Frankreich vor dem Machtwechsel Wer wird der nächste Präsident?

Sarkozy oder Juppé? Mit harten Attacken versucht Frankreichs Ex-Premier Sarkozy, bei der Vorwahl der Konservativen einen Sieg gegen seinen Konkurrenten zu erzwingen. Wer gewinnt, hat beste Chancen auf das Präsidentenamt.

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Alain Juppé (links), Bürgermeister von Bordeaux, und früherer Premier Nicolas Sarkozy wollen in den Elysee-Palast. Quelle: AFP

Paris In anderthalb Monaten bestimmen Frankreichs Konservative, wer der neue Präsident des Landes sein wird. Die Präsidentschaftswahl findet erst im Mai 2017 statt, doch wer das Land in den folgenden fünf Jahren regiert, entscheidet sich schon Ende November.

Am 20. und 27. November wählen die Konservativen und die rechte Mitte ihren Kandidaten. Der wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit im Mai 2017 das Rennen machen. Da die Linke völlig zersplittert ist, werden ihre Kandidaten 2017 im ersten Wahlgang aussortiert werden. In der Stichwahl stehen sich dann die rechtsextreme Marine Le Pen, Chefin der Front National, die als gesetzt gilt, und der Kandidat der Konservativen gegenüber. Dieser wird aller Voraussicht nach gegen Le Pen gewinnen. Diese Erwartung gilt selbst für den Fall, dass der linksliberale Emmanuel Macron, einer der beliebtesten französischen Politiker, antreten sollte.

Deshalb ist diese Urwahl des konservativen Kandidaten, die erste im konservativen Lager, so wichtig. Zwei Politiker haben die größten Chancen auf den Sieg: Alain Juppé, 71-jähriger Bürgermeister von Bordeaux und früherer Premier sowie Außenminister, und Nicolas Sarkozy, 62 Jahre alt, der 2012 als Präsident nicht wiedergewählt wurde. Die Umfragewerte schwanken, doch der erwartete Zieleinlauf hat sich seit Monaten nicht geändert: Man rechnet mit einem Sieg des älteren der beiden Herren.

Sarkozy konnte eine Zeit lang aufholen, doch in der vergangenen Woche kam diese Dynamik zum Stillstand. Im zweiten Wahlgang der „primaires“ wird nun sogar mit einem noch klareren Sieg Juppés gerechnet.

Juppé und Sarkozy sind Rivalen, sie haben unterschiedliche Positionen, aber vor allem sind sie völlig unterschiedliche Charaktere. Juppé wirkt ein wenig wie ein in die Jahre gekommener Intellektueller: überlegt, moderat, erfahren. Er ist Kopfmensch durch und durch. Politik ist für ihn ein Mittel, um Einfluss auf die französische Gesellschaft zu nehmen. Für die strebt er eine „glückliche Identität“ an. Die Franzosen sollen zu einem Optimismus zurückfinden, den sie verloren haben. In seinen Positionen wie in seinem Auftreten ist er so gemäßigt, dass einige Sympathisanten ihn unlängst aufforderten, „härter zuzulangen“.

Das ist das Letzte, was man Sarkozy raten müsste. Für ihn ist der amtierende Präsident François Hollande „ein Weichei“, sein Rivale Juppé ein Langweiler, der sich durch „weiches Denken“ auszeichne und nur einen „weichen Politikwechsel“ wolle. Seinen früheren Premier Francois Fillon bezeichnete Sarkozy als „eine armselige Gestalt“. Sich selber hält er zugute, aus „hartem Leder“ zu sein.

Politik ist für den ehemaligen Präsidenten ein Mittel zur Selbstverwirklichung. Sein langjähriger engster Berater Patrick Buisson attestiert ihm in einem vergangene Woche erschienenen Buch alles, was ihn denkbar ungeeignet erscheinen lässt: „Unreife, Würdelosigkeit und Infantilismus“. Seine Präsidentschaft von 2007 bis 2012 sei eine ständige „Ego-Inkontinenz“ gewesen: Nicht das Land, sondern die Selbstverwirklichung hätten stets die Priorität gehabt. Vor allem aber: Sarkozy habe nicht den Hauch einer wirklichen Überzeugung. Stattdessen schreibe er sich das auf die Fahnen, was gerade Erfolg verspreche.


Ex-Berater erhebt schwere Vorwürfe gegen Sarkozy

Buisson ist verbittert, weil Sarkozy sich 2015 nach mehr als zehn Jahren von ihm getrennt hat. Im vergangenen Jahr kam heraus, dass der Berater seit langer Zeit jedes Treffen, auch im Elysée-Palast, mit einem kleinen Aufnahmegerät aufzeichnete. Sarkozy fühlte sich „verraten“ von dem Mann, dem er Jahre lang die Türen zum innersten Kreis der Macht geöffnet hat.

Dem Berater Buisson, der aus der äußersten Rechten kommt und viel Geld verdient hat mit seinen Expertisen für Sarkozy, kann und muss man viele Vorwürfe machen. Einen allerdings kann man nur schwerlich formulieren: Dass er erfunden habe, was er als wörtliche Zitate von Sarkozy wiedergibt. Schließlich hat er alles mitgeschnitten und gespeichert.

Manche Passagen haben es in sich. So habe Sarkozy sich im kleinen Kreis damit gebrüstet, nichts gegen eine gewalttätige Demonstration von Jugendlichen aus der Banlieue unternommen zu haben, bis die in der Pariser Innenstadt eine Schneise der Verwüstung geschlagen hatten. „Wir lassen sie erst mal ihre Einkäufe machen“, habe Sarkozy, 2006 noch Innenminister, gesagt – eine zynische Formulierung für Plünderungen. Erst dann sei er selber an der Spitze einer Polizeieinheit aufgekreuzt, um wie ein römischer Feldherr die Schlacht zu leiten und als starker Mann die völlig schockierte Pariser Bevölkerung zu beruhigen.

Sarkozy ist zweifellos der Mann, der seine Anhänger besser in Fahrt bringt als Juppé. Seine Formulierungen sitzen, seine Rhetorik reißt die Zuhörer mit. Juppés Wahlkampfmanager zeigen sich davon nur begrenzt beeindruckt: „Am 27.11. gewinnt nicht der lauteste, sondern der Kandidat mit den meisten Stimmen“, sagen sie.

Sarkozy kämpft mit vielen Skandalen

Es sieht danach aus, als würde das nicht Sarkozy sein, aus mehreren Gründen. Der erste ist, dass er sich zu sehr den Positionen der Front National annähert und die Wirtschaft vernachlässigt. Seit Wochen zieht er durch die Lande und macht Wahlkampf gegen den Islam, verwischt die Grenzen zwischen Muslimen, die sich integrieren und radikalen Anhängern des Islam sowie Dschihadisten. Sein großes Thema ist die „französische Identität“, die bedroht sei. Er verstieg sich sogar zu der albernen Formulierung: „Wenn man Franzose ist, hat man die Gallier als Vorfahren.“

Beim harten Kern der Rechten kommt er mit seiner „identitären Linie“ sehr gut an. Liberale und gemäßigte Konservative aber sehen darin eher eine gefährliche Spaltung der Gesellschaft, mit der Sarkozy nur das Geschäft der Fundamentalisten erleichtere. Denn die wollen gerade erreichen, dass die Muslime wie ein Fremdkörper in der französischen Gesellschaft behandelt werden, damit sie sie für sich gewinnen können.

Gegen Sarkozy spricht, dass ihm immer noch viele Skandale anhängen. Sie reichen von einer angeblichen Finanzspritze durch den früheren libyschen Diktator Muammar al-Gaddafi über die – nachgewiesene – Überschreitung der legal zulässigen Obergrenze für die Wahlkampfkosten bis zur angeblichen Beeinflussung der Justiz. Zudem ist Sarkozys Bilanz als Präsident freundlich gesagt durchwachsen: Die Staatsfinanzen hatte er nicht im Griff, die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft hat sich verschlechtert, der Militäreinsatz in Libyen hat Anarchie und Aufmarschzonen für den Islamischen Staat herbeigeführt.

All das ist nicht vergessen. Wenn es schlecht läuft für ihn, wird die erste Runde der Vorwahlen zu einer Veranstaltung „alle gegen Sarkozy“. Die anderen sechs Kandidaten eint die Abneigung gegen den Ex-Präsidenten. Der schlägt zurück mit dem Vorwurf, Juppé lege es darauf an, dass sich auch Linke zur Vorwahl bei den Rechten anmelden, damit Juppé gewinne. Damit werde sein Gegenspieler zum Gefangenen der Linken.


Je näher der Termin rückt, desto rauer wird der Ton

Der Bürgermeister von Bordeaux lässt sich nicht lumpen und antwortete Sarkozy am Sonntag: „Wenn man es darauf anlegt, mit den Stimmen der Front National gewählt zu werden, riskiert man das Abgleiten in eine Politik, die sich von den Thesen der Front National leiten lässt.“ Er selber setzt dagegen auf ein umfassendes Reformprogramm, das er sofort nach der Wahl umsetzen will: „Ich will ein klares Mandat der Wähler, damit es später keine Blockaden gibt.“

Zu Juppés Vorhaben zählen die Abschaffung der 35-Stunden-Woche, die Reform des Arbeitsrechts, die Senkung der Staatsausgaben und bestimmter Sozialtransfers wie das Arbeitslosengeld. Das ist in Frankreich noch immer sehr großzügig bemessen. Juppé will es nach zwölf Monaten um 25 Prozent kürzen und nach weiteren sechs Monaten erneut um 25 Prozent.

Je näher der Termin rückt, je länger Sarkozy hinter Juppé zurückliegt, desto rauer wird der Ton in der Kampagne. Während Sarkozy seinen Rivalen als zu „weich“ und zu links attackiert, hält Juppé sich mit persönlichen Angriffen zurück. Er glaubt, dass sie nur auf den Urheber zurückfallen – und könnte damit richtig liegen.

Anfang der Woche versuchte Sarkozy, dessen Umfeld nervös wird, einen neuen Schwenk, zurück zu Reformthemen wie einem schlankeren Staat und Steuersenkungen. Seine Glaubwürdigkeit ist hier allerdings gering, da er in der Vergangenheit wenig geschafft hat. Außerdem steht ihm hier die geschlossene Front der anderen Kandidaten gegenüber. Nicht nur Juppé, sondern auch sein Ex-Premier Fillon und der frühere Minister Bruno Le Maire werfen Sarkozy vor, Versprechen von 2007 aufzuwärmen, die er anschließend nicht gehalten habe.

Demoskopen tappen im Dunkeln

Le Maire ist mit 47 Jahren einer der jüngsten der sieben Bewerber bei den „primaires“. Er trifft die Stimmung vieler Franzosen, wenn er sagt: „Immer präsentiert man uns dieselben Gesichter, in Frankreich halten sich immer dieselben Kumpel an der Macht.“ Mit einem Programm von über 1000 Seiten will er die Wähler beeindrucken, bestärkt mit diesem Papierkoloss allerdings einen Vorbehalt: Er sei zu verkopft, zu technokratisch.

Wer an der Vorwahl der Konservativen teilnehmen wird, ist unklar. Sie steht nicht nur den Parteimitgliedern der Republikaner offen, sondern allen Franzosen, die zwei Euro bezahlen und folgenden Satz unterschreiben: „Ich teile die republikanischen Werte der Rechten und des Zentrums und engagiere mich für den Wechsel, damit Frankreichs Stärkung gelingt.“

Tatsächlich haben einige Linke angekündigt, sie wollten teilnehmen, um Sarkozy zu verhindern, weil der 2017 im zweiten Wahlgang möglicherweise Marine Le Pen unterliegen könne. Doch genauso haben Front-National-Anhänger gesagt, sie würden mitmachen, um Juppé zu verhindern. Sarkozy hat Umfragen zufolge eine Mehrheit bei den Republikanern, Juppé aber bei der Gesamtheit der Rechten und des Zentrums.

Da es die erste Vorwahl bei den Konservativen und der rechten Mitte ist, haben die Demoskopen keine Erfahrungswerte und kennen nicht die Grundgesamtheit. Erwartet werden mindestens zwei, möglicherweise aber mehr als vier Millionen Teilnehmer. Juppé hat seine Aussichten selber so ausgedrückt: „Je mehr Leute teilnehmen, desto besser sind meine Chancen.“

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