Als der Krieg begann, scharte Sherif Kahlil aus Aleppo seine beiden Töchter, seine Frau und seine sechs Angestellten um sich, mit einem Auto flohen sie von Syrien in die Türkei. Jetzt sitzt der 51-Jährige in einem Kabuff am Rande von Gaziantep in Südostanatolien und raucht. Während er spricht, breiten seine Mitarbeiter hellblaue T-Shirts auf einer Werkbank aus und besprühen sie mit Farbe. „Wir machen das Design selbst“, sagt Kahlil stolz, „Barcelona Football“ steht auf den T-Shirts, 2000 produziert er am Tag. Die T-Shirts verkauft Kahlil nach Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien. Seine Töchter studieren an der Universität von Gaziantep, sie mögen das Land, aber ihr Vater sagt: „Ist der Krieg vorbei, kehren wir zurück nach Syrien.“ Das ist die eine Seite der Flüchtlingskatastrophe in der Türkei, jenem Land, in dem gerade mehr als zwei Millionen syrische Flüchtlinge leben, mehr als in irgendeinem anderen Staat. Kahlil ist ein gut ausgebildeter Unternehmer, der die Wirtschaft des Gastlandes ankurbelt und nach Hause will, sobald das Schlimmste überstanden ist. Die andere Seite hat dreckige Hände und verschmutzte Klamotten.
Die Akteure im Syrien-Konflikt
Anhänger von Präsident Baschar al-Assad kontrollieren weiter die meisten großen Städte wie Damaskus, Homs, Teile Aleppos sowie den Küstenstreifen. Syriens Armee hat im langen Krieg sehr gelitten, konnte aber infolge der russischen Luftunterstützung seit September 2015 wieder Landgewinne verzeichnen. Machthaber Assad lehnt einen Rücktritt ab.
Die Terrormiliz beherrscht im Norden und Osten riesige Gebiete, die allerdings meist nur spärlich besiedelt sind. Durch alliierte Luftschläge und kurdische Milizen mussten die Islamisten im Norden Syriens mehrere Niederlagen einstecken. Unter der Herrschaft der Miliz, die auch im Irak große Gebiete kontrolliert, verbleibt die inoffizielle Hauptstadt Raqqa, die bedeutende Versorgungsstrecke entlang des Euphrat und ein kleiner Grenzübergang zur Türkei. Offiziell lehnen alle lokalen und internationalen Akteure den IS ab.
Sie sind vor allem im Nordwesten und Süden Syriens stark. Ihr Spektrum reicht von moderaten Gruppen, die vom Westen unterstützt werden, bis zu radikalen Islamisten.
Die zu Beginn des Kriegs bedeutende Freie Syrische Armee (FSA) hat stark an Einfluss verloren. Sie kämpft vor allem gegen Diktator Assad.
In der „Islamischen Front“ haben sich islamistische Rebellengruppen zusammengeschlossen. Ihr Ziel ist der Sturz Assads und die Errichtung eines „Islamischen Staates“ – die gleichnamige Terrormiliz lehnen sie jedoch ab. Sie werden von Saudi-Arabien unterstützt und sind ideologisch mit al-Qaida zu vergleichen. Militärisch untersteht ihr auch die „Dschaisch al-Fatah“, die von der Türkei unterstützt wird. Teilweise kooperieren sie mit der al-Nusra-Front, Ableger des Terrornetzwerks al-Qaida.
Sie ist zersplittert. Das wichtigste Oppositionsbündnis ist die Syrische Nationalkoalition in Istanbul. Diese wird von zahlreichen Staaten als legitim anerkannt, von vielen lokalen Akteuren wie al-Nusra oder der kurdischen PYD jedoch abgelehnt.
In Damaskus sitzen zudem Oppositionsparteien, die vom Regime geduldet werden. Bei einer Konferenz in Riad einigten sich verschiedenen Gruppen auf die Bildung eines Hohen Komitees für Verhandlungen, dem aber einige prominente Vertreter der Opposition nicht angehören.
Kurdische Streitkräfte kontrollieren mittlerweile den größten Teil der Grenze zur Türkei: Sie sind ein wichtiger Partner des Westens im Kampf gegen den IS.
Dabei kämpfen sie teilweise mit Rebellen zusammen, kooperieren aber auch mit dem Regime. Führende Kraft sind die „Volksverteidigungseinheiten“ YPG der Kurden-Partei PYD, inoffizieller Ableger der verbotenen türkisch-kurdischen Arbeiterpartei PKK. Diese streben einen eigenen kurdischen Staat an – die Türkei lehnt das vehement ab.
Washington führt den Kampf gegen den IS an der Spitze einer internationalen Koalition. Kampfjets fliegen täglich Angriffe. Beteiligt sind unter anderem Frankreich und Großbritannien. Deutschland stellt sechs Tornados für Aufklärungsflüge über Syrien, ein Flugzeug zur Luftbetankung sowie die Fregatte „Augsburg“, die im Persischen Golf einen Flugzeugträger schützt. Washington unterstützt moderate Regimegegner.
Die Türkei setzt sich für den Sturz Assads ein und unterstützt seit langem Rebellengruppen wie die islamistische Dschaisch al-Fatah. Neben der Sicherung ihrer 900 Kilometer langen Grenze ist die Türkei seit August 2016 auch mit Bodentruppen in Syrien vertreten. Ziel ist neben der Vergeltung für Terroranschläge des IS auch, ein geeintes Kurdengebiet im Norden Syriens zu verhindern.
Der Abschuss eines russischen Flugzeugs über türkischem Luftraum im November 2015 führte zu Spannungen zwischen Russland und der Türkei.
Seit September 2015 fliegt auch Russlands Luftwaffe Angriffe in Syrien. Moskau ist einer der wichtigsten Unterstützer des syrischen Regimes: Rebellenorganisationen werden pauschal als „Terroristen“ bezeichnet und aus der Luft bekämpft. Der Kampf gegen islamistische Rebellen soll auch ein Zeichen an Separatisten im eigenen Land senden.
Geostrategisch möchte Russland seinen Zugriff auf den Mittelmeerhafen Tartus nicht verlieren.
Teheran ist der treueste Unterstützer des Assad-Regimes, auch aus konfessionellen Gründen. Iraner kämpfen an der Seite der syrischen Soldaten. Die von Teheran finanzierte Schiitenmiliz Hisbollah ist ebenfalls in Syrien im Einsatz. Sie fürchten die Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Falle eines Sieges sunnitischer Rebellen, aber auch den Verlust von regionalem Einfluss.
Riad ist ein wichtiger Unterstützer vornehmlich islamistischer Rebellen. Sie fordern, dass Assad abtritt. Saudi-Arabien geht es auch darum, den iranischen Einfluss zurückzudrängen. Der Iran ist der saudische Erzrivale im Nahen Osten.
Trotz religiöser Ähnlichkeiten zwischen IS und dem saudischen Wahabismus engagiert sich Saudi-Arabien im Kampf gegen den IS.
In der Innenstadt von Gaziantep schleift ein Junge einen Plastiksack, größer als er selbst, durch die Straßen. An einer Mülltonne hält er an und durchwühlt deren Inhalt. „Ich suche nach Plastikflaschen“, sagt der Junge auf Arabisch. Er sei Syrer, seine Mutter krank, sie brauche Geld für Medikamente. Fragt man ihn nach seinem Namen, will der Junge Geld. Zwei Extrema, irgendwo dazwischen ist Bahlaa Buklak zu verorten. Der frühere Inhaber eines Marmorgeschäfts im syrischen Palmyra betreibt seit drei Monaten einen Falafel-Laden in Gaziantep. Sein Vermögen musste Buklak zurücklassen, als die Henker vom „IS“ in sein Land einmarschierten. Heute reicht sein Verdienst kaum noch aus, um die siebenköpfige Familie zu ernähren. „Wir sind nur noch in der Türkei, weil es hier sicher ist“, sagt er. „Wird die Wirtschaftslage nicht besser, müssen wir nach Deutschland.“ Genau das will Kanzlerin Angela Merkel aber mit ihrem „Türkei-Plan“ um jeden Preis verhindern, den sie bei einem EU-Sondergipfel Anfang März festzurren möchte. Sie wünscht sich zudem, dass die Türken künftig alle Flüchtlinge, die über die Ägäis oder über die türkisch-griechische Landesgrenze Griechenland erreichen, sofort wieder zurücknehmen. So sollen endlich weniger Flüchtlinge den Weg bis nach Deutschland schaffen – und Merkel eine Atempause in der Flüchtlingskrise verschaffen. Aber kann das gelingen – insbesondere Merkels zweiter Baustein ihres „Türkei-Plans“, nämlich dass die Flüchtlinge sich durch rasche Integration in den türkischen Arbeitsmarkt dort bald so wohl fühlen werden, dass sie gar nicht mehr weiter fliehen wollen?