Frankreich und Flüchtlinge Liberté, Egalité – Fremdenfeindlichkeit?

Wegen der Erfolge der rechtspopulistischen Front National gelten viele Franzosen als rassistisch. Die Regierung tut alles, um Fremdenfeindlichkeit nicht weiter zu schüren – doch zu unrecht, wie eine neue Studie zeigt.

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Während der Regionalwahlen im März 2015 protestierten Aktivisten gegen Marine Le Pen und ihre Front National. Trotz Wahlerfolgen der Rechten sind die Franzosen heute weniger rassistisch als noch vor drei Jahren. Quelle: AP

Paris Haben wir unseren Nachbarn Frankreich zu schnell als eine leichte Beute der Rechtspopulisten gesehen, die über kurz oder lang an die Macht kommen würden? Und irren sich auch linke wie rechte französische Politiker, die eilfertig alles tun, um angeblich übermächtige rechte Tendenzen in der Gesellschaft nicht „durch die Aufnahme von Flüchtlingen noch zu verstärken“, wie man es in der sozialistischen Regierung häufig hört?

Selbst Spitzenpolitiker wie Premierminister Manuel Valls warnen, man dürfe kein Wasser auf die Mühlen der Rechtsextremen gießen. Und ein Experte der Jean-Jaurès-Stiftung stellte kürzlich fest: „Wer rechtsradikal wählt, muss sich durch die Politik der gemäßigten Parteien bestätigt fühlen. Denn diese reagieren sofort auf Wahlerfolge der Front National, indem sie ihre eigene Politik anpassen.“

Dabei gibt es einen bemerkenswerten Trend in Frankreich: Die Franzosen sind heute sehr viel weniger rassistisch als vor drei Jahren. Das geht aus dem jährlichen Bericht der „Konsultativkommission für die Menschenrechte“ hervor, die bereits seit vielen Jahren die Einstellung der Franzosen zu Ausländern, anderen Ethnien und Religionen untersucht. Der Wert der Untersuchung besteht darin, dass sie kontinuierlich fortgeschrieben wird. Sie ist also weit aussagekräftiger als eine punktuelle Befragung.

2013 hatte es einen Tiefpunkt gegeben. Nur 39 Prozent der Franzosen sagten damals, sie seien keine Rassisten. Vier Jahre zuvor waren es noch 54 Prozent gewesen. Doch das Bild hat sich sehr geändert: Mehr als die Hälfte, genau 53 Prozent unserer Nachbarn, stuft sich heutzutage als nicht rassistisch ein. 71 Prozent sagen, dass „ein entschiedener Kampf gegen rassistische Tendenzen notwendig“ sei.

Wie kann man das auf einen Nenner bringen mit den Wahlerfolgen der rechtsextremen, ausländerfeindlichen Front National (FN)? Und mit der Angst vor neuen Anschlägen islamistischer Fundamentalisten nach den schrecklichen Anschlägen des vergangenen Jahres, denen im November 130 Menschen zum Opfer fielen? Und wie passt diese Entwicklung zu einer politisch-medialen Stimmungsmache gegen Muslime? Zeitungen wie „Le Figaro“ machen kaum noch einen Unterschied zwischen Terroristen und gewöhnlichen Muslimen. Alles wird dem Schreckbild eines „expansiven Islams“ untergeordnet, der das Abendland gefährde, egal ob mit Kopftuch oder Kalaschnikow.


Antirassisten sind in der Mehrheit

Es gibt Erklärungen für diesen scheinbaren Widerspruch. Ein hoher Anteil der FN-Wähler, je nach Umfrage bis zu 50 Prozent, bezeichnet sich selber als Protestwähler: Man stimmt für die Rechtsradikalen, um der Politik einen „Schuss vor den Bug“ zu geben, um die eigene Unzufriedenheit oder Verzweiflung auszudrücken – aber nicht, weil man mit dem Programm der FN inhaltlich übereinstimmen würde.

Freilich: Dass rund 40 Prozent der Franzosen sich als „ein bisschen“, „nicht sehr“ oder „eher“ rassistisch bezeichnen, ist immer noch ein erschreckend hoher Wert. Beruhigend wirkt da, dass innerhalb derjenigen, die andere Ethnien ablehnen, die Moderaten mit 23 Prozent aller Franzosen den größten Anteil stellen. Zudem sind 57 Prozent der Franzosen der Ansicht, dass „alle Rassen gleichwertig sind“. 33 Prozent denken, dass es „keine Rassen gibt.“ Nur acht Prozent meinen, es gebe „Rassen, die anderen überlegen sind.“

Die Antirassisten stellen also trotz allen Aufhebens, das um die angeblich nicht zu schlagende FN gemacht wird, die mit Abstand größte Mehrheit der Franzosen. Bedauerlich ist, dass die Politik so wenig daraus macht. Politisch sind die Antirassisten Waisenkinder: Niemand kümmert sich um sie, niemand ist ihr Sprachrohr. Die Regierung vernachlässigt sie – weder Nicht sie versucht die Regierung zu hegen und zu pflegen, nicht sie bestätigt sie in ihren Initiativen.

Nein, die Regierung schielt permanent nach rechts: Das zeigt sich in der Ablehnung, Flüchtlinge aufzunehmen, in der unflätigen Kritik von Premier Valls an Merkels Flüchtlingspolitik sowie auch in der Verweigerung eines Wahlrechts für Ausländer, das Präsident Hollande versprochen hatte. Damit torpediert sich die Regierung bedauerlicherweise selbst – und macht für diese Politik anschließend noch die angebliche „Stimme des Volkes“ verantwortlich. All das ist ein Weg, die Demokratie zu schwächen.

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