Flüchtlingskrise in Italien Déjà-vu im Mittelmeer

Italien fühlt sich überordert, die EU ist uneins: Die Situation in der Flüchtlingskrise ist festgefahren, mit und ohne schreckliche Bilder von Menschen in Seenot, die nicht schwimmen können. Eine Analyse.

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Italien hat im Flüchtlingsdrama eine Schlüsselposition. Doch das Land fühlt sich überfordert. Quelle: dpa

Rom „Mit dem schönen Wetter kommen wieder die Boote“, das hatte Paolo Monaco, der Kommandant der italienischen Küstenwache auf Lampedusa, schon im Februar gesagt. Er hatte Recht. Und seit dem Abkommen der EU mit der Türkei und den verstärkten Grenzkontrollen in der Ägäis ist die Zahl der Flüchtlinge, die die Mittelmeerroute von Nordafrika nach Italien nehmen, in den vergangenen Wochen noch stärker angestiegen. Zahlen der europäischen Grenzschutzagentur Frontex liefern den Beweis.

Ob es nun 300 oder 400 Flüchtlinge sind, die zu Wochenbeginn im Mittelmeer Schiffbruch erlitten haben und als vermisst gelten oder vermutlich schon ertrunken sind, ist bei aller Tragik in diesem Zusammenhang im Grunde nicht entscheidend. Denn die bisher nicht bestätigte Meldung vom Tod der Menschen, die von Ägypten aus auf dem Weg nach Europa waren, reiht sich ein in viele andere Rettungsaktionen vor der nordafrikanischen Küste. Tag für Tag bringen die Schiffe der Küstenwache in Kooperation mit Frontex Flüchtlinge im Mittelmeer in die Erstaufnahmelager nach Süditalien.

Das Schema ist immer gleich: In Rom, in der Einsatzzentrale der Küstenwache, geht ein Notruf ein. Der Schiffbruch werde programmiert von den Schleppern, sagt der Verantwortliche der Küstenwache, Filippo Marini. „Die Flüchtlinge werden an der libyschen Küste auf die kaum hochseetauglichen Schlauchboote getrieben und einer von ihnen, vielleicht der, der die Überfahrt nicht bezahlen kann, muss ans Steuer. Er bekommt ein Satellitentelefon und einen Kompass in die Hand und sie sagen ihm: Fahr‘ los nach Norden und ruf‘ dann dieses Nummer an, unsere Nummer“, erklärt er. In Griechenland seien die Flüchtlinge bei Patrouillen aufgegriffen worden, dort habe es keine Notrufe gegeben, erklärt Marini.

Die Schlepper sind so schnell wie die Politiker bei ihrer Suche nach neuen Wegen nach Europa. Es ist ein Déjà-vu-Erlebnis: Behörden und ehrenamtliche Helfer in Italien reagieren wie ihre Kollegen auf Lesbos und versuchen, die dringendste humanitäre Hilfe zu gewährleisten. Der in Berlin preisgekrönte Dokumentarfilm „Fuocoammare“ des Regisseurs Gianfranco Rosi zeigt die Situation auf Lampedusa mit eindringlichen Bildern.

Aber alle Helfer verweisen darauf, dass es eine politische, eine gesamteuropäische Lösung der Flüchtlingskrise geben muss, nicht nur Ad-hoc-Maßnahmen dort, wo es gerade brennt. Doch die ist nicht in Sicht trotz aller Gipfel, aller Beteuerungen verstärkter Grenzkontrollen und einer vereinheitlichten Asylpolitik. Die Absichtserklärungen der EU-Staaten – wie gerade nach dem EU-Außenministertreffen in Luxemburg– verbergen kaum die verschiedenen Positionen.


Rom fordert Solidarität der EU ein

Italien hat im Flüchtlingsdrama eine Schlüsselposition. Denn die Menschen aus Somalia, Äthiopien, Eritrea und den Subsahara-Staaten landen im nur wenige Seemeilen entfernten Süditalien. Die meisten wollen nach Deutschland und Frankreich weiter. Künftig rechnen die Behörden zusätzlich mit Flüchtlingen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak, die mit dem Flugzeug nach Ägypten oder Tunesien kommen. Innenminister Angelino Alfano sagte am Dienstag auch mit dem Blick auf die Diskussion über Grenzkontrollen am Brenner, es gebe keine Notsituation und keinen Zusammenbruch des Aufnahmesystems.

Der Migrationsplan aus Rom, der Hilfen für die Herkunftsländer vorsieht, um die Zahl der Flüchtlinge einzudämmen, wurde von der EU-Kommission begrüßt. Rom verweist darauf, dass neben den Bürgerkriegsflüchtlingen auch Wirtschaftsflüchtlinge kommen, die kein Asylrecht haben und das Rückführungsverfahren durchlaufen müssen.

Berlin lehnt den Plan ab, weil Italien zur Finanzierung Eurobonds vorgeschlagen hat. Premier Matteo Renzi reagierte trotzig: „Wir machen weiter, dann sollen uns die Deutschen sagen, wie sie das Problem lösen wollen.“ Auch der Streit über Grenzkontrollen am Brenner verbessert nicht das Klima. Der Vorwurf, Italien kümmere sich nicht genug um die Flüchtlinge und ließe sie ohne Registrierung weiterziehen, ist nicht seit gestern im Raum. Rom wiederum fordert Solidarität der EU ein. Dazu kommt die ablehnende Haltung der osteuropäischen Staaten, wenn von Verteilungsquoten die Rede ist.

Die Situation ist festgefahren, mit und ohne schreckliche Bilder von Menschen in Seenot, die nicht schwimmen können. Aber Hoffnung auf eine Lösung des Flüchtlingsdramas bietet das gemeinsame Vorgehen der EU in Libyen, das seit Gaddafis Sturz ein Land ohne staatliche Strukturen ist, in dem sich der IS breitmacht. Wenn es gelingt, die neue, international anerkannte Einheitsregierung von Premier Fayiz as-Sarradsch zu stärken und demokratische Strukturen in dem Land zu verankern, bekommt die EU endlich einen Ansprechpartner an der Südküste des Mittelmeers und kann das Flüchtlingsproblem ebenso gezielt angehen wie die Bekämpfung von Menschenhandel, Schlepperbanden und Terror.

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