Flugzeugabsturz in Brasilien Was hat es mit Zavasckis Tod auf sich?

Mord oder Unfall: Der Tod des brasilianischen Richters Teori Zavascki führte zu den verschiedensten Verschwörungstheorien. Das könnte den Prozess gegen Brasiliens Polit- und Wirtschaftselite erheblich verzögern.

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Die Bergung des Flugzeugs. Quelle: Reuters

São Paulo Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe im hochsommerlichen Brasilien: Bei einem Flugzeugabsturz im Meer beim Küstenstädtchen Paraty ist in Brasilien am Donnerstagnachmittag der Richter Teori Zavascki ums Leben gekommen. Mit ihm starben vier weitere Personen, darunter auch Carlos Alberto Filgueiras der Besitzer der Beechcraft King Air, ein bekannter Hotelier aus São Paulo und Freund Zavasckis. Innerhalb von wenigen Minuten nach dem Absturz und der Bestätigung von Zavasckis Tod sprießen auf den sozialen Medien die Verschwörungstheorien: War es Mord oder wirklich nur ein Unfall? Denn Zavasckis ist nicht nur ein prominentes Mitglied des Supremo Tribunal Federal (STF), des Obersten Gerichtshofes Brasiliens.

Der erst 2012 für den STF ernannte Richter war dort federführend für die Abwicklung des Korruptionsskandals „Lava Jato“ („Autowaschanlage“) zuständig. Dabei geht es um eine Korruptionsmaschinerie, bei der mehrere Milliarden Dollar zwischen dem staatlichen Ölkonzern Petrobras, beteiligten Baukonzernen und Politikern verschoben wurden. Zavascki hatte mehrfach mit mutigen Entscheidungen den Prozess weitergebracht, obwohl die verstrickte Polit- und Wirtschaftselite schwere Geschütze gegen den Richter auffuhr.

So ließ der Sohn polnischer und italienischer Einwanderer im vergangenen Jahr den Führer der Arbeiterpartei im Senat verhaften – also von der gleichen Partei, deren Präsidentin Dilma Rousseff ihn kurz zuvor in den Obersten Gerichtshof berufen hatte. Später ließ er den mächtigen Präsidenten des Abgeordnetenhauses verhaften. Als Oberster Richter zögerte er nicht, die Immunität dieser mafiösen Politiker aufzuheben – denen sich bislang niemand getraut hatte in den Weg zu stellen. „Ohne Zavascki hätte es den Korruptionsskandal „Autowaschanlage“ nicht gegeben“, sagte jetzt Sergio Moro, der führende Untersuchungsrichter des Falls.

Für die nächste Woche wollte der Zavascki die Kronzeugenaussagen von 77 Managern des Baukonzern Odebrecht homologieren, also entscheiden, ob er sie zur Beweisführung zulassen würde. Im Dezember hatte der Konzern zugestimmt, eine Strafe in Höhe von 3,5 Milliarden Dollar unter anderem an die USA, Brasilien und die Schweiz zu bezahlen. Es ist die höchste Strafe, die je ein Konzern in Korruptionsverfahren zahlen wird.


Nicht der erste Flugzeugabsturz

Die Kronzeugenaussagen der 77 Toppmanager des größten Baukonzerns Südamerikas, die Zavascki in den nächsten Wochen freigegeben hätte, fürchtete vor allem die Politik: Bereits jetzt sickerte durch, dass vermutlich kaum ein Politiker mit reiner Weste dastehen wird. Odebrecht hat Opposition wie Regierung, auf Landes, Länder und Gemeindeebene über Jahre großzügig geschmiert.

Zavascki war wegen seiner unbeirrbaren Entscheidungen unter der Politelite verhasst. Bei einem abgehörten Telefongespräch beschwerten sich zwei der mächtigsten Führer im Senat gegenseitig, dass Zavascki tatsächlich „unbeeinflussbar“ sei. Ein höheres Lob kann es für einen Juristen nicht geben. Doch seine Familie fürchtete schon länger, dass Zavasckis Leben bedroht sein könnte. Mitte des letzten Jahres postete sein Sohn, dass der Widerstand gegen seinen Vater beim Korruptionsprozess zunehmen würde. „Wenn einem unserer Familie etwas passiert“, schrieb er orakelhaft in einem später gelöschten Beitrag, „wisst ihr, wo Ihr suchen müsst….“

Nun wollen die Behörden unter dem Druck der Öffentlichkeit so schnell wie möglich klären, wie es zum Absturz kommen konnte. In Paraty zwischen Rio und São Paulo gelegen, ging zum Zeitpunkt des Landungsanflugs ein heftiges Tropengewitter runter. Auch sind Flugabstürze prominenter Manager und Politiker in Brasilien nicht gerade selten: Mit Eduardo Campos stürzte einer der aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten im Wahlkampf 2014 tödlich ab. Der Topmanager aus der Erzbranche Roger Agnelli starb letzten Jahr mit seiner Familie in seinem Privatjet.

Inzwischen wird bereits um die Nachfolgefrage Zavasckis gerungen: Einerseits hätte der Präsident Michel Temer die Vorschlagrecht für einen neuen Richter, der dann auch die Rolle Zavasckis übernehmen würde im Korruptionsskandal. Da jedoch Temer und sein ganzes Kabinett vermutlich tief im Korruptionsskandal verstrickt sind, würde die Ernennung eines regierungsfreundlichen Juristen in der Öffentlichkeit als ein Affront gewertet. Die Regierung Temer ist bereits jetzt höchst unbeliebt.

Die Alternative wäre, dass Cármen Lúcia, die die bisher unabhängig auftretende Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, die Zuständigkeit für den Korruptionsskandal unter den Kollegen auslost. Kein Zweifel: In Brasiliens Politik sind die Sommerferien nun abrupt beendet. Trotz Kongressferien ist die Nachfrage nach Flügen in die Hauptstadt Brasilia aus dem ganzen Land nun plötzlich steil angezogen.

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