Frankreich Kapitän Fillon lässt niemanden in die Rettungsboote

Zugeben was sich nicht mehr abstreiten lässt, verschweigen, was heikel ist: Der Kandidat der französischen Konservativen versucht eine untaugliche Verteidigung gegen den Vorwurf fiktiver Beschäftigung seiner Ehefrau.

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Das Schiff des Kandidaten Fillon leckt auf allen Seiten, aber er bleibt nicht nur an Bord, sondern er lässt auch niemanden sonst in die Rettungsboote. Quelle: Reuters

Paris Die Luft im Hauptquartier von François Fillon ist zum Schneiden, als der Kandidat der Konservativen zur Präsidentschaftswahl vor die Presse tritt. Fast 14 Tage sind vergangen, seit die Wochenzeitung „Le Canard Enchaîné“ den Skandal um eine Million Euro publik gemacht hat, die Fillons Familie vor allem aus öffentlichen Kassen erhalten hat – angeblich ohne eine wirkliche Gegenleistung zu erbringen. Doch Fillon hat noch keine Pressekonferenz gegeben. „Eingebunkert“ habe er sich, schrieb der konservative „Le Figaro“.

In diesen knapp zwei Wochen ist Fillon vom unumstrittenen Favoriten der Wahl am 7. Mai zu einem Politiker geworden, der es nicht einmal mehr in die Stichwahl schaffen würde und den je nach Umfrage mal sechs, mal acht von zehn Franzosen nicht mehr als Bewerber sehen möchten. Seine eigenen Parteifreunde zweifeln an ihm und Menschen, die seit Jahrzehnten mit ihm zusammenarbeiten wie die Bürgermeisterin des Dorfs, in dem sein Schloss liegt, sagt vor laufender Kamera mit Tränen in den Augen: „Ich möchte glauben, dass die Vorwürfe nicht wahr sind.“

Endlich tritt Fillon auf die Bühne. Es ist mucksmäuschenstill im Saal. Schon nach den ersten Worten ist aber klar, dass er stur bleibt. Weiterhin gibt er sich als unschuldiges Opfer einer Kampagne: „Ich verstehe die Fragen und das Bedürfnis, dass ich die Dinge kläre. Ich habe nichts zu verbergen. Ich bin das Opfer eines Angriffs von nie dagewesener Heftigkeit.“ Er bleibt Kandidat, weil er das den Franzosen schuldig sei: „Den Millionen Franzosen, die mich in der Vorwahl gewählt haben, darf man ihre Wahl nicht stehlen.“

Ja, seine Frau und seine Kinder hätten für ihn gearbeitet, aber das sei völlig in Ordnung: Juristisch habe er sich überhaupt nichts vorzuwerfen. Das ist die Linie, die er seit zwei Wochen fährt. Selbst wenn das zuträfe: Seine Berater haben ihm mittlerweile wohl klar gemacht, dass es über die juristischen Fragen hinaus auch moralische gibt. Dass man von einem Kandidaten, der sich als makellos gegeben und seinen Mitbewerbern Affären vorgeworfen hat, mehr erwartet als eine strafrechtlich reine Weste.

Deshalb schiebt er am Montag nach, es gebe die Frage, wie er moralisch dastehe. „Mit seiner Familie zusammenzuarbeiten war eine Praxis, die von den Franzosen anerkannt war, sie ist es heute nicht mehr.“ Das ist die seit Urzeiten bekannte Formel nach dem Motto: Aus heutiger Sicht war es vielleicht nicht ganz in Ordnung. Sie soll deutlich machen, dass man sich ja gar nichts vorzuwerfen hat, aber sensibel ist für die Bedenken der Menschen.

Auch Fillon nutzt sie, für eine Entschuldigung, die er dem Land quasi als Gratis-Beigabe liefert: „Das war ein Irrtum, ich bereue es und entschuldige mich bei den Franzosen.“ Der angeblich tief gläubige Katholik Fillon meint seine Reue aber wohl nicht so ganz ernst. Denn auf die Frage, ob er nicht wenigstens einen Teil des Geldes zurückzahlen wolle, um ein Zeichen zu setzen, antwortet er mit Empörung in der Stimme: „Warum sollte ich Geld zurückzahlen, das der Arbeit meiner Frau entspricht?“

Ganz elastisch wird er da, wo man ihm nachweisen kann, dass er die Unwahrheit gesagt hat. Erst ab 1997 sei seine Frau bezahlt worden, stellte er Ende Januar fest. Inzwischen weiß man, dass sie bereits 1988 ein Gehalt von der Nationalversammlung bezog.

„Da war ich nicht ganz präzise“ weicht Fillon nun zurück. Also doch nicht nur eine Kampagne einer „Meute“ von Medien, die ihn „lynchen“ wollen, wie er am Montag wieder behauptet?

Fillon bittet plötzlich um Verständnis: Die Vorwürfe seien ihm „auf den Magen geschlagen“, er habe ein paar Tage gebraucht, „um zu realisieren, dass mir der Himmel auf den Kopf gefallen ist.“ Und dann sei es so schwierig gewesen, alle Belege herbei zu schaffen, anfangs habe er nichts gefunden. Merkwürdig bei einem Politiker, der behauptet, das Beschäftigungsverhältnis sei völlig legal gewesen.

Elastisch regiert Fillon auch, als er mit der Aussage seiner Frau aus einem Interview von 2007 konfrontiert wird: „Ich war nie seine Assistentin oder so etwas in der Art.“ Das sei doch klar, leistet Fillon da Interpretationshilfe, wo es nichts mehr zu deuteln gibt: „Sie wollte sagen, dass sie mir nie untergeordnet war.“

Eine andere Taktik wählt er dort, wo auch das gummiartige Zurückschnellen nichts mehr hilft. Sein Sohn wurde von ihm ebenfalls als Mitarbeiter bezahlt, doch vor den Staatsanwälten soll Fillon gesagt haben, dass er in Wirklichkeit für die Wahlkampagne von Nicolas Sarkozy gearbeitet habe. Fillon schweigt dazu.

Der Politiker hat sich entschlossen, seine Partei in eine Art Geiselhaft zu nehmen. Ein „Plan B“, ein anderer Kandidat, das sei „die Beresina“, im Französischen ist der Fluss ein Synonym für Niederlage. Wer von seinen Parteifreunden es immer noch nicht verstanden hat, dass Fillon kämpfen wird bis zuletzt, dem sagt er es ganz deutlich, fast drohend: „Keine Instanz hat die Legitimität, das Votum der Vorwahl infrage zu stellen.“ Und dann noch einmal: „Die Umfragen werden mich nicht dazu bringen, von meiner Entscheidung abzugehen, nichts kann mich dazu bringen, auf meine Kandidatur zu verzichten.“

Das Schiff des Kandidaten Fillon leckt auf allen Seiten, aber er bleibt nicht nur an Bord, sondern er lässt auch niemanden sonst in die Rettungsboote: „Wir fangen alle zusammen jetzt wieder die Kampagne an, es gibt keine andere Lösung, alle müssen sich hinter mir sammeln“, zerstört er jede Hoffnung auf eine konstruktive Lösung der Affäre.

Nur ein Satz fehlt da noch: Nach mir die Sintflut.

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