Flüchtlingsdrama in Asien Peitschenhiebe, Misshandlungen, Sklaverei

Ausschreitungen gegen die muslimische Minderheit in Myanmar haben eine beispiellose Fluchtbewegung in Gang gesetzt. Die Schlepper nutzen die Not der Flüchtlinge aus. Überlebende berichten von unvorstellbaren Zuständen.

  • Teilen per:
  • Teilen per:
Die Menschen verbringen Monate auf See, eingepfercht mit Hunderten Verzweifelten auf kleinen Fischerbooten und mit kaum etwas zu Essen und zu Trinken. Quelle: dpa

Bangkok Monate auf See, eingepfercht mit Hunderten Verzweifelten auf kleinen Fischerbooten und kaum etwas zu Essen und zu Trinken: So treiben im Sommer 2015 Tausende Flüchtlinge in Asien im Meer. Überlebende berichten von unvorstellbaren Zuständen: So lange die Schlepper noch an Bord sind, wird oft ausgepeitscht, wer seine Notdurft über die Seitenwand verrichten will. Als die Schlepper abgehauen sind, beginnt ein harter Kampf um die letzten Reiskörner. Auf einem Schiff brüllt plötzlich einer „Wir oder sie!“. Dann fallen Flüchtlinge aus einem Land mit Brechstangen über die aus einem anderen Land her.

„Ich musste zusehen, wie Schlepper die Frau vor mir vergewaltigten“, berichtet eine Überlebende. „Die, die über die Misshandlungen berichten können, sind die, die Glück gehabt haben. Unzählige sind umgekommen oder von Menschenhändlern wie Sklaven verkauft worden“, sagt Anna Shea von Amnesty International. Gut 2000 Flüchtlinge kommen im Mai und Juni in Malaysia und Indonesien an Land. Die Bilder der ausgemergelten Menschen, die von Bord taumeln, werfen erstmals ein Schlaglicht auf das Flüchtlingselend in Südostasien.

Im Mittelpunkt steht die muslimische Minderheit der Rohingya in der einstigen Militärdiktatur Myanmar. Gewalttätige Ausschreitungen mit Dutzenden Toten 2012 setzen eine beispiellose Fluchtbewegung in Gang: „Von Oktober 2013 bis März 2014 sind mindestens 33.000 auf die Boote gestiegen, ein Jahr später waren es mindestens 52.000“, sagt Chris Lewa. Sie hat die Zahlen mit ihrem Arakan Project akribisch dokumentiert und berät die Vereinten Nationen in Rohingya-Fragen.

Die Verzweiflung wird für skrupellose Schlepper zur Geldmaschine: Immer mehr bieten ihre Dienste an. Männer, Frauen, Kinder flüchten, vom Strand in Myanmar über Thailand ins muslimische Malaysia. „Es gab bald mehr Kapazität auf den Schiffen als Nachfrage“, sagt Lewa. So weiten die Schlepper ihr Geschäft aus: nach Bangladesch, wo Tausende begierig Bootsplätze kaufen. Wer sein Boot nicht voll bekommt, „kauft“ Menschen. Für ein paar Dollar bringen Rikscha-Fahrer Schüler statt zur Schule zu den Booten, Teenager werden mit Versprechungen einer freien Passage in eine neue Welt angelockt, sagt Lewa.

Die Schlepper verkaufen Leute weiter an Menschenhändler. Die verfrachten sie im thailändisch-malaysischen Grenzgebiet in Dschungellager und erpressen die Familien: Wer nicht zahlt, sieht sein Kind nie wieder. Das Geschäft fliegt auf, als Thailand im April 32 verscharrte Leichen im Dschungel entdeckt. Da greifen die Behörden durch: Schlepper werden festgenommen, ebenso Beamte und ein Armee-General, die ihre Hände im Spiel hatten. 88 sind heute angeklagt. Diese Aktion bringt das Flüchtlingsdrama ins Rollen: Malaysia entdeckt vier Camps mit mindestens 133 Toten und Käfigen, in denen die Leute offenbar wie Tiere gehalten wurden.

Weil Thailands Küsten plötzlich dicht sind, beginnt die Erpressung schon auf See: „Flüchtlinge berichten, dass die Crew Leute erschossen oder über Bord geworfen hat, deren Familie nicht zahlen konnte“, schreibt Amnesty. Andere Schlepper bringen die Boote zurück nach Bangladesch und Myanmar, andere pferchen die menschliche Fracht aus drei Booten in eins und hauen ab.

Rund 5000 kommen in Malaysia und Indonesien schließlich an Land. Wie viele Menschen umkamen, ist unklar. „Die Vereinten Nationen glauben, es waren seit Januar mindestens 370„, schreibt Amnesty. „Wir glauben, dass es viel mehr waren, womöglich Tausende.“ Chris Lewa bezweifelt die hohe Zahl.

Die Lage der Überlebenden ist prekär. Manche verschwinden sofort, 3100 werden in beiden Ländern registriert. Rund 1000 Bangladescher werden zurückgeschickt. Die Rohingya kommen in Internierungslager. „Sie sind doch keine Kriminellen“, sagt Zafar Ahmad von der Organisation Merhrom zur Unterstützung der Rohingya in Malaysia.

„Wir wollen, dass sie frei kommen“, sagt Vivian Tan vom UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. „Sie haben traumatische Erlebnisse gehabt, ihre Situation wird durch unbefristete Internierung noch schwieriger.“ In Malaysia leben schon mehr als 50.000 Rohingya. Die meisten sind illegal, werden aber als billige Arbeitskräfte geduldet.

In Indonesien sagt Heru Santoso von der Einwanderungsbehörde: „Wir schicken sie nicht zurück, weil sie verfolgt werden.“ Arbeiten dürfen sie aber nicht. Viele seien aus den Camps geflüchtet, sagt Mustafa Tiba von der Solidaritätsgruppe Rohingya. „Sie müssen ihre Familien daheim unterstützen, sie müssen Geld schicken“, sagt er. Die Behörden hoffen, dass Drittländer die Rohingya aufnehmen. „Das Problem ist, dass die europäischen Länder schon so viele Syrer beherbergen müssen“, sagt ein Sprecher des Außenministeriums in Jakarta.

© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%