Flüchtlingskrise und EU Der Türkei sind drei Milliarden nicht genug

Die Flüchtlingskrise dominiert die ersten deutsch-türkischen Regierungskonsultationen. Ankara fordert mehr Geld – und hat wegen seiner strategischen Lage gute Karten. Denn die Kanzlerin ist auf die Hilfe angewiesen.

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Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Ministerpräsident der Türkei, Ahmet Davutoglu. Quelle: dpa

Berlin Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der Türkei erneut die von der EU in Aussicht gestellte Milliardenhilfe zur besseren Bewältigung der hohen Flüchtlingszahlen zugesagt. „Wir werden von europäischer Seite die drei Milliarden (Euro) zur Verfügung stellen. Das habe ich heute noch einmal zugesichert“, sagte Merkel am Freitag nach den ersten offiziellen Regierungskonsultationen in Berlin.

Das Geld soll eingesetzt werden, um die Lebensbedingungen von inzwischen 2,5 Millionen Flüchtlingen aus Syrien in der Türkei zu verbessern. Zum EU-Gipfel am 18. Februar sollten Projekte definiert werden.

Angestrebt werde auch eine stärkere Zusammenarbeit zur Bekämpfung illegaler Migration in der Ägäis, sagte Merkel. „Wir können nicht zulassen, das zwischen der Türkei und Griechenland illegale Schlepper und Schmuggler die Hoheit haben und Menschen immer wieder sich in Gefahr bringen.“

Schon vor den ersten Regierungskonsultationen beider Länder am Freitag in Berlin machte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu klar, dass Ankara von der Europäischen Union mehr Geld erwartet als die bislang versprochenen drei Milliarden Euro. Merkel muss auf türkische Unterstützung hoffen, um die Flüchtlingszahlen wie angekündigt zu reduzieren.

Davutoglu sagte der Deutschen Presse-Agentur, die bisherigen Zusagen seien „nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen“. Er fügte hinzu: „Niemand kann von der Türkei erwarten, die gesamte Last alleine zu tragen.“ Zusammen mit Davutoglu waren mehrere türkische Minister in Berlin. Solche Konsultationen gehen über die normalen Kontakte zwischen Regierungen hinaus. Weitere deutsch-türkische Themen waren der Kampf gegen den Terrorismus sowie der blutige Konflikt in den türkischen Kurdengebieten.

Die EU ist sich noch nicht einig, wer welchen Anteil von den Zusagen an Ankara in der Flüchtlingskrise übernimmt. Deshalb ist von dem Geld bislang noch nichts in der Türkei angekommen. Der EU-Beitrittskandidat ist das wichtigste Transitland für Flüchtlinge. Von den mehr als 1,5 Millionen Flüchtlingen, die vergangenes Jahr nach Europa gelangten, kamen die meisten über die Türkei - in den ersten Tagen des laufenden Jahres bereits wieder mehr als 36.000. Die gefährliche Überfahrt hatte auch in den vergangenen Tagen wieder tödliche Folgen: Nach dem Kentern von zwei Booten kamen in der Ägäis erneut mindestens 42 Menschen ums Leben, weitere wurden am Freitag noch vermisst.

Der Vorsitzende der konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament, Manfred Weber (CSU), wies die türkischen Überlegungen zu höheren Finanzhilfen der EU für die Bewältigung der Flüchtlingskrise zurück. Zunächst einmal müsse das gemeinsam Vereinbarte umgesetzt werden, forderte er am Freitag in München.


„Die Türkei hat Probleme, das wissen alle“

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) räumte – etwa mit Blick auf den türkischen Kampf gegen die verbotene Kurdenpartei PKK – bei RTL ein: „Die Türkei hat Probleme, das wissen alle.“ Gleichwohl könne Deutschland nicht als Richter auftreten. „Wir sind Partner im Kampf gegen den Terrorismus, und wir sind jetzt Partner im Kampf gegen illegale Migration. Wir haben ein gemeinsames Interesse darin, dass nicht so viele Flüchtlinge in die Türkei kommen und dass die Türkei sie nicht einfach durchlässt.“

Trotz tiefer Zerwürfnisse mit der CSU über ihre Flüchtlingspolitik sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Zusammenarbeit in der großen Koalition nicht beeinträchtigt. „Die Bundesregierung ist voll funktionsfähig“, sagte die stellvertretende Regierungssprecherin Christiane Wirtz am Freitag in Berlin.

CSU-Chef Horst Seehofer hatte die Lage des Bündnisses von CDU, CSU und SPD zuletzt als ernst bezeichnet und gesagt, der Dissens bei einem „historischen Thema“ wie der Flüchtlingskrise wirke sich zwangsläufig auf die Gesamtarbeit der Koalition aus. Mit Blick auf Seehofers Äußerung, sein vertrauensvolles Verhältnis zu Merkel sei bei diesem Thema gestört, sagte Wirtz: „Von einer Vertrauensstörung kann ich von Seiten der Bundeskanzlerin nicht berichten.“ Der Wille der Regierung, zu einer europäischen Lösung der Flüchtlingskrise mit möglichst vielen europäischen Partnern zu kommen, sei ungebrochen.

Der bayerische Innenminister Joachim Herrmann (CSU) schloss derweil einen Ausschluss Griechenlands aus dem Schengen-Raum nicht aus. Sollte Athen seine Verpflichtungen zum effektiven Grenzschutz weiterhin nicht erfüllen, könnte man zu einem solchen Schritt gezwungen sein, sagte er bei einer regionalen Sicherheitskonferenz am Freitag in Sofia nach einem Bericht des bulgarischen Staatsradios.

Der griechische Außenminister Nikos Kotzias hält eine Abriegelung der Grenzen indes für unmöglich. „Wenn wir die Flüchtlinge stoppen wollten, müssten wir Krieg gegen sie führen. Wir müssten sie bombardieren, ihre Boote versenken und die Menschen ertrinken lassen“, sagte er der Berliner „tageszeitung“ (taz) (Freitag). „Das widerspricht sowohl der Menschlichkeit wie auch dem EU-Recht und internationalen Konventionen. Das ist ausgeschlossen.“

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