Flüchtlingskrise Lage im Mittelmeer spitzt sich wieder zu

Schreiende Flüchtlinge im Wasser: Hinter den Seenotrettern im Mittelmeer liegen extrem harte Tage. Politische Spannungen kosten hier Menschenleben. Die Jahresbilanz ist verheerend – fast 3000 Tote.

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In vier Monaten wurden fast 2600 Menschen gerettet. Quelle: dpa

Tripolis/Rom/Genf Nach einem neuen Unglück im Mittelmeer machen sich deutsche Seenotretter und die libysche Küstenwache gegenseitig für den Tod mehrerer Flüchtlinge verantwortlich. Die Libyer wiesen am Dienstag den Vorwurf der Organisation Sea-Watch zurück, fünf Leben auf dem Gewissen zu haben. Sie beschuldigte ihrerseits Sea-Watch, das Unglück vor der Küste des nordafrikanischen Landes ausgelöst zu haben. Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sind 2017 bereits 2925 Männer, Frauen und Kinder auf der Flucht über das Mittelmeer umgekommen.

IOM-Sprecher Flavio Di Giacomo sagte am Dienstag in Genf, fast 2600 Gerettete, 34 Tote und 50 Vermisste seien „das Ergebnis einer der härtesten Wochen, die die Rettungskräfte auf der zentralen Mittelmeer-Route in den vergangenen vier Monaten bis Montag erlebt haben“.

Die libysche Küstenwache erklärte, ein Schiff der Organisation Sea-Watch sei während einer Rettungsaktion am Montag aufgetaucht und habe unter den Flüchtlingen Chaos verursacht. Viele Menschen seien ins Meer gesprungen, um auf das Sea-Watch-Schiff zu gelangen. Dieses habe die Anweisung der Küstenwache ignoriert, sich zu entfernen.

Die „Sea-Watch 3“ sei von der zentralen Seenotrettungsleitstelle in Rom mit der Rettung der Migranten beauftragt worden und gleichzeitig mit einem libyschen Boot bei dem Schlauchboot eingetroffen, sagte eine Sprecherin der italienischen Küstenwache. Damit bestätigte sie die Angaben der NGO. „Die libyschen Behörden haben die Koordination des Einsatzes übernommen“, sagte die Sprecherin. Zur weiteren Entwicklung des Vorfalls könne sie keine Angaben machen.

Dass die Rettungsaktion außer Kontrolle geriet, wird auf Fotos von Sea-Watch deutlich: Darauf sind Migranten zu sehen, die sich an dem sinkenden Schlauchboot festhalten. Andere klettern auf das Boot der libyschen Küstenwache. Wieder andere versuchen mit angsterfüllten Gesichtern, sich über Wasser zu halten.

Durch „brutales Vorgehen“ der Küstenwache sei auf dem Boot rund 30 Meilen nördlich der Küste Libyens Panik ausgebrochen, weshalb mehrere Menschen ins Wasser gefallen seien, hatte Sea-Watch erklärt. Die Migranten seien bedroht und geschlagen worden. „Diese Toten gehen auf das Konto der sogenannten libyschen Küstenwache“, sagte der Einsatzleiter der Organisation, Johannes Bayer. Nach Angaben der italienischen Küstenwache nahm Sea-Watch 58 Gerettete an Bord. Die Libyer brachten 45 Menschen zurück in das Bürgerkriegsland.

Nachdem im Mai und Juni jeweils mehr als 20.000 Menschen im Mittelmeer gerettet wurden, ging die Zahl der Migranten, die die Flucht über das Mittelmeer wagten, in den Folgemonaten drastisch zurück. Das wird auch darauf zurückgeführt, dass die italienische Marine Libyen im Kampf gegen den Menschenhandel bei der Überwachung der Territorialgewässer hilft. Zahlreiche Migranten werden nun bereits innerhalb der 12-Meilen-Zone aufgegriffen und zurück in das Bürgerkriegsland gebracht.

Bis Anfang November erreichten 154.000 Migranten Europa, im Vorjahr waren es im gleichen Zeitraum 337.000. Der Großteil der Flüchtlinge geht weiterhin in Italien an Land, ein Viertel verteilt sich auf Griechenland, Zypern und Spanien.

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