Frankreich Angst vor Anschlägen prägt Wahlkampf

Bei der Präsidentschaftswahl geht es für viele Franzosen um eine Frage: Welcher Kandidat kann das Land am besten vor Terroristen schützen? Gemessen an früheren Jahren ist das gesamte politische Feld nach rechts gerückt.

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Zerrissene Wahlplakate französischer Präsidentschaftskandidaten. Quelle: dpa

Paris Für Georges Salines ist Terror keine abstrakte Bedrohung. Seine Tochter Lola wurde getötet, als IS-Anhänger das Konzerthaus Bataclan stürmten. Die Anschläge in Paris vom November 2015 waren mit 130 Toten die schwersten in Frankreich seit der Präsidentschaftswahl vor fünf Jahren. Aber es waren nicht die einzigen - insgesamt hat der Terror im Land allein seit 2015 mehr als 230 Menschen das Leben gekostet.

Entsprechend groß ist die Bedeutung des Themas im aktuellen Wahlkampf. Noch immer gilt der Ausnahmezustand. Die Sorge um die Sicherheit ist für viele Franzosen Teil des Alltags.

Vom künftigen Staatsoberhaupt erwartet Salines einen „übergreifenden Ansatz“ zur Lösung des Problems. „Man muss in allen Bereichen handeln, von dem Moment an, in dem eine Person dabei ist, zu einem Terroristen zu werden, bis zu der Zeit nach einem Angriff“, sagt er. „Man muss auf internationaler Ebene und auf nationaler Ebene ebenso aktiv sein wie auf der lokalen Ebene von Familien und Individuen.“

Die 28-jährige Lola war am 13. November 2015 zu einem Konzert gegangen, von dem sie nicht mehr zurückkehrte. In den chaotischen Stunden während und nach dem Anschlag versuchten ihr Vater und ihr Bruder verzweifelt, sie über die sozialen Netzwerke im Internet zu finden. Heute liegt Lola auf dem berühmten Pariser Stadtfriedhof Père Lachaise begraben.

Die vielen Anschläge seien „Tragödien von enormer Tragweite“, sagt Salines, der inzwischen der Präsident der Opfervereinigung „13. November - Brüderlichkeit und Wahrheit“ ist. „Hinter jedem Toten stehen viele, viele andere, indirekte Opfer. Denn wir alle trauern und leiden unter dem Verlust einer geliebten Person.“ Die elf Kandidaten, die sich am 23. April im ersten Wahlgang um das Amt des französischen Präsidenten bewerben, hat die Organisation von Salines deshalb in einem Brief aufgefordert, ihre Konzepte zur Bekämpfung des Terrorismus vorzulegen.

In einem Punkt decken sich in Frankreich derzeit die Ankündigungen der Politiker fast aller Parteien: Die Ausgaben für die Sicherheitskräfte sollen erhöht und die Geheimdienste gestärkt werden. Das zeigt, wie sehr sich die Stimmung im Land zumindest bei diesem Thema in Richtung von Positionen verschoben hat, die traditionell eher nur von konservativen und rechten Kreisen vertreten werden.

Besonders weit geht Marine Le Pen von der rechten Front National in ihren Forderungen. In einer Rede am Montag versprach sie, im Falle eines Wahlsiegs die Streitkräfte um 50 000 auf dann 250 000 Soldaten auszubauen sowie neue Kampfjets, Kriegsschiffe und gepanzerte Fahrzeuge zu kaufen. Außerdem kündigte sie an, massiv gegen Kriminelle vorzugehen, die sich zu radikalen Islamisten entwickeln könnten - nach ihrer Darstellung liegt die Ursache für die Anschläge vor allem in der hohen Zahl von Migranten und in einem zu nachsichtigen Umgang mit Extremisten.

Der unabhängige Präsidentschaftskandidat Emmanuel Macron - der laut Umfragen in dem insgesamt sehr offenen Rennen die Nase vorn hat - fordert eine internationale Initiative, mit der die großen Internetunternehmen aus den USA dazu gebracht werden sollen, „islamistische Propaganda“ auf ihren Plattformen zu verhindern und die Polizei bei Antiterror-Ermittlungen zu unterstützen. Facebook gab am Donnerstag bekannt, 30 000 „Fake“-Profile mit Bezug zur Wahl in Frankreich ausgemacht zu haben. Einige der besonders aktiven Konten seien bereits gelöscht worden, hieß es.

In keinem anderen westlichen Land hat die sunnitische Terrormiliz IS so viele Anhänger rekrutieren können wie in Frankreich. Oft sind es arbeitslose Jugendliche aus den benachteiligten Vorstädten, deren Familien ursprünglich aus den muslimischen Staaten Nordafrikas kommen, die sich über das Internet anwerben lassen. Gleichzeitig stehen die französischen Streitkräfte im internationalen Kampf gegen den islamistischen Terror an vorderster Front - ob in Syrien, im Irak oder in der afrikanischen Sahelzone.

Insofern kann es kaum verwundern, dass das Thema Sicherheit im Wahlkampf sehr viel Raum einnimmt. Anders als in den USA würden sich die Wähler in Frankreich aber nicht so sehr einen „starken Führer“ oder einen „Beschützer des Landes“ wünschen, sagt Frederic Michael vom Pariser Meinungsforschungsunternehmen Opinion Way. „Wir wollen in erster Linie, dass er ehrlich ist, dann wollen wir, dass er kompetent ist, und dann sollte er das Format eines Präsidenten haben.“

Doch egal, wer sich am 23. April und dann in der voraussichtlich folgenden Stichwahl am 7. Mai durchsetzt - eine einfache Lösung für das Problem der Terrorgefahr wird es kaum geben. Denn die jüngsten Angriffe haben gezeigt, dass es kein einheitliches Täterprofil gibt. Einige der Extremisten arbeiten in Gruppen, andere allein. Die konkreten Motive und Methoden sind so verschieden, dass die Behörden einräumen müssen, nicht jeden Ort zu jeder Zeit gleichermaßen schützen zu können.

Hinzu kommt, dass die verschärften Sicherheitsmaßnahmen zum Teil auch sehr umstritten sind. Bürgerrechtler befürchten, dass durch den anhaltenden Ausnahmezustand einige persönliche Freiheiten dauerhaft verloren gehen könnten. Das Terrorproblem sei ein „furchtbares Symbol“ dafür, wie vieles in der Welt im Argen liege, sagt Salines. „Wenn man den Terrorismus auf übergreifende Art betrachtet, dann steht man vor einer Reihe von übergreifenden geopolitischen Fragen, der Ungleichheit in der Gesellschaft und den Schwierigkeiten der Menschen, miteinander zu reden.“

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