sich die Wachstumsverluste im gleichen Zeitraum auf mindestens 77 Milliarden belaufen.

Bei einer Abkehr vom Schengen-Abkommen drohen Bayern nach Einschätzung von Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (VBW), bis zum Jahr 2025 Wachstumseinbußen von mindestens 25 Milliarden Euro. „Jede Verzögerung kostet Geld.“ Bereits die derzeitigen Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze stellten für viele Unternehmen eine Belastung dar.

Für vorübergehende Grenzkontrollen „als zeitlich begrenzte Notmaßnahme“ zeigte VBW-Hauptgeschäftsführer Brossardt Verständnis. „Sie müssen aber eine zeitlich kurz befristete Ausnahme bleiben und umgehend wieder an die EU-Außengrenzen verschoben werden.“ Die bayerische Wirtschaft sei stark exportorientiert.

Pro Jahr führen die Firmen im Freistaat Waren im Wert von rund 179 Milliarden Euro aus. „Umgekehrt sind für unsere Unternehmen die Vorleistungen aus dem Ausland wesentliche Bestandteile des Bayernmodells“, sagte Brossardt. Die arbeitsteilig organisierten Wertschöpfungsketten seien auf einen reibungsfreien Warenverkehr über Ländergrenzen hinweg angewiesen.


„Grenzsicherung ist eine Frage der Vernunft“

Die rot-schwarze Regierung in Wien hat das Alpenland seit Freitag zum Nadelöhr für Migranten gemacht. An Österreichs Grenzen zu Italien, Slowenien und Ungarn wird von österreichischen Polizisten und Soldaten seitdem rigide kontrolliert. Derzeit werden von den Österreichern nur noch 80 Asylanträge pro Tag angenommen und maximal 3200 Flüchtlinge in andere Länder durchgelassen. „Es ist eine Frage der Vernunft, die eigenen Grenzen zu sichern“, verteidigte Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) die in der Wirtschaft umstrittene Maßnahme.

Insbesondere die ökonomisch wichtige und politisch aufgeladene Grenze am Brenner zwischen Österreich und Italien ist ein neuralgischer Punkt. Der Brenner ist mit über 40 Millionen Tonnen Güterverkehr die mit Abstand wichtigste Verbindung über die Alpen. Davon werden allein 26 Millionen Tonnen an Waren auf der Straße transportiert.

Der Brenner droht zur Barriere für Waren und Personen zu werden. Die österreichische Regierung will dort nicht nur lückenlos kontrollieren, sondern auch nach dem Vorbild des Grenzübergangs Spielfeld, an der österreichisch-slowenischen Grenze, einen kilometerlangen Zaun errichten. Italiens Regierungschef Matteo Renzi sprach von einem „Stich im Herzen der Europäischen Union“. Er halte eine Schließung des Brenners-Passes für „absolut falsch“.

Die Speditions- und Logistikunternehmen im benachbarten Bayern schlagen bereits Alarm angesichts der neuen Grenzpolitik der österreichischen Regierung. „Schon jetzt haben die Kontrollen negativen Einfluss auf die Arbeitsabläufe der bayerischen Speditions- und Logistik-Unternehmen“ sagte Edina Brenner, Geschäftsführer des Verbandes Bayerischer Spediteure. „Unkalkulierbare Wartezeiten erschweren die Disposition, verlängern Transportzeiten der Güterverkehr und treiben die Kosten hoch.“

Auf ihren Weg in den Süden müssen die süddeutschen Logistiker nunmehr zwei Barrieren nehmen, nämlich an der deutsch-österreichischen und österreichisch-italienischen Grenze. „Es steigen nicht nur die Transportkosten durch längere Fahrtzeiten, sondern auch der Aufwand für zusätzliche Bürokratie, Lagerhaltung und Lieferstrukturen“, warnte Brenner. In der Folge leide die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft. „Ein rigides Grenzregime hemmt die Wachstumschancen“, kritisierte auch Ökonom Petersen von der Bertelsmann-Stiftung.

Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) sagte dem Handelsblatt: „Aus wirtschaftspolitischer Sicht sind offene Grenzen und ein freier Warenverkehr wichtig.“ Die innere Sicherheit müsse aber Priorität haben, solange die EU-Außengrenzen ungesichert seien. „Im Übrigen ist die innere Sicherheit auch ein wichtiger Standortfaktor.“


Deutscher Tourismus könnte von der Lage profitieren

Nach Beobachtung des bayerischen Wirtschaftsministeriums halten sich die wirtschaftlichen Auswirkungen noch in Grenzen. „Betroffen sind vor allem das Transportgewerbe und die Industrie mit ihren just-in-time-Lieferketten“, sagte ein Ministeriumssprecher. Das sieht man in der Wirtschaft durchaus anders.

„Wir sehen erhebliche Probleme in den grenznahe Regionen“, warnt Thomas Gindele, Geschäftsführer der Deutschen Handelskammer in Österreich am Dienstag. So muss der Einzelhandel in grenznahen Standorten Umsatzeinbußen hinnehmen, da Kunden aus Österreich ausbleiben. „Die Wirtschaft kann die Belastungen vorübergehend verkraften, aber nicht dauerhaft.“

Ein Profiteur verschärfter Grenzkontrollen im Alpenraum könnte der deutsche Tourismus sein. Bayerische Fremdenverkehrsorte sehen die Situation als Chance: So wollen zum Beispiel die Kreise Traunstein und Berchtesgadener Land vermehrt deutsche Touristen für die Region gewinnen, die bislang in Österreich ihr Quartier suchten.

In Österreich ist die Tourismusbranche hingegen alarmiert, dass die Deutschen mehr im eigenen Land bleiben könnten. „Die Betriebe in Österreich spüren, dass weniger Gäste kommen“, sagt Gindele in Wien. Hoteliers und Bergbahnen fürchten angesichts der unsicheren politischen Lage ein Ende des grenzenlosen Reisens. In den österreichischen Bundesländern Tirol, Salzburg und Vorarlberg stellen die Deutschen die mit Abstand größte Touristenzahl.

Nach einer Einschätzung der Wirtschaftskammer Österreich hätten beispielsweise die Tiroler Skigebiete zehn bis 30 Prozent ihrer Gäste eingebüßt. Nicht nur Tagesausflügler aus Bayern, sondern offenbar auch Deutsche und Niederländer hält das neue Grenzregime in Österreich von einer Reise ab.

„Die geplante Ausweitung der Grenzkontrollen Richtung Italien ist für die Tiroler Tourismusbranche in diesem wetterbedingt ohnehin nicht einfachen Winter alles andere als erfreulich“, sagte Josef Margreiter, Chef der Tirol Werbung, dem Handelsblatt. Wie die Erfahrungen in Kiefersfelden zeigen, würden sich die dortigen Kontrollen auf die Reiselust der Gäste auswirken: Gerade im Tiroler Unterland, das im Einzugsbereich des Grenzübergangs Kiefersfelden liegt, seien Tagesgäste und Kurzurlauber diesen Winter im verstärkten Maß ausgeblieben.

Franz Theurl, Vorsitzender des Tourismusverbandes Osttirol, sprach bereits von einem „herben Schlag“. Er erwarte „große Auswirkungen“, da die österreichische Region eng mit dem Südtiroler Pustertal vernetzt sei. „Wir sind zu einem funktionierenden Wirtschaftsraum zusammen gewachsen“, sagte der Banker über die enge Partnerschaft zur italienischen Nachbarregion. „Wir hoffen, dass es keine Dauermaßnahmen werden. Das wäre eine Rückschritt für das Europa der Regionen“, warnt er. Am Mittwoch sollte es ein Treffen der Tourismusverbände von Tirol und Südtirol mit den Sicherheitsbehörden im italienischen Bozen geben. Dort sollte darüber beraten werden, wie der wirtschaftliche Schaden möglichst gering gehalten wird.

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