Flüchtlingsdrama Uno appelliert an die Türkei

Luftangriffe auf Aleppo haben eine Massenflucht ausgelöst. Zehntausende Flüchtlinge harren an der Grenze zur Türkei aus. Bisher lässt Ankara nur Verletzte ins Land. Hilfsorganisationen warnen vor einem Massenexodus.

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Massive Luftangriffe auf die umkämpfte Stadt haben Zehntausende Syrer in die Flucht getrieben. Nach unterschiedlichen Angaben harren an der syrisch-türkischen Grenze zwischen 10.000 und 50.000 Menschen aus. Quelle: AFP

Istanbul, Beirut, New York Trotz internationaler Appelle verwehrt die Türkei Zehntausenden syrischen Flüchtlingen an der Grenze weiterhin den Einlass. Lediglich Verletzte dürften passieren, sagte Mustafa Özbek, ein Sprecher der regierungsnahen türkischen Hilfsorganisation IHH, am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur. Die Verwundeten würden in Krankenhäuser gebracht und dort behandelt.

Auf der syrischen Seite der Grenze warten seit Tagen nach unterschiedlichen Angaben zwischen 10.000 und 50.000 Menschen aus dem umkämpften Aleppo. Die syrische Armee und ihre Verbündeten waren in der vergangenen Woche mit Hilfe russischer Luftschläge im Norden des Landes vorgerückt und hatten die neue Massenflucht ausgelöst.

Der Sprecher des Uno-Flüchtlingshilfswerk UNHCR , William Spindler, bat die Türkei in Genf, die Grenzen für alle Flüchtlinge aus Syrien zu öffnen. Die Grünen-Politikerin Claudia Roth forderte die Türkei zum Handeln auf. „Man kann die Leute nicht an den Grenzen auf syrischem Gebiet festhalten, in Lager einsperren, das ist nicht zu akzeptieren“, sagte Roth dem Deutschlandfunk.

Die Türkei will die Flüchtlinge nach eigenen Angaben zunächst auf der syrischen Seite der Grenze versorgen. Unter anderem sind türkische Organisationen wie die IHH und die Katastrophenschutzbehörde Afad sowie das Uno-Welternährungsprogramm (WFP) in der Region aktiv.

Das WFP teilte mit, Helfer verteilten Nahrung an Notleidende in der nordsyrischen Stadt Asas in der Nähe der Grenze. In den nächsten Tagen sollen demnach 26.000 Menschen versorgt werden.

Die türkische Führung erwartet Tausende Schutzsuchende an ihrer Grenze, die Zahlen gehen jedoch weit auseinander. Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan hatte am Wochenende gesagt, er rechne mit rund 70.000 Menschen, die in Richtung Türkei fliehen. Der stellvertretende Ministerpräsident Numan Kurtulmus sprach am Montag nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu von 600.000 Flüchtlingen, die sich im schlimmsten Fall zur türkischen Grenze aufmachen könnten.

Ziel sei, die Menschen außerhalb der Türkei zu versorgen. Nach Regierungsangaben hat die Türkei bereits 2,5 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien aufgenommen.

Das Technische Hilfswerk (THW) wäre innerhalb weniger Tage für Einsätze an der türkisch-syrischen Grenze bereit, wie ein THW-Sprecher in Bonn sagte. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte am Montag bei ihrem Türkei-Besuch Unterstützung bei der Flüchtlingsbetreuung durch das THW zugesagt.

„Im Moment liegt noch kein Hilfeersuchen der Türkei vor“, sagte THW-Sprecher Henning Zanetti. Die Türkei müsse zunächst konkretisieren, wo sie Hilfe benötige. Innerhalb weniger Stunden könne das Hilfswerk beispielsweise Unterstützung bei der Trinkwasseraufbereitung organisieren, andere Maßnahmen bräuchten ein bis zwei Tage Vorbereitungszeit, sagte er.


Setzen die Regierungstruppen Streubomben ein?

Das humanitäre Büro der Vereinten Nationen, OCHA, teilte mit, 300.000 Syrer könnten von Hilfe abgeschnitten werden, sollten die syrische Regierung und mit ihr verbündete Kräfte Aleppo umzingeln und den Flüchtenden den letzten Ausweg verlegen. Es werde vermutet, dass bis zu 150.000 Menschen versuchen könnten, ins nahegelegene Afrin und die umliegende ländliche Gegend zu fliehen.

Die Vereinten Nationen bemühen sich darum, dass Essen, Wasser und Medikamente zu den Leidtragenden der Regierungsoffensive gelangen. Uno-Nothilfekoordinator Stephen O'Brien sagte am Montag, er sei zutiefst besorgt über Berichte, dass mehr als 30.000 Zivilisten, vor allem Frauen und Kinder, durch heftige Kämpfe und Luftangriffe der Regierung und ihrer Verbündeten aus Aleppo und anderen Gebieten in Nordsyrien vertrieben worden seien.

Die Berichte legten nahe, dass Zivilisten bei den Gefechten getötet und mindestens zwei Krankenhäuser getroffen worden seien, sagte O'Brien. Außerdem stießen Flüchtlingslager nahe der syrischen Grenze zur Türkei an ihre Kapazitätsgrenze.

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch warf Regierungstruppen und der russischen Luftwaffe vor, in jüngster Zeit täglich Streubomben einzusetzen. Dabei verteilt ein großer Sprengkörper zahlreiche kleinere, die dann oft zeitversetzt oder bei Berührung explodieren. Streumunition wird von zahlreichen Staaten geächtet.

Human Rights Watch erklärte, seit 26. Januar sei solche Munition syrienweit in 14 Fällen eingesetzt worden. Dabei seien mindestens 37 Zivilisten getötet worden, unter ihnen neun Kinder und sechs Frauen. Zahlreiche weitere Personen seien verletzt worden.

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