Flüchtlingskrise Österreich will Europa den Weg weisen

Genau wie Deutschland, will auch die österreichische Regierung die Außengrenzen ihres Landes weiter kontrollieren– und fordert nun offenbar eine Obergrenze für Flüchtlinge in der gesamten Europäischen Union.

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Während Deutschland ohne absehbares Ende weiter um eine Flüchtlingsobergrenze streitet, überrascht Österreich mit einem neuen Vorschlag in der Flüchtlings- und Asylpolitik. Quelle: dpa

Wien Während Deutschland ohne absehbares Ende weiter um eine Flüchtlingsobergrenze streitet, überrascht Österreich mit einem neuen Vorschlag in der Flüchtlings- und Asylpolitik. Der sozialdemokratische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil schlägt eine EU-weite Obergrenze zur Aufnahme von Flüchtlingen vor. Außerdem sollen Anträge auf Asyl künftig in Nordafrika und Asien gestellt werden. „Es geht darum, die verfehlte europäische Asylpolitik zu beenden: Wir müssen uns alle eingestehen und ehrlich sagen, dass die Aufnahmekapazitäten in der EU begrenzt sind“, resümiert der 46-Jährige.

Nach seinen Vorstellungen sollen Asyl- und Migrationszentren für die EU in Ländern wie dem Niger, Usbekistan oder Jordanien eingerichtet werden. In diesen Lagern sollen auch die im Mittelmeer geretteten Flüchtlinge transportiert werden. Das geht aus einem Papier hervor, über das die Wiener Tageszeitung „Kurier“ und die „Bild“-Zeitung am Freitag berichteten. Wie ein solcher Plan rein praktisch umgesetzt werden kann, ließen sie dabei offen.

Doskozil zählt zum rechten Flügel der SPÖ. 2015 machte er als erfolgreicher Krisenmanager an der österreichisch-ungarischen Grenze von sich reden. Seit einem Jahr gehört der frühere Polizeidirektor der rot-schwarzen Bundesregierung in Wien an. „Wir müssen uns alle eingestehen und ehrlich sagen, dass die Aufnahmekapazitäten in der EU begrenzt sind", sagte der Sozialdemokrat der „Bild“.

Der Plan, der die illegale Einreise nach Europa verhindern soll, ist mit dem konservativen Koalitionspartner ÖVP abgesprochen. Bereits im Februar will Doskozil dem konservativen Innenminister Wolfgang Sobotka das Konzept von Flüchtlingszentren außerhalb Europas bei einem Treffen der mitteleuropäischen Verteidigungs- und Innenminister vorstellen.

Der Plan wird auch von Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) unterstützt, der bereits im vergangenen Jahr die Rückführung von Flüchtlingen in Lagern in Nordafrika und den Nahen Osten gefordert hatte. „Deshalb wollen wir nach dem Vorbild Australiens sogenannte Asylzentren außerhalb der EU einrichten, in die wir jene Menschen bringen, die wir nicht abschieben können“, sagte Kurz der „Bild“-Zeitung.

Australien hatte Flüchtlinge in Lagern auf dem Staatsgebiet Papua-Neuguinea untergebracht, wo sie unter miserablen Umständen kaserniert wurden. Die unmenschlichen Bedingungen, die Suizidversuche und die Übergriffe der Ortsbevölkerung auf die Flüchtlinge, hatten in der Vergangenheit immer wieder weltweit Proteste hervorgerufen. Während Kurz das Grundprinzip des australischen Modells für richtig hält, hatte die Regierung von Australien und Papua-Neuguinea das umstrittene Lager auf Manus, eine Insel im Norden von Papua-Neuguinea, inzwischen geschlossen.

Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern hat sich bislang noch nicht zu den Plänen seines Kabinetts geäußert. Der sozialdemokratische Regierungschef wird am 11. Januar in der oberösterreichischen Industriestadt Wels eine Grundsatzrede halten. In Wels hatte die rechtspopulistische FPÖ erst im vergangenen Jahr die Bürgermeisterwahl gewonnen. „Wir wollen damit demonstrieren, dass wir die Wähler auf allen Ebenen zurückholen", sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Georg Niedermühlbichler zuletzt. Der Titel der Kanzler-Rede lautet: „Worauf warten? Zeit, die Dinge neu zu ordnen“.


Neuer Kurs im Umgang mit Rechtspopulisten

Die rot-schwarze Koalition unter Kanzler Kern, der das Amt seit Mai vergangenen Jahres inne hat, steht unter Druck. Gerüchte um vorgezogene Neuwahlen wollen in Wien nicht verstummen. Am Mittwochabend hatte Vizekanzler und Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP) im ORF die Spekulationen über ein vorzeitiges Ende des Regierungsbündnis zurück gewiesen. Die nächsten regulären Wahlen in Österreich finden im Herbst 2018 statt.

Die FPÖ ist nach den letzten Umfragen des Linzer Market-Instituts mit 31 Prozent die größte Partei. Erst danach folgen SPÖ, ÖVP und Grüne. Doch die Sozialdemokraten geben sich unterdessen selbstbewusst: „Wann immer es in Österreich Wahlen gibt: Ein amtierender Bundeskanzler, der sichtbar eine positive Performance hinlegt, das Land aus dem Stillstand herausbewegt und den Menschen das Gefühl gibt, dass die Zukunft nicht im Gesudere liegt – solch ein Bundeskanzler hat gegen jeden Herausforderer eine gute Chance“, sagte der frühere österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer dem „Kurier“. Der 66jährige Sozialdemokrat ist ein Vertrauter von Kern.

Der österreichische Bundeskanzler fährt im Umgang mit den Rechtspopulisten seit drei Monaten einen neuen Kurs. Statt auf Konfrontation wie sein glückloser Amtsvorgänger Werner Faymann, setzt er auf Dialog mit der FPÖ. Ein öffentliches Gespräch zwischen Kern und FPÖ-Chef Heinz-Christian auf Einladung des ORF im Spätherbst verlief neutral. Kern sagte damals, er respektiere, dass auch „Strache will, dass das Land vorankommt.“

Konfrontationen mit dem Rechtspopulisten vermeidet der 51jährige Regierungschef bewusst. Damit eröffnet Kern auch die Möglichkeit einer Koalition mit der FPÖ auf Bundesebene, sollte es bei der nächsten Wahl keine Mehrheit links geben. Bereits im Burgenland hat die SPÖ im Jahr 2015 unter ihrem sozialdemokratischen Landeshauptmann (Ministerpräsident) Hans Niessl eine Koalition mit den Rechtspopulisten gebildet, die ohne größere öffentliche Reibereien funktioniert.

Politische Insider in Wien sehen in dem Vorstoß Doskozils ein wichtiges Element der FPÖ als stärkste politische Kraft in der Alpenrepublik das Wasser abzugraben. „Österreich war das erste Land, das mit dem Aufstieg Haiders in den 90er-Jahren vom Rechtspopulismus angekränkelt wurde. Wir könnten nun den Beweis erbringen, dass Österreich das erste Land ist, das diese Art von Politik wieder abschüttelt“, hofft Alt-Bundeskanzler Gusenbauer und spricht damit vielen Sozialdemokraten in der Alpenrepublik aus dem Herzen.

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