Frankreich debattiert Burkini – Versklavung oder Selbstbestimmung?

Was hat ein Burkini mit Terroranschlägen zu tun? Nichts. Doch Frankreichs sozialistischer Premier facht mit jakobinischem Eifer eine Kontroverse um ein ästhetisch fragliches Textil an, obwohl die Fakten auf der Hand liegen.

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Politiker in Frankreich diskutieren über den Burkini. Quelle: dpa

Paris Hat der Mann keine anderen Probleme? Premier Manuel Valls facht die befremdliche Burkini-Kontroverse in Frankreich an, die gerade etwas abzuklingen schien. Jean-Pierre Chevènement, vom Staatspräsidenten persönlich ausgewählt als Vorsitzender der „Stiftung für die Muslime“, hatte so etwas wie ein Schlusswort gesprochen. Im Zweifelsfall müsse man immer für die Freiheit sein, selbst für die, den Ganzkörper-Badeanzug zu tragen, so lange die öffentliche Ordnung nicht gestört werde.

Da kommt Premier Manuel Valls daher und gießt wieder Öl ins Feuer. „Ich unterstütze die lokalen Burkini-Verbote“, sagte er am Mittwochmorgen. Das Kleidungsstück verstoße „gegen die Werte der Republik“. Der Sozialist fährt schweres Geschütz auf: Das an einen Taucheranzug erinnernde Textil hat für ihn subversives Potenzial. Es sei „Ausdruck eines politischen Projekts, einer Gegengesellschaft, die auf die Versklavung der Frau abzielt.“ Wenn dem so ist, sollte er wohl schleunigst ein Gesetz einbringen.

Genau das will er aber nicht: „Ich glaube nicht, dass man in der Frage gesetzgeberisch tätig werden muss.“ Eine „allgemeine Regelung der Kleidervorschriften kann keine Lösung sein“, begründet er das. Aber was sollen dann lokale Verbote?

Sieben Bürgermeister, von Port Leucate im äußersten Süden bis Le Touquet im Norden, haben bislang meist auf den Sommer befristete Verbote ausgesprochen. Dabei erwähnen sie tunlichst nicht den Burkini, denn der fällt in Frankreich ausdrücklich nicht unter ein gesetzliches Verbot: Das gilt lediglich für Kleidungsstücke, die wie das Stoffgefängnis Burka oder eine beliebige Maske das Gesicht verhüllen, was beim Burkini gerade nicht der Fall ist.

Mit allerlei Verrenkungen wird deshalb bei den lokalen Erlassen „Strandbekleidung“ untersagt, die „auf ostentative Art die Zugehörigkeit zu einer Religion zum Ausdruck bringt, weil das zu einem Zeitpunkt, in dem religiöse Stätten Ziel von Terroranschlägen sind, öffentliche Unruhen auslösen und die Ordnung stören kann.“

Da wird nun alles durcheinander gemischt, was nicht zusammen gehört. Was hat Badekleidung mit Terroranschlägen zu tun? Wen glauben diese Politiker verteidigen zu müssen? Die Katholiken, die am 26.Juli einen Priester durch einen Terroranschlag verloren, haben die Muslime und deren Würdenträger ausdrücklich in die Kirchen eingeladen und dabei nicht etwa verlangt, sie sollten ihre muslimisch geprägten Gewänder ablegen. Fast könnte man das Gefühl haben, manche französischen Politiker wollten die sich anbahnende Verständigung der Religionen torpedieren mit ihrer aufgeblasenen Burkini-Kontroverse.


Verbote als Heil

Die angebliche Sorge um die „Werte der Republik“ hinderte Frankreich übrigens nicht daran, im vergangenen Mai das „Islamic Fashion Festival“ auszurichten. Das findet jedes Jahr an einem anderen Ort der Welt statt und zeigt ausschließlich Models, bei denen gerade noch Hände und Gesicht zu sehen sind. Ansonsten sind sie völlig verhüllt. Nun ja, man muss differenzieren: Hier geht es um sehr viel Geld, denn potenzielle Kunden sind nicht die armen französischen Muslime der Vorstädte, sondern kaufkräftige Familien aus den Golfstaaten. Da muss man schon mal die islamische Mode unterstützen. Das hat offenbar auch den Bürgermeister von Cannes bewogen, das islamische Modefestival auszurichten – bevor er in diesem Jahr seine tiefe Abneigung gegen den Burkini entdeckte.

Wenn es darum geht, Isolierung, Abschottung und Parallelgesellschaften zu bekämpfen, müsste die Politik dann nicht alles dafür tun, Stigmatisierung zu vermeiden? In Deutschland wurde schon vor mehreren Jahren mit einem klugen Urteil vorgeschrieben, dass alle Mädchen am Sport- und Schwimmunterricht teilnehmen müssen. Wenn sie aus religiösen Gründen die Entkleidung ablehnten, könnten sie einen Burkini tragen, stellten die Richter fest.

Französische Politiker dagegen suchen das Heil wieder mal in Verboten. Jakobinischer Eifer gesellt sich zu Ignoranz. Der Bikini wurde nicht vor 70 Jahren von einem Franzosen erfunden, was eine zur Zeit in Paris laufende Ausstellung behauptet. Der Zweiteiler findet sich schon auf 2000 Jahre alten Mosaiken römischer Villen. Und der Burkini ist kein traditionell-islamisches Kleidungsstück.

Erfunden hat ihn die libanesisch-stämmige Australierin Aheda Zanetti im Jahr 2004. Ihr ging es nicht um Religion, sondern ums Geschäft: Sie suchte eine alternative Strandbekleidung für erzkonservative muslimische Frauen, die sich wie vor 100 Jahren die Europäerinnen am Strand nicht ausziehen wollen oder dürfen und voll bekleidet ins Wasser waten. Zanetti erfand auch das Wort „Burkini“ und ließ sich den Begriff patentieren.

Sie hat beachtlichen Erfolg mit ihrem ästhetisch fragwürdigen Textil: Für eine Muslima, die sich bis dato gar nicht ins Wasser traute, ist das hässliche Teil eine graduelle Erleichterung. Das liberale Magazin „Le Point“ schreibt am Mittwoch, dass die lokalen Burkini-Verbote unter Juristen nur für Kopfschütteln sorgten: Ein konservativer Abgeordneter habe bereits 2010 darauf hingewiesen, dass das Gesetz ausdrücklich die Vermummung des Gesichts verbiete und auf keinerlei religiöse Bezüge verweise. „Im Klartext: Das Gesetz diskriminiert nicht.“ schreibt Le Point. Politikern wie Valls und dem Bürgermeister von Cannes scheint das einfach nicht in den Schädel zu gehen.

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