Fondsmanagerin Gina Miller „Menschen sagen, dass ich den Brexit ausbremse“

Die Londoner Fondsmanagerin Gina Miller hat die britische Regierung wegen ihrer Brexit-Pläne vor Gericht gebracht. Im Handelsblatt-Interview spricht sie über ihre Beweggründe, juristische Fallstricke und Droh-E-Mails.

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„Die Sache wird im Dezember entschieden sein.“ Quelle: AFP

Die Londoner Fondsmanagerin Gina Miller hat in Großbritannien einen historischen Rechtsstreit ins Rollen gebracht. Sie hat gegen die britische Regierung geklagt, um zu verhindern, dass Premierministerin Theresa May ohne Parlamentsbeschluss die offiziellen Austrittsgespräche mit der Europäischen Union in Gang setzt. Die erste Anhörung in dem Fall ist für diesen Donnerstag angesetzt.

Zwar hat May jüngst den Abgeordneten die Möglichkeit eingeräumt, über den Brexit-Deal zu debattieren – bevor die Premierministerin, wie bisher vorgesehen, bis Ende März die offiziellen Austrittsgespräche mit der EU beginnt. Doch von einer verbindlichen Abstimmung will sie nach wie vor nichts wissen. „Ich freue mich zwar, dass das Parlament die Chance haben wird, die Position der Regierung in Sachen Brexit genau unter die Lupe zu nehmen“, sagt Miller im Gespräch mit dem Handelsblatt. Aber das Zugeständnis von May sei noch immer nicht weitgehend genug.

Mit ihrer Klage hat sich die 51-jährige Miller noch mehr Feinde gemacht, als sie zuvor schon hatte. Sie gilt in der Vermögensverwaltungsbranche als Nestbeschmutzerin, weil sie versteckte und ihrer Meinung nach zu hohe Gebühren ihrer Kollegen anprangert. Wenn Gina Miller mit ihrer Klage Erfolg haben sollte, könnte der Abschied Großbritanniens aus der Staatengemeinschaft komplizierter werden.

Frau Miller, Sie haben im Vorfeld des Referendums sowohl die Brexit-Befürworter als auch die Gegner kritisiert. Wie haben Sie persönlich am Ende gestimmt?
Ich hab dafür gestimmt, in der EU zu bleiben. Der Grund, warum ich mich mit dem Lager, das für den Status quo war, zerstritten habe, war deren Beharren, dass ich meine Argumentation für den Verbleib sehr holzschnittartig vortragen sollte. Ich bin zwar für den Verbleib, meine aber, dass wir Reformen brauchen. Jeder im Wirtschaftsleben weiß im Prinzip, dass man nicht tatenlos bleiben sollte, sondern sich an geänderte Bedingungen anpassen muss. Außerdem fand ich einige Warnungen der Brexit-Gegner schlicht übertrieben.

Etwa die des ehemaligen Finanzministers George Osborne, der vor dramatischen Konsequenzen für die britische Wirtschaft warnte?
Ja, und ich sehe so etwas im Prinzip jeden Tag in der Vermögensverwaltungsbranche. Menschen sagen voraus, was passieren wird, wie sich die Rendite entwickeln wird. Aber es hat doch keiner eine Glaskugel. Man kann diese Dinge nicht treffsicher prognostizieren. Und dasselbe gilt für diejenigen, die Prognosen für die Zeit nach dem Brexit abgeben.

Was hat den Ausschlag dafür gegeben, dass Sie vor Gericht gezogen sind?
Etwa einen Monat vor dem Referendum hatte ich irgendwie die Ahnung, dass die, die für den Austritt kämpfen, sich durchsetzen würden. Ich war außerhalb von London unterwegs und hatte mit denen gesprochen, die für den Verbleib sind. Ich sah, dass sie nicht genug Unterstützung für ihre Sache aus London bekommen haben, und nicht sehr gut organisiert waren.

Das hat Sie alarmiert?
Ja, und einige andere Dinge auch. Dass den Menschen Lügen im Vorfeld des Referendums von Politikern aufgetischt wurden. Und dass es keinen Plan gab für den Fall, dass die die EU-Austrittsbefürworter tatsächlich das Referendum gewinnen. Es war völlig unklar, was ein Brexit bedeutet. Ich hab mir zudem Artikel 50 des Lissabon-Vertrages, der den Austritt regelt, einige Male durchgelesen und mit Verfassungsrechtlern darüber gesprochen. Ich hab sehr unterschiedliche Ansichten darüber gehört, was da tatsächlich drinsteht. Und da wurde mir klar: Nicht mal die Experten wissen das so genau. Artikel 50 löst mehr Fragen aus, als er Antworten gibt.

Was genau sind denn Ihre Sorgen und Bedenken?
Es gibt zwei Dinge, für die ich kämpfe: Wir haben keine geschriebene Verfassung. Deshalb basiert ein großer Teil unserer Gesetze auf Präzedenzfällen. Wenn die Regierung jetzt einen solchen Präzedenzfall schafft, indem sie ihre Exekutivgewalt nutzt, die Sache also ohne einen Parlamentsbeschluss durchzieht und den Menschen so ihre Rechte nimmt, dann kommen wir in sehr gefährliches Terrain. Es geht dabei um mehr als den Brexit.

Was ist das zweite Ziel, das Sie mit diesem Vorgehen erreichen wollen?
Wenn wir Artikel 50 ohne Parlamentsbeschluss auslösen, was hält dann die EU davon ab zu sagen, dass das Vorgehen möglicherweise nicht korrekt war, sondern illegal? Das kann man nicht ausschließen. Beides ist gefährlich. Wir brauchen bei einer Entscheidung mit einem solchen Ausmaß Sicherheit.

Sie fordern zudem eine Parlamentsdebatte über den Brexit, die ehrlich geführt werden soll. Aber kann das funktionieren? Werden Politiker bei einer erneuten Debatte die Dinge nicht genauso verzerren und zuspitzen wie im Wahlkampf vor dem Referendum?
Wenn die Abgeordneten im Parlament darüber debattieren, gibt es Regeln, die sie dort beachten müssen und wenn sie dort lügen, hat das Konsequenzen. Deshalb hoffe ist, dass eine Diskussion, die erwachsenen Menschen würdig ist, auch tatsächlich möglich ist.

Sie sind die einzige Klägerin in diesem Fall, die öffentlich auftritt. Das hat Ihnen viel Kritik eingebracht – wie gehen Sie damit um?
Es ist furchtbar, seitdem mein Name öffentlich gemacht wurde. Es gibt Boykottaufrufe gegen mein Unternehmen, Kampagnen auf Facebook, die Menschen ermutigen, gegen mich vorzugehen. Das macht mich noch wütender. Aber ich lasse mich davon nicht aufhalten. Die Entwicklungen seit dem Referendum ist ziemlich entmutigend: Menschen, die für den Verbleib gestimmt haben, fühlen sich eingeschüchtert und haben Angst, ihre Meinung zu sagen.

Was war für Sie die schlimmste Erfahrung?
E-Mails von Menschen zu bekommen, die mir sagen, ich sollte mal besser aufpassen, wenn ich unterwegs bin, es könnten mir Dinge zustoßen …

Deswegen haben Sie die Zahl Ihrer öffentlichen Auftritte zurückgefahren?
Ja, und deswegen werde ich mich in den Tagen, wenn die Anhörungen vor Gericht anstehen, noch stärker zurückziehen. Wir müssen Vorsichtsmaßnahmen treffen.

Wie schätzen Sie die Chancen, den Fall zu gewinnen, ein?
Das ist schwer zu sagen. Die Gerichte nehmen die Sache sehr ernst und haben dem Überspringen von Instanzen zugestimmt. Dadurch können wir sofort zum High Court gehen. Wenn wir dort verlieren, werden wir den Supreme Court einschalten – wenn die Gegenseite den Kürzeren zieht, dürfte sie das Gleiche tun. Der Supreme Court wird voraussichtlich bis Ende dieses Jahres diese Sache entscheiden. Menschen sagen, dass ich den gesamten Brexit-Prozess ausbremse und die Regierung mit der Sache jahrelang beschäftigen werde. Das stimmt nicht. Die Sache wird im Dezember entschieden sein.

Frau Miller, vielen Dank für das Interview.

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