Frankreich Favorit Fillon flunkert – und gewinnt

Die beiden verbliebenen Kandidaten der Konservativen für die Präsidentenwahl 2017 haben sich einen Schlagabtausch geliefert. Der frühere Premierminister François Fillon geht nun als Favorit in die Stichwahl.

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Die zwei finalen Kandidaten der Konservativen im französischen Rennen um das Amt des Präsidenten, François Fillon und Alain Juppé, debattierten am Donnerstagabend gut zwei Stunden lang über Programme und Personen. Quelle: AFP

Paris Sonntag wählen die Konservativen und das Zentrum in Frankreich ihren Kandidaten für die Präsidentschaftswahl 2017. Donnerstagabend debattierten François Fillon, Erstplatzierter im ersten Wahlgang, und Alain Juppé gut zwei Stunden lang über Programme und Personen. Ersten Befragungen zufolge gewann Fillon den insgesamt eher steifen Wettstreit mit 57 Prozent positiven Bewertungen der Zuschauer zu 41 für Juppé. Siegt er am Sontag in der Stichwahl, hat er beste Chancen bei der Wahl des nächsten Präsidenten im Mai 2017.

Am Donnerstag trumpfte er schon einmal mächtig auf: „In fünf Jahren haben wir die Arbeitslosigkeit halbiert, in zehn Jahren ist Frankreich das stärkste Land Europas“, prophezeite er. Während der Debatte nahm Fillon, der nicht als Populist gilt, die eine oder andere Anleihe beim notorischen Lügner Trump.

Um zu belegen, dass Frankreich sein Nationalbewusstsein verloren habe, behauptete er: „Chlodwig, Jeanne d’Arc, sogar Voltaire und Rousseau sind aus den Lehrplänen getilgt worden.“ Ein schneller Faktencheck nach der Sendung bewies: Die Behauptung ist erlogen. Nicht besser ist es mit der Aussage, in Frankreich würden „Ärzte schlechter bezahlt als Klempner“. Die post-faktische Politik hat also auch in Frankreich Einzug gehalten.

Fillons Mischung aus wirtschaftlichem Liberalismus und strikt konservativ-katholischer Gesellschaftspolitik begeistert die Teilnehmer der Vorwahl. Ex-Premier Juppé, der Bürgermeister von Bordeaux, ging deshalb aus einer schwierigen Position in die Debatte. Weil er weit hinter Fillon zurückliegt, musste er angreifen, um Boden gutzumachen.

In den vergangenen Tagen versuchte er das aber teils auf eine ungeschickte Art. Juppé wurde vorgeworfen, sein Programm sei „zu radikal“ oder gar „brutal“, sein Gesellschaftsbild sei rückschrittlich und es wurde verlangt, dass er seine Haltung zur Abtreibung klärt. Frankreichs Rechte mögen es aber nicht, wenn ein Konservativer dem anderen vorwirft, er sei konservativ.

Verschreckt von der harten Reaktion der Fillon-Anhänger auf seine teils durchaus berechtigten Vorwürfe fand Juppé am Donnerstag lange nicht seinen richtigen Stil. Zunächst sprach er Fillon freundschaftlich an, der aber starr geradeausblickte.

Dann entwickelte Juppé eher farblos die Grundzüge seines Programms: „Ich will die Franzosen vor Bedrohungen schützen, die Unternehmen befreien und die Jugend auf den digitalen Wandel vorbereiten.“ Dafür habe er „tiefe, glaubwürdige Reformen ohne Brutalität“ vor. Schließlich versuchte er es wieder mit klarer Kritik, beispielsweise an Fillons russlandfreundlicher Haltung, die Putin vor zwei Tagen ausdrücklich gelobt hat.

Fillon ging entschiedener zur Sache: „Mein Projekt ist radikaler, vielleicht schwieriger, ich breche mit dem Einheitsdenken.“ Das Land stehe „am Rande der sozialen Revolte“, deshalb sei ein Schockprogramm notwendig, fuhr der 62-Jährige mit nicht ganz nachvollziehbarer Logik, aber überzeugtem Grundton fort.


Fillon und Juppé streiten um Reformkurs

Beide versuchten, sich staatsmännisch zu geben, waren aber sichtlich nervös: Juppé fuhr aus der Haut, als einer der drei Moderatoren ihn fragte, welche besondere Charaktereigenschaften ihn zum Präsidenten prädestinierten: „Glauben Sie etwa, ich hätte keine Charakterstärke?“, empörte sich der 71-Jährige. Später wurde er unfreiwillig komisch: „Ich stelle das alles in meinen Büchern, die sicher nicht viele gelesen haben, ausführlich dar.“

Fillon wiederum verstand nicht, wonach er gefragt wurde, als die Journalisten wissen wollten, was er denn in den ersten drei Monaten seiner Amtszeit anpacken wolle.

Bei den Sozialreformen, der Arbeitszeit, dem öffentlichen Dienst und dem Arbeitsrecht verloren sich die beiden Kandidaten so in den Details, dass kaum noch zu verstehen war, wer denn nun der brutale und wer der einfühlsame Reformer sein will. Beide wollen das Renteneintrittsalter auf 65 Jahre anheben, die Arbeitszeit verlängern und darüber in den Unternehmen entscheiden lassen. Zudem wollen sie eine echte Berufsausbildung schaffen.

Das noch einmal in extenso zu hören war informativ, aber auch mühsam, denn die beiden sind keine begnadeten Redner: Juppé redet mit flüssiger, angenehmer Stimme, intoniert aber jeden Satz gleich, so dass der Bürgerkrieg in Syrien bei ihm ebenso undramatisch klingt wie die Feinheiten der Beamtenbesoldung. Fillon hat ein gutes Timbre, macht aber seltsame Pausen, „als sei ihm ein halbes Hähnchen im Hals stecken geblieben“, veralberte ihn Frankreichs Starkomiker Canteloup nach der Sendung.

Das Thema Europa kam bei beiden nicht vor, obwohl sich in diesem Punkt ihre Programme und ihr Werdegang unterscheiden: Fillon hat in den vergangenen Jahrzehnten gegen jede Initiative zur Vertiefung der EU gestimmt, Juppé ist europafreundlicher. Ein Gegensatz immerhin wurde deutlich: Juppé führte mehrfach Deutschland als positives Beispiel ein, Fillon kam das Wort Deutschland fast nicht über die Lippen. Vorstellungen, wie die künftige Zusammenarbeit mit der Bundesrepublik, dem wichtigsten Partner Frankreichs, aussehen soll, blieben beide schuldig.

Als Fillon und Juppé ihren Gesellschaftsentwurf beschreiben sollten, wurden die Gegensätze noch einmal richtig deutlich. Juppé beschrieb ein Frankreich, dass sich durch seine Vielfalt auszeichne, „bei der Hautfarbe, der Religion, der Herkunft, den politischen Ansichten“, das wolle er in eine gute Zukunft führen durch „Reformen, die nicht als Bußgang erduldet werden, sondern Hoffnung auslösen“.

Fillon war schwächer, versteifte sich auf ein Frankreich, dessen Kultur bedroht sei durch Ausländer, die sich nicht assimilieren wollten, sprang dann aber unvermittelt zu Frankreich als stärkstem Land Europas. Auch wenn seine Performance am Donnerstag alles andere als beeindruckend war, sieht es danach aus, dass er die Vorwahl gewinnt.

Noch bleibt es aber sein Geheimnis, wie er nicht nur zwei Millionen konservative Wähler, sondern 18 bis 20 Millionen Franzosen für sich gewinnen will. Allein die Aussicht auf gestrichene Beamtenstellen und unbezahlte Mehrarbeit dürfte nicht alle Bürger begeistern. Erst recht in einem Land, das eine starke rechtspopulistische Front National hat und das seit Jahren an sich selbst zweifelt, weil sein Einfluss in Europa ab-, die Ungleichheit aber zunimmt.

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