Flüchtlingskrise Kerry und Lawrow suchen Auswege aus dem Syrien-Krieg

Der Bürgerkrieg in Syrien ist ein Hauptauslöser der Flüchtlingskrise. Nur wenn Russland und die USA an einem Strang ziehen würden, könnte es eine Lösung geben. In Wien sitzen beide Außenminister dazu an einem Tisch.

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Der US-Außenminister John Kerry. Quelle: dpa

Vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise haben US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow in Wien um Auswege aus dem syrischen Bürgerkrieg gerungen. Ergebnisse wurden am Freitag zunächst nicht bekannt. Lawrow rief zu direkten Verhandlungen zwischen der Führung in Damaskus und der Opposition auf. Der politische Prozess müsse rasch aktiviert werden, betonte er der Agentur Interfax zufolge. Syrische Aktivisten warnten vor einer neuen Fluchtwelle in Richtung Türkei, sollten die russischen Luftangriffe und Kämpfe im Norden des Landes andauern.

Der seit viereinhalb Jahren anhaltende Bürgerkrieg in Syrien, der nach UN-Angaben bislang rund 4,2 Millionen Menschen ins Ausland getrieben hat, gilt als Hauptauslöser für die derzeitige Flüchtlingskrise in Europa. Syrische Flüchtlinge bilden auch die mit Abstand größte Gruppe, die derzeit in Deutschland Asyl sucht.

Ein rascher Ausweg aus dem Syrienkonflikt ist bisher nicht in Sicht, auch weil die beiden Großmächte unterschiedliche Ziele verfolgen: Russland stützt den umstrittenen syrischen Machthaber Baschar al-Assad, die USA wollen ihn aus dem Amt drängen.

Die einflussreichsten Rebellengruppen in Syrien

Die arabische Tageszeitung „Al-Sharq al-Awsat“ meldete unter Berufung auf nicht näher genannte offizielle türkische Quellen, Russland habe gegenüber Ankara seine Bereitschaft signalisiert, über Assads Schicksal nachzudenken. Moskaus Bedingung sei aber, dass der syrische Staatschef für eine 18-monatige Übergangsperiode an der Macht bleibe. Danach solle es eine Präsidentenwahl geben, bei der Assad kandidieren dürfe.

Der russische Präsidentensprecher Dmitri Peskow bestätigte dies nicht. „Ich kenne einen solchen Plan nicht“, sagte er in Moskau. Außenminister Lawrow sagte nach dem Treffen: „Wir wollen alle, dass bei einer Lösung der Krise die territoriale Einheit Syriens wiederhergestellt wird.“ Über einen möglichen Rücktritt von Assad sei nicht gesprochen worden.

Die Türkei gehört neben Saudi-Arabien zu den schärfsten Gegnern Assads und fordert seinen Abtritt. Kerry und Lawrow sprachen im Wiener Luxushotel Imperial auch mit den Außenministern beider Länder.

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, kritisierte am Freitag die bisherige Haltung Russlands. „Jeder, der Assad hilft und einem politischen Übergang im Weg steht, wird nur den Konflikt verlängern, mehr Leiden verursachen und (die Terrormiliz Islamischer Staat) IS stärken“, erklärte sie. Die ohnehin schon schlimme Situation in Syrien werde durch eine von Russland unterstützte Bodenoffensive des syrischen Regimes weiter verschärft. Allein in den vergangenen Tagen seien 85.000 Syrer vertrieben worden, schrieb Power im Kurznachrichtendienst Twitter.

Zehntausende Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa

Allerdings schwanken die Angaben zur Zahl der Flüchtlinge: Mindestens 70.000 seien allein im Großraum Aleppo auf der Flucht, sagte Saidun al-Soabi, Leiter einer syrischen Hilfsorganisation, am Freitag der Deutschen Presse-Agentur. Und die Zahl der Hilfesuchenden werde in den nächsten Tagen deutlich steigen, da immer mehr Menschen ihre Heimatorte wegen der zunehmenden Gewalt verließen. Andere Aktivisten sprachen zuletzt von 20.000 Vertriebenen. Die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières/MSF) warnte, die humanitäre Lage im Raum Aleppo sei ernst und verschlechtere sich immer weiter.

Russlands Luftwaffe bombardierte zur Unterstützung des syrischen Regimes erneut Ziele in Syrien. Die Jets hätten 13 Angriffe auf die ostsyrische IS-Hochburg Al-Rakka geflogen, meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Dabei seien mindestens 20 Menschen ums Leben gekommen, darunter 13 IS-Kämpfer und zwei Kinder.

Fakten zum Terror im Irak

Lawrow sagte in Wien zu den umstrittenen russischen Luftangriffen, Russland und Jordanien hätten sich darauf geeinigt, sich gegenseitig über militärische Handlungen in der Region zu informieren. Dafür solle in der jordanischen Hauptstadt Amman ein Arbeitsmechanismus eingerichtet werden.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte sich vor den Wiener Gesprächen hinter seinen Verbündeten Assad gestellt. Bei einer Niederlage könnten Terroristen in der Hauptstadt Damaskus einen „Brückenkopf für eine globale Ausweitung“ errichten - dies müsse verhindert werden, sagte Putin am Donnerstag.

Russland will nach den Worten Putins mit seinen Luftangriffen den Weg für eine politische Lösung freimachen. „Der militärische Sieg beseitigt nicht alle Probleme, aber er kann Bedingungen schaffen für einen politischen Prozess unter Teilnahme aller gesunden, patriotischen Kräfte in der syrischen Gesellschaft.“

Zehntausende Flüchtlinge sind derzeit auf dem Weg nach Europa - über die Türkei, Griechenland und die Westbalkanroute. Slowenien verzeichnete am Freitag nach Polizeiangaben mit 14 000 ankommenden Flüchtlingen abermals einen Rekord. Das kleine EU-Land fühlt sich völlig überfordert. Weil Slowenien eine EU-Außengrenze hat, müsste es eigentlich alle Ankommenden registrieren.

Ähnlich wie Deutschland erlebt derzeit auch Schweden einen großen Zustrom von schutzsuchenden Menschen. Als Konsequenz verschärft das skandinavische Land jetzt die Regeln für die Aufnahme von Asylbewerbern. So wird beispielsweise eine befristete Aufenthaltserlaubnis eingeführt.

Nach den Syrien-Gesprächen war in Wien auch ein Treffen des sogenannten Nahost-Quartetts aus UN, EU, USA und Russland geplant. Dazu wurde die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini erwartet. Die Vereinten Nationen sollten dem Vernehmen nach vom UN-Nahostbeauftragten Nikolai Mladenow vertreten werden.

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