Flüchtlingskrise in Italien „Wenigstens ein Schiff in einen anderen Hafen“

Ankündigungen, aber keine konkreten Zusagen: Italien hofft weiter auf die Solidarität der EU-Partner bei der Bewältigung des Flüchtlingsdramas. Vor dem EU-Innenministertreffen gibt es scharfe Kritik aus Rom.

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Rom „Zur Zeit ist das britische Militärschiff Echo auf dem Weg zum Hafen Brindisi, mit rund 400 Flüchtlingen an Bord“, sagt die Sprecherin der italienischen Küstenwache am Freitagmittag in Rom. Die „Echo“ gehört zur Operation Sophia der EU-Mission EUNAVFOR MED (Abkürzung für: European Union Naval Force – Mediterranean), an der 25 europäische Nationen beteiligt sind. Auch die Bundeswehr ist seit 2015 mit Schiffen dabei.

Am Donnerstagabend ist das Schiff „Aquarius“ der Hilfsorganisation „SOS Méditerranée“ im kalabrischen Hafen Corigliano Calabro gelandet, an Bord 1032 Menschen. Insgesamt 22 Schiffe mit rund 12.500 Flüchtlingen an Bord sind auf dem Weg nach Italien. Sie haben die Flüchtlinge vor der libyschen Küste aus dem Wasser gefischt oder von maroden Schlauchbooten geholt, mit denen sie von Schleppern für viel Geld losgeschickt werden.

Die Rettung von Menschenleben im Mittelmeer geht also weiter, trotz der offiziell per Brief bei der EU-Kommission eingereichten Drohung Italiens, es sei eine Grenze überschritten und man werde die italienischen Häfen für Schiffe mit Flüchtlingen sperren, die nicht unter italienischer Flagge fahren oder zur Europa-Mission gehören. 75.000 Menschen sind seit Jahresbeginn aus Nordafrika gekommen, die meisten nach einer langen Flucht aus den Subsaharaländern, deutlich mehr als im vergangenen Jahr.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs und auch die EU-Kommission überbieten sich seit dem italienischen Hilferuf mit Solidaritätsbekundungen. Das Thema Flüchtlinge steht ganz oben auf der Tagesordnung des Treffens der EU-Innenminister am kommenden Mittwoch in Tallin. Estland hat ab dem 1. Juli die turnusmäßige EU-Präsidentschaft inne.

Doch das reicht Italien nicht. „Nach den Worten des Verständnisses für die Probleme Italiens, die einige europäischen Partner gezeigt haben, erwarten wir jetzt konkrete Aktionen“, sagte am Freitag Verteidigungsministerin Roberta Pinotti. Innenminister Marco Minniti ging noch weiter und kritisierte die Partner. Er sei ein überzeugter Europäer, doch hier stimme eindeutig etwas nicht, sagte er sehr aufgebracht am Freitag bei einem Seminar über Migrationsfragen in Mailand. „Wenn wenigstens ein Schiff, ein einziges Rettungsschiff, in einen anderen Hafen einlaufen würde und nicht in einen italienischen, das wäre ein Symbol“, so Minniti. Das würde das Problem nicht lösen, sei aber ein Zeichen der Solidarität.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker kündigte an, er werde nächste Woche die Regierungschefs von Italien und Griechenland treffen, um auszuloten, wie die EU helfen kann. „Italien und Griechenland dürfen nicht alleingelassen werden“, sagte er. Die EU habe bereits finanzielle Hilfen geleistet. Außerdem habe die Reform des europäischen Asylrechts zu viel Zeit in Anspruch genommen, fügte er hinzu.

Bundeskanzlerin Angela Merkel bot nach dem Vorbereitungstreffen für den G20-Gipfel in Hamburg konkrete Hilfe an: „Wir werden Italien helfen, das liegt uns am Herzen. Aber wir müssen für eine politische Lösung in Libyen arbeiten, wir dürfen nicht akzeptieren, dass in diesem Land die Illegalität regiert.“ Die meisten Schlepperboote fahren von Libyen ab. Die EU hat mehrmals bekundet, vor Ort für stabile politische Verhältnisse zu arbeiten.

Doch der neue französische Präsident Emanuel Macron brachte einen anderen Zungenschlag in die Diskussion und berührte einen wunden Punkt. Frankreich werde Italien unterstützen und seinen Teil erledigen, was die Asylsuchenden betreffe, die Schutz suchten, sagte Macron. Man dürfe diese aber nicht mit den Wirtschaftsflüchtlingen verwechseln: „80 Prozent der Flüchtlinge, die in Italien ankommen, sind Wirtschaftsflüchtlinge“. Die Rückführung funktioniert europaweit sehr schlecht. Viele Ankommende werden nicht registriert und verschwinden aus den Erstaufnahme-Einrichtungen, um sich von Italien nach Deutschland oder Frankreich durchzuschlagen.

Der italienische Premier Paolo Gentiloni hat noch eine andere Sorge: „Wenn ihr uns nicht helft, besteht das Risiko, dass bei den nächsten Wahlen in Italien die Populisten triumphieren“, sagt er. Die öffentliche Meinung in Italien kippt immer mehr in Richtung Fremdenfeindlichkeit. Ausgerechnet die mutige und preisgekrönte Bürgermeisterin von Lampedusa, Giusy Nicolini, ein Symbol der Zivilgesellschaft und immer im Einsatz für die Flüchtlinge und ihre Rechte, wurde bei den Kommunalwahlen vor zwei Wochen von den Inselbewohnern abgewählt.

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