Frankreich und Islamismus Kampf gegen den „Hyper-Terrorismus“

Frankreichs Premierminister Valls stellt einen 80-Punkte-Plan zur Terrorbekämpfung vor. Geplant sind schärfere Strafen und mehr Überwachung. Neue Zahlen zur Radikalisierung in Frankreich sind bedrückend.

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Französische Polizisten proben vor dem Filmfestival in Cannes für den Ernstfall, einen erneuten Terrorangriff. Quelle: dpa

Manuel Valls pflegt eine martialische Sprache. Der Premier liebt militärische Metaphern und neigt dazu, in bereits aufgeladenen Situationen die Dramatik noch zu verstärken. Am Montag hat er seine Mitbürger zur „allgemeinen Mobilmachung“ aufgerufen. Nicht nur der Staat, die ganze französische Gesellschaft müsse den Kampf gegen islamistische Kämpfer aufnehmen. Frankreich sei „in die Ära des Hyperterrorismus“ eingetreten und müsse „die gesamte Kette der Krisenpolitik auf einen neuen Stand bringen.“ Die Bevölkerung müsse „alarmiert werden.“ Seinen Teil dazu beitragen will er mit einem 80-Punkte-Plan, den er am Montag in Paris vorgestellt hat.

Im Wesentlichen geht es dabei um die Zusammenfassung bereits früher angekündigter Initiativen für Prävention, Bekämpfung und Bestrafung. Das spektakulärste Element ist die Einführung der „echten“ lebenslänglichen Freiheitsstrafe für terroristische Straftaten. Bislang kommen verurteilte Terroristen in der Regel nach 22 Jahren frei, das soll künftig nicht mehr der Fall sein.

In den Gefängnissen soll die Überwachung verschärft werden. Mehrere Gewalttäter wie die vom Januar 2015, als die Redaktion von „Charlie Hebdo“ und ein jüdischer Supermarkt angegriffen wurden, haben sich im Gefängnis radikalisiert, sind dort von Drogendealern zu Kämpfern geworden, die sich zum Islamischen Staat oder Al Kaida bekennen. Künftig sollen in den Haftanstalten verstärkt geheimdienstliche Methoden zur Anwendung kommen. Valls hofft, dadurch der Radikalisierung entgegenwirken zu können.

Überhaupt setzt er viel auf eine noch mal verschärfte Überwachung. Das „Nationale Zentrum für Abhöraktionen“ soll finanziell besser gestellt werden. Dahinter verbergen sich allerdings zum Teil auch handfeste Probleme bei der Installierung dieser neuen Abhörtechnik. Der Rechnungshof hatte bemängelt, dass das neue, von der teilweise staatlichen Thales-Gruppe erstellte EDV-System nicht richtig funktioniere und viel teurer sei als versprochen. Mails bräuchten manchmal fünf Minuten, um geladen zu werden, es sei zu tagelangen Ausfällen der Überwachung gekommen. Beschlossen wurde der komplexe Abhör-Apparat schon 2008 unter Nicolas Sarkozy.


Mehr als 600 französische Dschihadisten in Syrien und Irak

Valls legte bedrückende Zahlen über die Radikalisierung vor: 9.300 Franzosen würden als „gewalttätige radikale Islamisten“ angesehen, davon seien 30 Prozent Frauen und 20 Prozent Minderjährige. Mit 627 Personen stelle Frankreich das größte Kontingent unter den 5.000 europäischen Dschihadisten in Syrien und im Irak. Deren Gesamtzahl sei inzwischen von 15.000 auf 12.000 zurückgegangen, „weil unser Krieg dort seine Früchte trägt“, wie der Premier es ausdrückte.

Wie kommt es dazu, dass so viele junge Franzosen ihrer Republik den Rücken kehren und sich den Mordbanden von Al Kaida oder dem IS anschließen? An diesem Punkt wirkte Valls ratlos. Es gebe schlimme Zustände in den französischen Vorstädten, Ungerechtigkeiten und Ghettobildung, doch erkläre das alleine nicht die Radikalisierung. Überall in Frankreich gebe es anfällige Jugendliche, „weil es eine Mischung von Sinnleere, Frust und mangelndem Zugehörigkeitsgefühl gibt.“

Der Premier räumte ein, dass die Erforschung der Radikalisierung noch in den Kinderschuhen stecke. Frankreich wolle deshalb im Herbst einen großen Kongress zum Thema veranstalten, auf dem sich die besten Experten und unterschiedliche Denkschulen austauschen sollen.

Mehr tun will der Premier für die „Deradikalisierung“ reuiger Franzosen, die sich vom Dschihad lossagen. In diesem Jahr soll das erste Zentrum dafür eröffnet werden. Dort sollen zur Hälfte reuige Radikale untergebracht werden und zum anderen Teil Personen, die ihre Auffassung nicht geändert haben, „die aber nicht inhaftiert werden können“, wie Valls sagte. Auf welcher rechtlichen Grundlage solche Personen in ein Zentrum eingewiesen werden können, sagte er nicht. Einige Experten warnen vor dieser neuartigen Einrichtung: Wenn auch nur ein geschickter, charismatischer Anwerber unter den Insassen sei, könne das Zentrum schnell zur „Djihad Academy“ pervertieren.

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