Flüchtlinge in Griechenland Hallo? Wir sind auch noch da!

Aus deutscher Sicht hat sich die Flüchtlingskrise beruhigt. Doch der Schein trügt. Denn trotz des Deals mit der Türkei harren immer noch tausende Flüchtlinge in Griechenland aus. Eine Reportage aus Myrsini.

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In Myrsini im Flüchtlingsheim leben die Menschen in Sicherheit, aber sie wollen weiter. Die Hoffnung auf ein besseres Leben mit einem festen Job und der Möglichkeit, die Kinder zur Schule zu schicken, haben sie noch nicht aufgegeben. Quelle: AP

Myrsini Das Flüchtlingsheim in Myrsini sieht aus wie einem Reisekatalog entsprungen: Ockerfarbene Bungalows am Meer, junge Frauen blicken plaudernd auf das Ionische Meer, Männer spielen Volleyball und Kinder toben auf einem Spielplatz. Die 388 Syrer und Iraker, die seit März in dem Dorf im Süden Griechenlands leben, sind dankbar für die Sicherheit und Gastfreundschaft. Und doch sind sie unruhig, wollen ihre Reise fortsetzen in der Hoffnung auf ein besseres Leben in wohlhabenderen Ländern Westeuropas.

Zwischen Januar 2015 und März 2016 trafen rund eine Million Flüchtlinge in Griechenland ein. Seit einige Länder weiter nördlich ihre Grenzen geschlossen haben, sind nur noch einige tausend Menschen hinzugekommen. Trotzdem harren noch immer rund 54.000 Flüchtlinge in Dutzenden Unterkünften und zwei provisorischen Lagern in ganz Griechenland aus. Sie warten auf Asyl in dem Land oder die Weiterreise in einen anderen Staat.

Die meisten Unterkünfte bestehen aus Wohncontainern oder Zelten, die hastig vom Militär errichtet wurden. Rund 1300 Menschen leben im ehemaligen Ankunftsbereich des alten Flughafens von Athen, weitere 2100 sind in Sportanlagen untergebracht, die einst für die Olympischen Spiele 2004 gebaut wurden. Einige Gemeinden wehrten sich gegen die Auflage, Flüchtlinge unterzubringen, rissen über Nacht die geplanten Unterkünfte ein oder lieferten sich tagelange Schlachten mit der Polizei.

Nicht so in Myrsini, das zur Gemeinde Andravia und Kyllini gehört. Bürgermeister Nampil Morant wurde selbst in Syrien geboren, heiratete eine Griechin und ließ sich mit ihr vor fast drei Jahrzehnten im nahegelegenen Lechaina nieder. Seine Geschichte sei aber nicht der Grund für die Entscheidung des Stadtrats gewesen, sagt er.

„Wir haben die dramatische Lager dieser Flüchtlinge gesehen, die Kinder, die im Meer ertrunken sind, die Schwierigkeiten, und das kann einen nicht unberührt lassen“, erklärt Morant, der in Homs geboren wurde. 2014 wurde er der erste Einwanderer, der eine Kommunalwahl in Griechenland gewann. Mit der Urlaubsanlage habe die Stadt sowieso nichts anfangen können. „Sie war verlassen und stand im Mittelpunkt eines Rechtsstreits“, sagt der Bürgermeister. „Also haben wir der Zentralregierung gesagt, dieser Ort ist heruntergekommen. Wenn ihr wollt, könnt ihr ihn haben, instand setzen und die Menschen hierher bringen.“


Hoffnung auf ein neues Leben

Die Syrer und Iraker, zumeist Frauen mit ihren Kindern, kamen aus einem schmutzigen Lager mit tausenden Menschen, das sich auf den Kais der Hafenstadt Piräus gebildet hatte, und richteten sich ein. Bisher habe es keine Probleme gegeben, sagt Morant. Manchmal kämen sogar Flüchtlinge aus anderen Teilen Griechenlands auf eigene Faust nach Myrsini. Sie würden aber zurückgeschickt, weil der Bürgermeister will, dass die Menschen in richtigen Häusern wohnen und nicht in Zelten.

Nun leben die Menschen zwar in Sicherheit, aber sie wollen weiter. Sie haben ihr Leben riskiert und ein Vermögen gezahlt, um Griechenland mit dem Boot zu erreichen. Das Ziel ist jedoch ein neues Leben. Und das liegt vorerst auf Eis, ohne Anzeichen, wie es weitergehen könnte.

Heba Algafer, eine Englisch-Studentin aus Damaskus, will nicht in Griechenland bleiben. „Wir müssen reisen, einen Platz zum Leben finden, arbeiten und lernen“, sagt sie. Gemeinsam mit ihrem Verlobten, dem Automechaniker Ahmed Kasem, kam sie am 19. März auf der griechischen Insel Samos an, einen Tag vor Ablauf der Frist, ab der Flüchtlinge von Griechenland zurück in die Türkei gebracht werden konnten. Nun will das Paar eine Weiterreise nach Schweden beantragen, wo Kasems Mutter schon seit fünf Jahren lebt. Sein Vater, ein Lehrer, ist in Syrien geblieben.

Der Anstreicher Wis Nadschar, 53 Jahre alt, ist schon registriert, zusammen mit seiner Ehefrau und den drei Söhnen. Auch er will Griechenland verlassen. „Hier ist es gut, die Menschen sind gut, sie helfen und ich bin sehr dankbar“, sagt er. „Ich wünschte, das alles ginge schneller. Den ganzen Tag nur essen und schlafen, das ist kein richtiges Leben. Ich will arbeiten und die Jungen müssen zur Schule gehen.“

Morant rechnet damit, dass sich die Flüchtlingsunterkunft ab September langsam leeren wird. Rund 60 Prozent der Flüchtlinge sind Frauen mit Kindern, die wahrscheinlich von den Ländern aufgenommen werden, die ihre Ehemänner schon erreicht haben. Weitere 20 Prozent wollen in Griechenland bleiben. Die anderen werden in Europa verteilt oder wollen zurück nach Syrien gehen.

Der Bürgermeister erzählt, dass zu Beginn eine Minderheit der Einheimischen gegen die Aufnahme der Flüchtlinge gewesen sei. „Einige ältere Menschen haben mir gesagt, sie würden sich mit ihren Waffen einschließen, um sich zu schützen“, erklärt er. „Die gleichen älteren Menschen gehen jetzt in das Lager, um den Flüchtlingen mit Alltagsgegenständen auszuhelfen.“

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